RotFuchs 188 – September 2013

Die Zusagen der Bundeskanzlerin platzten wie Seifenblasen

Rentenbetrug ist strafbar

Dr. Horst Schulz

Am 9. Juni 2009 erklärte Bundeskanzlerin Merkel bei der Eröffnung des 9. Deutschen Seniorentages in Leipzig: „… Ich stehe dazu, daß wir eine solche Angleichung von Ost und West brauchen. Ich würde, wenn Sie mich nach dem Zeitrahmen fragen, sagen, daß das Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird.“

Übrigens beruhte dieses bis heute nicht eingelöste Versprechen auf dem Einheitsvertrag von 1990, wurde also erstmals vor 23 Jahren abgegeben.

Nach den Wahlen vom 18. März 1990 änderte sich in der Noch-DDR die Rechtslage. Der Staatsvertrag zwischen der BRD und der DDR vom 18. Mai 1990 sah u. a. vor, das Sozialversicherungsrecht der DDR an das Recht der BRD anzugleichen. Es sollte eine beitragsfinanzierte Rentenversicherung mit lohnorientierten, dynamischen Leistungen geschaffen werden.

Für die bei Abschluß des Staatsvertrages bereits laufenden Rentenzahlungen waren eine Umstellung auf D-Mark im Verhältnis 1:1 und eine Angleichung an das bundesdeutsche Rentenniveau vorgesehen Außerdem sollten die Bestandsrenten künftig an die Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter angepaßt werden. Dies ist jedoch nicht erfolgt, was eine Verletzung der Artikel 3, 14 und 20 des Grundgesetzes bedeutet. Danach hätte die Rente schon mit der 1. und 2. Rentenanpassungsverordnung dynamisiert werden müssen.

Die „Abschmelzung“ und endgültige Außerkraftsetzung von Ansprüchen aus der Zusatzversorgung führte dazu, daß nur noch eine Grundversorgung gewährt wird.

Nach dem „Beitritt“ der DDR zur BRD bestand die Verpflichtung zur Fortführung der Versorgungsleistungen, die keinem geringeren Grundrechtsschutz unterliegen als das Eigentum.

Wie das Bundesverfassungsgericht bereits im Zusammenhang mit westdeutschen sozialversicherungsrechtlichen Positionen hervorgehoben hat, beruht der Eigentumsschutz in diesem Bereich ganz wesentlich darauf, daß die in Betracht kommende Rechtsposition durch die persönliche Arbeitsleistung der Versicherten mitbestimmt ist, die in den einkommensbezogenen Leistungen lediglich einen Ausdruck findet.

Die Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich bedenklich, da die Menschen mit Ansprüchen aus Versorgungssystemen der DDR für lange Zeit oder dauerhaft auf den garantierten Zahlbetrag des Einigungsvertrages verwiesen werden, ohne daß dieser dynamisiert wird. Es besteht kein Grund, Rentner aus der DDR im Hinblick auf die Anpassung ihrer Bezüge unterschiedlich zu behandeln.

Diese verfassungsrechtlichen Bedenken können nach über 20 Jahren nicht mehr durch eine noch so „verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften zur Rentenangleichung Ost“ ausgeräumt werden. Gemäß Art. 3, 1 GG ist es nicht mehr hinzunehmen und vertretbar, die Berechtigten und Rentner der DDR darauf zu verweisen, daß „der an ihre berufliche Stellung anknüpfende Lebensstandard, den sie im Zeitpunkt der Wiedervereinigung hatten, aufrechterhalten“ sei … Berücksichtigt man zusätzlich noch, daß in den neuen Bundesländern neben der Rente zumeist weitere Einkünfte fehlen, führt dies bei einem Großteil – jedenfalls den Alleinstehenden – zur Altersarmut. Nach einem lebenslangen Arbeitsleben ist dies für die Betroffenen – wie auch für das Ansehen eines der führenden Industriestaaten der Welt – ein katastrophaler Zustand. Die „deutsche Einheit“ ist bei den Renten nicht vollendet.

