Ein großer Verlust
Robert Steigerwald ist tot
Wie wir bereits im Juli-„RotFuchs“ kurz meldeten, ist unser Freund und Genosse Robert Steigerwald am 30. Juni 91jährig in Eschborn gestorben.
Er wurde am 24. März 1925 geboren und wuchs in einer kommunistischen Arbeiterfamilie auf. Nach dem Abitur wurde er zur faschistischen Wehrmacht eingezogen und zum Piloten ausgebildet. Nach kurzem Kriegs-einsatz ging er freiwillig in US-amerikanische Gefangenschaft, aus der er im Mai 1945 floh und nach Frankfurt zurückkehrte. Ein sozialdemokratischer Onkel erklärte ihm, was der Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten sei: Beide hätten dasselbe Ziel, die Sozialdemokraten wollten es auf demokratischem, die Kommunisten auf diktatorischem Weg erreichen. Steigerwald trat in die SPD ein, gründete deren Jugendverband „Die Falken“ mit und wurde in den Vorstand der „Falken“ für die Westzonen berufen.
Er begann, sich mit marxistischer Theorie zu befassen. Steigerwald geriet in Widerspruch zur Politik der SPD. 1947 suchte er das Gespräch mit Kurt Schumacher und fragte ihn, auf welcher Seite die SPD stehen würde, wenn es – wie damals zu befürchten war – zum Krieg zwischen den Westmächten und der Sowjetunion kommen würde. Schumacher antwortete: auf der Seite des von Labour regierten England. Steigerwald verließ die SPD und trat 1948 in die KPD ein. Der Hessische Rundfunk, bei dem Steigerwald als Jugendredakteur tätig war, entließ ihn daraufhin.
Steigerwald hatte bereits während seiner Arbeit beim Radio Geschichte und Philosophie studiert. Die Jahre 1949 und 1950 verbrachte er an der Parteihochschule „Karl Marx“ der SED in Kleinmachnow, anschließend lehrte er dort ein halbes Jahr lang Philosophie.
1951 kehrte er in die Bundesrepublik zurück und beteiligte sich am Widerstand gegen die Remilitarisierung und die Bildung der Bundeswehr. Weil er die von der Adenauer-Regierung verbotene Volksbefragung über die Wiederbewaffnung mit organisierte, wurde er 1953 zum ersten Mal verhaftet. 1956 verurteilte ihn der Bundesgerichtshof zu dreieinhalb Jahren Haft als „Rädelsführer“ in einer „staatsgefährdenden Organisation“. Insgesamt saß Steigerwald wegen seiner politischen Tätigkeit als Kommunist fünf Jahre in Straf- und Untersuchungshaft. In der Haft ließ er sich zum Schriftsetzer ausbilden und nutzte die Zeit zum weiteren Studium des Marxismus-Leninismus.
1951 hatte die Bundesregierung den Antrag gestellt, die KPD zu verbieten. Es dauerte bis 1956, bis das Bundesverfassungsgericht das Verbotsurteil fällte, das die Grundlage für die erneute Verfolgung der Kommunisten werden sollte. Steigerwald war der letzte noch Lebende, der an diesem Prozeß beteiligt war: Er arbeitete in der Arbeitsgruppe des Parteivorstandes der KPD mit, welche die juristische Verteidigung koordinierte und gegen die Begründung des Verbots argumentierte.
Daß seine Partei nun verboten war, hielt Steigerwald nicht davon ab, nach der Haftentlassung die Arbeit wieder aufzunehmen. Er leitete die Abteilung Theorie und marxistische Bildung beim Vorstand der illegalen Partei. 1963 beteiligte er sich daran, die Zeitschrift „Marxistische Blätter“ zu gründen. Später wurde er ihr Chefredakteur und blieb bis zu seinem Tod Mitherausgeber.
Für die wissenschaftliche Arbeit fand er in der DDR, frei von der Verfolgung der Adenauer-Behörden, die besseren Bedingungen vor – 1968 wurde er in der DDR bei Man-fred Buhr mit der Arbeit „Herbert Marcuses dritter Weg“ promoviert (1978 Promotion B zum Dr. sc.). In dieser Schrift kritisiert er die Theorie des zur „Frankfurter Schule“ gehörenden Philosophen Herbert Marcuse, der damals großen Einfluß in der westdeutschen Studentenbewegung hatte. Die Schrift hatte insofern praktisch-politische Bedeutung, als sie auch dazu diente, das Verhältnis der Marxisten zu der Ideologie der „antiautoritären“ Studentenbewegung zu bestimmen. In den 70er und 80er Jahren trat Steigerwald an vielen Universitäten auf – oft auf Einladung des MSB Spartakus –, er diskutierte und stritt mit „antiautoritären“ Studierenden, vertrat marxistische Positionen und suchte gleichzeitig Gemeinsamkeiten zwischen Kommunisten und Studentenbewegung.
