Ein PDL-Veteran fragt sich:
Bin ich in der falschen Partei?
Rotes aus Schwarzenberg
Vom Jahrgang 1931, habe ich die Gesellschaftsordnung, in der wir heute zu leben gezwungen sind, als Kind schon einmal kennengelernt. Damals allerdings in der schlimmsten und grausamsten Form des Imperialismus – dem Faschismus.
Als prinzipienfester Kommunist hatte mein Vater 1920 den Lehrer Ernst Schneller in unseren Wohnort Erla geholt, wo beide gemeinsam eine Ortsgruppe der KPD gründeten. Von 1928 bis 1937 war Vater – vermutlich wegen seiner politischen Einstellung – arbeitslos. Ich habe in meiner Kindheit Hunger gelitten. 1937, als ich eingeschult wurde, sah ich das erste Mal ein von meiner Mutter warmgemachtes Stück Jagdwurst auf dem Teller. Das war ein richtiges Festessen.
Am 1. Mai 1945 – der Krieg war im Landesmaßstab noch nicht zu Ende – schmückte mein Vater das Haus, in dem wir zur Miete wohnten, auf der Straßenseite mit Rosetten aus Fichtenreisig-Ästen und hißte die rote Fahne. Eine Nazifahne mit dem Hakenkreuz hatte ich an unseren Fenstern nie gesehen. Nach Kriegsende erzählte mir Vater, daß er 1936 beim Schul- und Heimatfest nachts die Hitlerfahne vom Schulgebäude entfernt und statt dessen die rote aufgezogen habe.
Unlängst verfolgte ich bei Phoenix die Sendung „Wie tickt Putin?“ Während Bundeskanzlerin Merkel, die eigentlich ihre Dankbarkeit dafür äußern müßte, daß sie nach ihrer DDR-Ausbildung in der Sowjetunion weiterstudieren durfte, bei jeder Gelegenheit in äußerst abfälliger Weise über Rußland herzieht, denke ich an den bekannten Ausspruch: „Wenn mich meine Feinde loben, habe ich gewiß einen Fehler gemacht.“ Im Umkehrschluß heißt das: Nehmen mich meine Feinde massiv unter Feuer, dann bin ich auf dem richtigen Weg. Ich gratuliere Putin, auf den das zutrifft.
Doch zurück in das Jahr 1950. Damals bewarb ich mich aus eigenem Entschluß um Einstellung bei der Deutschen Volkspolizei im VPKA Aue. Man nahm mich an. Seit dem Herbst jenes Jahres stand ich gemeinsam mit Sowjetsoldaten am Schlagbaum in Niederschlema, dem Grenzposten zum damaligen Wismut-Sperrgebiet. Die Männer mit dem roten Stern an der Mütze wurden immer um 18 Uhr abgelöst. Ein Lkw vom Typ Molotow mit einem Kastenaufbau brachte den Sergeanten mit fünf Soldaten und nahm die vorherige Mannschaft wieder mit. Die „Russen“ entluden eine Obststiege mit Briketts und eine weitere mit Fleisch, Kartoffeln, Speck und einem Kohlkopf. Dann wurde zunächst der Kochherd im Aufenthaltsraum der Soldaten gereinigt, Feuer angemacht und „Kapusta“ für den Eintopf gekocht, der am Folgetag als Verpflegung diente. Davon bekamen auch wir als VP-Angehörige etwas ab. In aller Regel blieb danach noch ein beachtlicher Rest. Den haben die Soldaten niemals weggeworfen, sondern Straßenpassanten angeboten. In aller Regel wurde die Einladung angenommen, denn bei uns herrschte bis weit in die 50er Jahre noch „Kohldampf“.
So lernte ich das Wesen der Russen kennen. Das führte mich zu dem Schluß: Sie sind von ihrem Nationalcharakter aus herzensgute Menschen, die niemals Krieg wollen.
Andererseits erinnere ich mich auch an meine ersten Begegnungen mit den „Amis“. Sie fanden nachts statt. Wenn die Sirenen heulten, lösten sie Fliegeralarm aus. Bevor die Bomben fielen, setzten die Flugzeugbesatzungen ihrer Orientierung dienende „Christbäume“ – an Fallschirmen hängende Magnesium-Leuchtfeuer. Als Kind sah ich sie über Leipzig, Dresden, Chemnitz und weiteren Städten. Tagsüber erlebte ich Luftkämpfe und beobachtete anglo-amerikanische Bombergeschwader am Himmel. Bei einem meiner Schulfreunde hatte sich eine Frau aus Hamburg einquartiert, die dort ausgebombt worden war. Als die Maschinen wieder einmal über unser Dorf hinwegflogen, stand diese Frau unter der Haustür, rang die Hände und wimmerte: „Mein Gott, mein Gott!“ Die Szene hat sich mir, einem damals zehn- bis zwölfjährigen Jungen, so tief eingeprägt, daß sie mir noch heute vor Augen steht.
Das Dezemberheft des RF hat mich ganz besonders aufgewühlt, erfährt man doch fast nur aus dieser Zeitschrift und der Tageszeitung „junge Welt“, wie die Entwicklung in anderen Teilen der Welt und vor allem auch in Lateinamerika verläuft. Denn bei den Medien des Systems – das Fernsehen vorneweg – wird die fortschrittliche Entwicklung in Bolivien oder Venezuela verschwiegen. Doch es gibt ja glücklicherweise den „RotFuchs“, der uns aus diesem Schweigen erlöst. Da kommt mir noch ein Wort in den Kopf, das mein Leben erleuchtet hat: „Der Marxismus ist allmächtig, weil er wahr ist.“ Meiner Generation können die Philister der bürgerlichen Ideologie nichts von dem ausreden, was wir in der DDR selbst erlebt haben. Sie können diesen Staat noch so sehr in den Schmutz ziehen – unsere Erfahrungen bleiben uns bis zum Tod erhalten. Für mich war es ein großes Glück, 40 Jahre DDR erlebt zu haben. Leider war ich auch Zeuge, als Angehörige der Nachfolgegenerationen ihre Parteibücher haufenweise auf den Tisch warfen, um dann – buchstäblich über Nacht geläutert – mit dem Gesangbuch unter dem Arm in die Kirche zu ziehen.
Ich danke meinem Vater, der mir nach Kriegsende etwas von Mehrwert und der Notwendigkeit erzählt hat, die Expropriation der Expropriateure – auf gut deutsch: die Enteignung der Enteigner – vollziehen zu müssen.
Lese ich im „RotFuchs“ über Gysis jüngste Äußerungen, dann sage ich mir: Du bist wohl in der falschen Partei. Aber nicht weil ich die sogenannte Wende als Konterrevolution verstehe, sondern weil Leute, die sich als Sozialisten ausgeben, die Lehren von Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin mit Füßen treten.
Liebe RF-Leser! Nun habe ich mir alles von der Seele geschrieben, was mich bedrückt hat. Während meiner langjährigen Tätigkeit als Kriminalist verhalf ich dem Recht in einem Rechtsstaat zum Recht. Das Gerede vom Unrechtsstaat prallt an mir ab wie Regentropfen von einer Pelerine.
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