RotFuchs 187 – August 2013

Ruth Werners Facetten

Dr. Hans Erxleben

Im Frühjahr 2012 wurde des 105. Geburtstages von Ruth Werner gedacht. Als Ursula Kuczynski geboren, war sie in erster Ehe mit dem Architekten Rudolf Hamburger verheiratet. Ruth Werner diente der Schriftstellerin als Pseudonym. Eigentlich hieß sie – in zweiter Ehe mit dem britischen Kommunisten Len Burton verheiratet – bis zu ihrem Tod am 7. Juli 2000 Ursula Burton. Diese Frau hatte nicht nur verschiedene Namen, sondern auch viele Facetten.

Da ist die aufrechte, standhafte Kommunistin und Internationalistin – mit 17 im KJVD wurde sie 1926 Mitglied der KPD. Wenig später begründete sie die Marxistische Arbeiterbibliothek Berlin und wurde bald deren Leiterin. Sie schrieb auch für die „Rote Fahne“ der Thälmannschen KPD. Nach 20 Jahren im Ausland übersiedelte sie 1950 in die DDR und wurde Mitglied der SED. Ab 1989/90 gehörte sie der PDS und deren Ältestenrat an.

Da ist die verdienstvolle Kundschafterin mit dem Decknamen „Sonja“, die 1930 in China Richard Sorge kennenlernte, der sie für den militärischen Nachrichtendienst GRU anwarb und Informationen für die Sowjetunion sammeln ließ. Später war sie als Funkerin in Polen und der Schweiz für die „Rote Kapelle“ tätig, schließlich von 1941 bis 1950 als Kurier des „Atomspions“ Klaus Fuchs in Großbritannien aktiv. Sie wurde nie entdeckt, nie verraten, nie entschlüsselt und überstand auch alle Säuberungsaktionen in der Stalinschen UdSSR.

Anders als Klaus Fuchs entging sie durch rechtzeitige Warnung und Flucht in die DDR der Verhaftung und Verurteilung. Bei ihrem freiwilligen Ausscheiden aus dem Militärgeheimdienst war sie Oberst.

In der Autobiographie des einst führenden britischen Abwehrmannes Peter Wright „Spy Catcher“ (Spionfänger), die 1987 erschien, heißt es: „Sie war eine der besten, die der russische Geheimdienst jemals hatte. Sie baute hochentwickelte Spionageringe auf, die besten, die die Geschichte jemals kannte und die einen enormen Beitrag zum Überleben der Russen und dem Sieg im Zweiten Weltkrieg geleistet haben.“

Tatsächlich war Ruth Werner im Laufe ihrer Tätigkeit nacheinander an gleich drei Brennpunkten der Aufklärung – mit Richard Sorge in China, mit Sandor Rado in der Schweiz und mit Klaus Fuchs in England – vor Ort. Es ist außergewöhnlich, daß sie nicht bereits nach einem dieser Einsätze als „verbrannt“ galt und zurückgeholt wurde.

Ruth Werner betrachtete sich als Angehörige der Roten Armee. Die von ihrer historischen Mission erfüllte „Agentin der Weltrevolution“ war von einem heute nur noch schwer vermittelbaren Selbstverständnis geprägt – bescheiden bis zur Selbstverleugnung als Kämpferin an der unsichtbaren Front und zugleich anspruchsvoll, im Dienst der Partei tätig zu sein, deren Schweigegebot sie sich bedingungslos unterwarf. Erst ab Mitte der 60er Jahre wurden Kundschafter, beginnend mit der Rehabilitierung ihres Kampfgefährten Richard Sorge, als Helden gefeiert. Sie selbst hat mal von sich gesagt: „Niemand wird von mir verlangen, daß ich mich als Held betrachte, das wäre ja geradezu dumm. Der Kampf gegen Faschismus und Krieg war für uns selbstverständlich, damals schloß er Illegalität und Gefahr mit ein. Das war der Alltag für uns.“ (zitiert nach Eberhard Panitz)

Da ist die populäre Schriftstellerin – ausgebildet als Buchhändlerin, seit 1959 mit vielen Titeln und hohen Auflagen erfolgreich, ab 1977 auch mit ihrem autobiographischen Bericht „Sonjas Rapport“. Das Buch schlug wie eine Bombe ein und wurde über Nacht – bald in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt – zum Bestseller.

Da ist die vielfach Geehrte, 1937 und 1969 mit dem Rotbannerorden der UdSSR ausgezeichnet. Sie erhielt den Karl-Marx-Orden der DDR, den Nationalpreis 1. Klasse und im Jahr 2000 postum den russischen Orden der Freundschaft.

Da ist die mehrfache Mutter – 1931 kam in China ihr Sohn Michael zur Welt, 1936 in Polen ihre Tochter Janina, 1943 in England ihr Sohn Peter.

Und da ist nicht zuletzt die ungewöhnlich mutige Antifaschistin, die jüdische Kommunistin, die geduldige Humanistin, die bescheidene und verschwiegene Frau, die bis in ihre letzten Tage konsequente Linke.

Der Bezirksverband Treptow-Köpenick der Partei Die Linke hat an Ruth Werner, die dort lebte, immer wieder erinnert. 2012 kamen weit über 100 Menschen mit Rosen zu ihrer letzten Ruhestätte. Als Vertreter der Linkspartei habe ich bei all diesen Gelegenheiten erklärt, daß wir uns der Würdigung und Lebensleistung unserer Genossin gestellt haben und weiter stellen werden.

Der Versuch der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick, diese hochverdiente Frau zu ihrem 100. Geburtstag im Mai 2007 durch die Benennung einer Straße oder eines Weges in Nähe ihres Wohnviertels als „Ruth-Werner-Promenade“ zu würdigen, war an den Mehrheitsverhältnissen in der BVV, also am Unwillen anderer Fraktionen gescheitert. Bei einer Unterschriftensammlung hatten sich zuvor fast 700 Bürgerinnen und Bürger für eine solche Promenade am Spreeufer ausgesprochen. Selbst ein damals von der SPD-Fraktion angeregter Kompromiß, eine Info-Tafel vor oder an ihrem Wohnhaus anzubringen, kam nicht zustande, da man sich über den Text nicht zu einigen vermochte.

Die Ablehnung des Ruth-Werner-Antrags wurde in den Medien als „Provinzposse“ und „schäbiges Politspektakel“ kommentiert.

Unmittelbar nach der überaus konfrontativen kommunalpolitischen Auseinandersetzung wurden Überlegungen angestellt, wie künftig an Ruth Werner erinnert werden könne. Zur Ehrung anläßlich ihres 101. Geburtstages wurde von mir schon mal ein provisorisches Schild für eine „Ruth-Werner-Straße“ mitgebracht. Anläßlich der Feier am 9. Mai 2012 im Treptower Park wurde der Festplatz auf Vorschlag der Linken symbolisch als „Ruth-Werner-Platz“ benannt.

Ein unruhiges, abenteuerliches, hochmoralisches, risikoreiches, zeitweilig dramatisch gefährliches und bewundernswertes Leben ist durch jene, die sich noch immer einer Ehrung verweigern, nachträglich in Frage gestellt und ins Gerede gebracht worden. Das hat Ruth Werner nicht verdient. Aber dazu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Unser Autor, dessen Redemanuskript wir verwenden durften, ist Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick.