„RotFuchs“ und Busch-Chor:
mein starkes „Geländer“
Monat für Monat verteilt Peter Wokittel bei unseren Proben den „RotFuchs“. Die Exemplare sind immer schnell vergriffen, obwohl viele von uns diese „Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland“ bereits abonniert haben. Letztens kam Hans zu mir: Hast du schon den neuen „RotFuchs“? Er blättert die Seite mit dem Glückwunsch zu meinem Geburtstag auf. Die herzlich warmen, ehrenden Zeilen treiben mir die Tränen in die Augen. Danke dafür, doch vor allem für die klaren richtungweisenden Worte, auf die ich bei jeder neuen Ausgabe begierig warte. Danke auch für die vielen interessanten Beiträge aus allen Himmelsrichtungen.
In dieser schwer erträglichen Zeit könnte man leicht die Orientierung verlieren, kraft- und mutlos werden.
Da braucht man ein Geländer, um sich daran festzuhalten. Ich habe zwei – den „RotFuchs“ und den Ernst-Busch-Chor. Den „RotFuchs“ kennt der Leser, den Chor will ich hier vorstellen. Unser Chor wurde 1973 auf Anregung des Oktoberklubs als Veteranenchor gegründet und trägt seit 1983 den Namen des Sängers und Schauspielers Ernst Busch. Seinem künstlerischen und humanistischen Schaffen fühlen wir uns verpflichtet. Zu unserem Repertoire gehören inzwischen mehr als 200 Lieder aus aller Welt in fast einem Dutzend Sprachen.
Wir singen Friedenslieder, Lieder der Solidarität, der Hoffnung, der Empörung, der Lebensfreude, der Trauer, des Kampfes für Gerechtigkeit, aber auch Volkslieder, Scherzlieder, Liebeslieder und Lieder des klassischen wie des zeitgenössischen Musikerbes von Mozart, Beethoven und Händel über Schwaen bis zu Brecht und Eisler.
Heimat, Proben- und häufiger Auftrittsort ist der Münzenbergsaal im Bürogebäude am Franz-Mehring-Platz, in dem auch das ND seinen Sitz hat.
Zum sozialen Singen waren wir in zahlreichen Seniorenstiften und natürlich bei den Rentnern in der Begegnungsstätte „Stille Straße“. Mitwirken bei der Fête de la Musique und Seniorenchortreffen im Britzer Garten sind selbstverständlich. Die Ehrung zum 35. Todestag von Ernst Busch an der Stele vor dem Friedhof Pankow III, gemeinsame Konzerte mit dem Hans-Beimler-Chor und traditionelle Januarkonzerte im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur sind fest eingeplant. Solidarität ist uns Herzenssache. So sammeln wir für Kuba, laden Flüchtlingskinder ein und beschenken sie, beteiligen uns an Demonstrationen, kaufen Eintrittskarten für Flüchtlingshelfer.
Vor allem aber singen wir. In Dresden war unser Motto: „Der Krieg ist kein Gesetz der Natur, und der Frieden ist kein Geschenk“. Wir unterstützten eine Festveranstaltung des DDR-Kabinetts Bochum und sangen mit dem dänischen Oktoberkoret in Kopenhagen.
Über ein weiteres Konzert schrieb die UZ: „Im themenbezogenen Konzert am Wochenende mit dem Brecht-Eisler-Koor aus Brüssel bestanden rund 60 Sängerinnen und Sänger des gastgebenden Veteranenchors vor großer und mitgerissener Anhängerschaft eine anspruchsvolle Selbstherausforderung im ,International‘, dem repräsentativen Kino an der Karl-Marx-Allee.“
Der Zuschauer G. Sch. schrieb uns dazu: „Ein sehr emotionales Konzert ließ uns die Bedrohung des Friedens fast körperlich spüren. Könnten doch viele Menschen Ihnen lauschen und Ihre Aussagen in Tätigsein umsetzen!“
Zum Tag der Befreiung lud das Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde zu einem Konzert mit Musik von Hanns Eisler und Mikis Theodorakis, mit Texten von Bert Brecht, Johannes R. Becher und Jewgeni Jewtuschenko ein. Auch Gert Natschinski stand auf dem Programm. Der Chor war gut vorbereitet, dennoch machte ich mir Sorgen, als wir lange auf unseren Anschlußzug warten mußten. Wird der Lokführerstreik die Menschen davon abhalten, zu uns zu kommen?
Schon auf dem Weg sah ich viele Leute, die dem ND-Gebäude zustrebten, sich in den Münzenbergsaal drängten. Alle Reihen waren besetzt, auf den Fensterbrettern hockten und vor den offenen Türen standen zahlreiche Zuhörer, selbst beim Einsingen in der Eingangshalle sammelten sie sich, um uns zu hören.
Lange warteten wir auf den Auftritt, die Begrüßungsredner brauchten ihre Zeit. Doch dann waren wir im Saal. Sofort spürte ich den Funken, der im Publikum zündete, zurückschlug und uns anfeuerte – eine beglückende Übereinstimmung. Viele bekannte Lieder wurden mitgesungen, mehr als einmal versetzte mich das in frühere Lebenszeiten.
Ich sang wieder wie 1960 im Studentenchor: Heimat meine Trauer / Land im Dämmerschein / Himmel du mein blauer / du mein Fröhlichsein.
Der Chorleiter, der das damals mit uns einstudierte, war enttäuschenderweise plötzlich „nicht mehr da“. Er war in ein Land gegangen, in dem der 8. Mai kein Tag der Befreiung ist. Wir aber waren auch dieses Mal ganz bei den Menschen im Saal und fragten eindringlich: Meinst Du, die Russen wollen Krieg?
Lied folgte auf Lied, schmerzendes Kreuz und lahme Füße waren vergessen.
Nach der Pause verzauberte Ilja Kurtev mit dem Bajan die Hörer im Saal und uns, die auf dem Flur Wartenden. Als er das russische Soldaten- und Kampflied „Auf dem Weg“ von Wassili Solowjew-Sedoi spielte, sangen wir – und so etwas habe ich noch nie erlebt – hinter der Tür laut mit. Beschwingt ging es zurück auf die Bühne, die Chorstufen hinauf. Wir sangen Schostakowitsch, Eisler, die Völker verbindende Lieder, keine Bitterkeit im Gedenken an die Befreiung.
Wacht auf, Verdammte dieser Erde! Die Menschen im Saal standen und schlossen sich an.
Wieder hatten wir im vergangenen Jahr ein Weihnachtskonzert. So etwas beim Ernst-Busch-Chor? Geht das? Doch, doch, auch das paßt zu uns.
In der Pause wurde ich im Zuschauerraum angesprochen, erhielt Glückwünsche von Bekannten zum freundlichen Geburtstagsgruß im Dezember-RF“. Wie schön, den „RotFuchs“ und meinen Chor so dicht beieinander zu wissen – meine doppelte Orientierung, mein starkes Geländer!
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