Replik an die Kolporteure
der Mär vom „Unrechtsstaat“
Die Koalitionsverhandlungen in Thüringen haben den Streit um den Charakter der DDR erneut entfacht. Die bürgerlichen Parteien bis zu den Führern der SPD werden niemals von einer Kriminalisierung der DDR ablassen. Tatsächlich hat sie ja den Krupps, Thyssens und ihresgleichen nach bürgerlicher Rechtsauffassung deren Eigentum gestohlen. Daß sie dabei auch Fehler beging und selbst mittelständisches Eigentum verstaatlichte, widerlegt diese Tatsache nicht. In Mecklenburg-Vorpommern wurden 1946 die Junker enteignet und deren Land mit der Bodenreform Klein-, Mittel- und Neubauern übergeben.
Auch das war und ist nach bürgerlichem Recht Diebstahl. Die DDR hatte sich wie kein anderes ehemals sozialistisches Land nicht nur deshalb der gnadenlosen Anfeindung durch die kapitalistische BRD – bis 1961 sogar bei offener Grenze – zu erwehren. Doch mit dem Zerfall der UdSSR waren auch ihre Tage gezählt.
Ein Schlußstrich beider Seiten und ein gemeinsamer Aufbruch Deutschlands hätten nahegelegen. Statt dessen begann die bis heute anhaltende „Delegitimierung der DDR“. Deren Funktionsträger wurden verfolgt und kriminalisiert. Bis heute vergeht kein Tag, ohne daß die Medien der BRD ihr auf irgendeine Weise eins auswischen würden. Am übelsten agiert die „Stasi“-Unterlagenbehörde. Seit nun schon 24 Jahren ist sie – lebenslänglich und unentrinnbar – ein Käfig für Menschen, welche der DDR die Treue gehalten haben.
Ein konkretes Beispiel der Rachsucht ist die Verfolgung des DDR-Jugendweltmeisters im Eiskunstlauf Ingo Steuer, der als junger Mann eine IM-Erklärung unterschrieb. Nach 1989 führte er seine Sportart in Deutschland wieder zur Blüte. Doch nach wie vor verweigert ihm der Staat BRD die Anerkennung. So sieht die angebliche Einzelfallprüfung in der Praxis aus. Viele ehemalige DDR-Bürger stehen noch immer im gesellschaftlichen Abseits.
Nein, wir LINKEN sollten den Begriff „Unrechtsstaat DDR“ nicht an uns heranlassen. Er war, ist und bleibt ein Kampfbegriff des Monopolkapitals und seiner Politiker gegen den Sozialismus schlechthin.
Ich würde den Thüringer Genossen und allen Sozialisten empfehlen, einen anderen Kampfbegriff für die DDR einzuführen: Erster Sozialstaat in der Geschichte Deutschlands. Die Erfinder der Wortverbindung „Unrechtsstaat DDR“ haben deren positive Eigenschaften ganz tief unter den Teppich gekehrt. Dabei fällt es der BRD doch verteufelt schwer, für jedes Kind einen Krippen- oder Kindergartenplatz zu schaffen. Sie mag nicht an das umfassende Netz von „Polikliniken“ erinnert werden und weicht mit dem Wort „Ärztehäuser“ aus. Die einheitliche Sozialversicherung der DDR ist den Menschen im Westen unbekannt. In der BRD gibt es auch kein Gesetz über die Rechte der Frauen. Ihr ist das DDR-Bildungssystem ohne soziale Diskriminierung ebenso fremd wie der Begriff Kinderferienlager – zwei unserer Klassiker. Einen garantierten Arbeitsplatz zu haben, war bei uns Verfassungsgrundsatz und Verfassungswirklichkeit. Den Bundesbürgern aus dem Westen werden solche und viele andere Tatsachen bewußt vorenthalten. All das ist für mich ein Grund, die Einführung des Kampfbegriffs „Sozialstaat DDR“ vorzuschlagen.
Unseren Genossen in Thüringen empfehle ich, in Regierungsämtern nur Dinge zu beschließen, die jedermann Gutes bringen. Den einstigen DDR-Bürgern aber sollten sie den aufrechten Gang nicht verweigern. Mehr noch: Es müßte eine DDR-Erinnerungskultur geschaffen werden. Den Gedenkstätten für jene, welche sich im antifaschistischen Widerstand aufgeopfert haben, sollte ein Erinnerungskalender hinzugefügt werden – für die Grundsteinlegung zum ersten sozialistischen Wohngebiet einer Stadt, für die Gründung der ersten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft eines Kreises, für den Bau des jeweils ersten Lehrlingswohnheims oder Kindergartens am Ort. Es gäbe da noch eine ganze Menge mehr, woran erinnert werden sollte.
Das im WiedenVerlag Crivitz-Schwerin 2014 erschienene Buch unseres Autors „Erinnerungen eines Chefredakteurs“ (ISBN 978-3-942946-40-7) berichtet von seiner langjährigen Tätigkeit bei der „Schweriner Volkszeitung“ und wird den Lesern des RF sehr als Lektüre empfohlen.
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