Nach dem im BGB verankerten Rechtsgrundsatz von „Treu und Glauben“ dürfte die Bundeskanzlerin nicht ein öffentliches Wahlversprechen abgeben, um es dann nicht einzuhalten. Das ist Wahlbetrug.

Das im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 fixierte und später auch im Grundgesetz niedergelegte Versprechen der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West ist nach wie vor nicht eingelöst. Betroffen sind über 4 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland.

Auf die Herstellung der Rentengerechtigkeit und die Gewährleistung der Gleichstellung vor dem Gesetz im Sinne des Artikel 3 des GG warten die Rentner des Ostens nun schon mehr als 23 Jahre und nehmen dabei ein sehr hohes Rentenminus zwangsläufig in Kauf.

Der Bericht der Bundesregierung beschränkt sich zum Thema Alterssicherung auf die Renten. Das aber verzerrt das Bild erheblich. Zu den Alterseinkommen gehören nämlich neben den Renten auch die Beamtenpensionen, Betriebsrenten und Kapitaleinkünfte. Bezieht man diese ein, so ist der Rückstand der ostdeutschen Alten noch beträchtlich größer. Seit mehr als 10 Jahren verharrt das Niveau der ostdeutschen Alterseinkommen bei 75 Prozent der Westeinkommen.

Ebenfalls unerwähnt bleibt in dem gerade erwähnten Bericht die Entwertung der Alterseinkommen durch Inflation. Sie betrug im vergangenen Jahrzehnt mehr als 10 Prozent.

Die gesetzliche Rente (GRV) bildet in Deutschland die Grundlage des Rentensystems. Dieses durch eine Umlage finanzierte System der Alterssicherung stellt den überwiegenden Teil der dafür erforderlichen Mittel bereit. 92 Prozent der Rentenleistungen im Osten und 59 Prozent im Westen – hier ergänzt durch Beamtenpensionen, betriebliche oder private Versorgungssysteme – werden von der GRV erbracht.

Besonders bemerkenswert ist die Aufhebung des bis dato geltenden wertneutralen Rentenrechts mittels politisch und sozial motivierter Rentenkürzungen für ehemalige DDR-Bürger. Seit 1992 erhalten sie weniger Rente als Bürger im Westen. Aktuell sind das 11,2 Prozent.

Trotz des eingangs erwähnten Versprechens der Bundeskanzlerin vor vier Jahren liegt der Rentenwert Ost immer noch etwa drei Euro unter dem Rentenwert West. Frau Dr. Merkel hat 2009 vor den Senioren in Leipzig also vorsätzlich die Unwahrheit gesagt. Nach Presseberichten sieht das Kanzleramt derzeit keinen juristischen oder sachlichen Zwang, das Rentensystem noch in dieser Legislaturperiode zu vereinfachen. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland findet demnach nicht statt.

Folgt man aktuellen Berechnungen, dann würden beim derzeitigen Tempo der Rentenanpassung noch etwa 160 Jahre vergehen, bis eine Einheitlichkeit hergestellt worden ist. Generationen nach uns würden dafür bestraft, daß ihre Vorfahren ehrliche DDR-Bürger waren.

Diesen Betrug darf man der CDU bei der Bundestagswahl 2013 nicht durchgehen lassen!

Die Bundeskanzlerin sei an ihre eigenen Worte in Leipzig erinnert: „Die Rente ist kein Almosen, sondern eine Gegenleistung … Wer ein Leben lang hart gearbeitet hat, der hat auch Anspruch auf eine gute Rente. Gleich, ob in West- oder in Ostdeutschland. Sozialleistungen sind keine milde Gabe. In den Versorgungssystemen liegt einiges im argen. Die Renten müssen gleich wie die Pensionen zum Leben reichen.“

Die Rentenfrage ist zu einem wichtigen Wahlkampfthema geworden. Die soziale Spaltung zerreißt das Land. Jeder dritte Rentner erhält weniger als 600 Euro und lebt in Altersarmut.