Steigerwald setzte sich umfassend mit Marcuses Dialektikverständnis auseinander – insbesondere anhand Marcuses Schriften über Georg Friedrich Wilhelm Hegel, so daß die Schrift über den unmittelbaren Gegenstand hinaus ein Beitrag zur marxistischen Philosophie und zur Auseinandersetzung mit der „Frankfurter Schule“ ist. Steigerwald forschte auf dem Gebiet der marxistischen Philosophie, gleichzeitig arbeitete er dafür, den Marxismus zu verbreiten und besonders für Jugendliche aus der Arbeiterklasse verständlich zu machen. In den späten 1960er Jahren wurde er Vorsitzender des Zusammenschlusses der marxistischen Arbeiterbildungsvereine (MAB).
Er war lange Vorsitzender, zuletzt Ehrenvorsitzender der Marx-Engels-Stiftung. Seine Einführung in die marxistische Philosophie, die unter verschiedenen Titeln, in mehreren Auflagen und Übersetzungen erschien, bietet einen anschaulichen Zugang zu Fragen der marxistischen Dialektik, Erkenntnistheorie und Geschichtsphilosophie.
1968, als sich das Klima in der Bundesrepublik veränderte, nutzten die Kommunisten die Möglichkeit, um trotz KPD-Verbot wieder eine legale kommunistische Partei zu bilden. Sie konstituierten sich neu als DKP. Steigerwald war daran beteiligt, von Anfang der 70er Jahre bis 1990 war er Mitglied des Parteivorstandes der DKP. Neben der philosophischen Forschung und der Verbreitung des Marxismus war die Arbeit an der Programmatik der kommunistischen Partei ein Feld, auf dem Steigerwald jahrzehntelang tätig war. Vor allem arbeitete er den Gedanken aus, daß die Kommunisten dafür eintreten, alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenzuschließen, deren Interessen im Widerspruch zu den größten Banken und Konzernen stehen – den Gedanken der Strategie des antimonopolistischen Bündnisses.
Die sogenannte Wende, das Ende der europäischen sozialistischen Staaten, sah Steigerwald als einen Rückschlag. Für den marxistischen Philosophen änderte das nichts an der Erkenntnis, daß die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft zu ihrer Auflösung durch den Sozialismus drängen. In der Diktion der „FAZ“ (12. 2. 1990) wurden er und Willi Gerns als „zwei dieser alten Schlachtrösser“ qualifiziert, die „in verstocktem Sinne ehrlich“ die Ereignisse in der DDR als „konterrevolutionären Prozeß“ bezeichneten. Die Niederlage von 1989 brachte ihn nicht dazu, den Marxismus aufzugeben – aber dazu, die Grundfragen der marxistischen Philosophie erneut zu stellen. Solange es seine Gesundheit erlaubte, nahm er an der Arbeit der DKP teil, hielt Vorträge und forschte.
Buchtips
Materialistische Philosophie
Eine Einführung für junge Leute
verschiedene Auflagen
Herbert Marcuses dritter Weg
Pahl-Rugenstein-Verlag, Köln 1969
Marxistische Klassenanalyse oder spätbürgerliche Mythen
(Lenin-Verfälschung / Linksrevisionismus / Antikommunismus)
Akademie-Verlag, Berlin 1972
Marxismus – Religion – Gegenwart
Akademie-Verlag, Berlin 1973
(mit W. Gerns)
Probleme der Strategie des antimonopolistischen Kampfes
Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt/Main 1973
(mit J. Milhau)
Lenin und der Revisionismus in der Philosophie
Akademie-Verlag, Berlin 1975
(mit M. Buhr)
Verzicht auf Fortschritt, Geschichte, Erkenntnis und Wahrheit
Zu den Grundtendenzen der gegenwärtigen bürgerlichen Philosophie
Akademie-Verlag 1981
Marxismuskritik heute
Probleme – Widersprüche – Widerlegungen
Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt/Main 1986
Abschied vom Materialismus? Zur Antikritik heutiger Materialismuskritik
2. Auflage, GNN, Schkeuditz 1999
Philosophie und Politik
Festschrift für Robert Steigerwald
Herausgegeben von W. Gerns, H. H. Holz, H. Kopp, Th. Metscher, W. Seppmann
in Zusammenarbeit mit der Marx-Engels-Stiftung, Wuppertal. Neue-Impulse-Verlag, Essen 2005
Das Haus im Sandweg
Eine sozialistische Familienchronik
Neue-Impulse-Verlag, Essen 2008
Nachricht 495 von 2043