Scheiterhaufen für den Geist
Am 10. Mai 1933 wurden in Berlin und anderen Universitätsstädten des Landes die Bücher von 94 deutsch- und 37 fremdsprachigen Autoren mit verlogenen Sprüchen ins Feuer geworfen. Ihre Namen sollten ausgelöscht, ihr gesellschaftlicher, humanistischer, moralischer Lebenssinn verfemt werden. Das „Volk der Dichter und Denker“ begann sich selbst den Geist auszutreiben.
In der Mehrheit waren die Täter keine wildgewordenen SA-Männer oder kreischenden Hitleranbeterinnen, die Hand an das Werk von Heinrich und Thomas Mann, Döblin, Brecht und Kästner, Berta von Suttner, Arnold und Stefan Zweig, Tucholsky, Kisch, Weiskopf oder Kellermann legten, die auch vor Hemingway, Sinclair, Barbusse, Hašek und Dos Passos nicht Halt machten. Es waren überwiegend Leute, die sich als geistige Elite der Gesellschaft verstanden – Studenten und Hochschullehrer. Gewiß wurde der Spuk von Goebbels und dessen Ministerium gesteuert, das Feuer geschürt, aber an normalen Tagen saßen die Akteure im Hörsaal oder trugen Talare.
Wenige Monate nach Auslieferung der Macht an die Faschisten wurde das Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft gegründet. In seinem zweiten Rundschreiben kündigte dessen Leiter an: „Die erste Maßnahme wird sein: Öffentliche Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums durch die Studenten der Hochschulen aus Anlaß der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland.“ Die Studenten wurden aufgefordert, ihre eigenen Buchbestände zu säubern, sich die Regale der Bekannten anzusehen und Einfluß auf die öffentlichen Büchereien zu nehmen. Mitte April hängte man in den Universitäten „12 Thesen wider den undeutschen Geist“ aus. In der These 5 heißt es: „Schreibt der Jude deutsch, dann lügt er“ und in der These 7 „Deutsche Schrift steht nur Deutschen zur Verfügung. Der undeutsche Geist wird aus den öffentlichen Büchereien ausgemerzt.“
Unterstützung fand diese widerwärtige Propaganda durch den Börsenverein des Buchhandels. Er beschloß ein „Sofortprogramm“, das unbedingte Gefolgschaft versprach. „Der deutsche Buchhandel begrüßt die nationale Erhebung. Er hat seine Bereitwilligkeit zur Mitarbeit an ihren Zielen alsbald zum Ausdruck gebracht.“ Worin diese Bereitwilligkeit bestand, zeigte sich im Abdruck und in der Verbreitung einer Liste mit 131 geächteten Autoren. Sie bildete die Grundlage für die Bücherverbrennung. Bei der „Säuberung“ der Büchereien und Buchhandlungen sollte nicht nur darauf geachtet werden, „was an Büchern vorn im Laden und in der Auslage vorhanden ist, sondern was in den hinteren Regalen und Räumen steht. Heute haben die Leihbüchereien natürlich durchweg nationale Literatur vorn. Vor wenigen Wochen waren sie fast durchweg noch literarische Bordelle.“
Es wurde zum Kampf gegen den „Kulturbolschewismus“ aufgerufen und ein „Ausleihverbot“ für „bolschewistische, marxistische und jüdische Literatur“ verhängt.
An den Hochschulen wurde die Bücherverbrennung ungeniert und mit deutscher Gründlichkeit vorbereitet. Die Feuer brannten: auf dem Opernplatz in Berlin; auf dem Königsplatz in München; auf dem Schloßplatz in Breslau; vor der Bismarcksäule in Dresden; auf dem Römerberg in Frankfurt. In Rostock hatte man die „Aktion wider den undeutschen Geist“ seit Tagen propagandistisch „begleitet“. Gegen 20.30 Uhr nahmen die „Studentenlehrstürme der SA auf dem tags zuvor nach dem mecklenburgischen Reichsstatthalter der Nazipartei benannten Friedrich-Hildebrandt-Platz in einem Karree Aufstellung.
In dessen Mitte befand sich ein Scheiterhaufen. „Zu dieser Stunde findet in ganz Deutschland die studentische Jugend zusammen, um die beschlagnahmte Schund- und Schmutzliteratur dem Feuer zu übergeben“, verkündete der NSDAP-Landtagsabgeordnete Heinz Bürger. Der Rede folgte das „Horst-Wessel-Lied“ der SA.
Schwerin wollte alles und alle überbieten. Rund um den mitten in der Stadt gelegenen Pfaffenteich standen SA-Männer. Auf einem Floß lagen in einem großen, teergetränkten Haufen die von der Polizei beschlagnahmten Bücher und Schriften. Um 22.15 Uhr erlosch die Straßenbeleuchtung, die SA-Männer entzündeten ihre Fackeln, um den inmitten des Wassers errichteten Scheiterhaufen in Brand zu setzen.
Den Gipfel des faschistischen Wahns aber erlebte Berlin. „Es ist kurz nach Mitternacht. Auf dem Opernplatz tobt ein Spektakel. Man sieht den Feuerschein von weitem. Zehn, zwölf Meter hoch schlagen die Flammen. Acht große Stapel wurden aus meterlangen Holzscheiten errichtet“, las man. Goebbels war gekommen. Er stand auf einem kleinen Podest, beleuchtet von Scheinwerfern mit Blick auf die Flammen, auf die Studenten, die SA-Männer und das erwartungsvolle Publikum. „Als am 30. Januar dieses Jahres die nationalsozialistische Bewegung die Macht eroberte, da konnten wir noch nicht wissen, daß so schnell und so radikal in Deutschland aufgeräumt werden könnte“, berauschte er sich am Erfolg der eigenen Propaganda.
Es gibt einen glaubwürdigen Zeugen für das Geschehen in Berlin: Erich Kästner. Er war bei der Verbrennung dabei. „Meine Bücher wurden auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster-feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend beim Namen. Ich war der einzige der vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen. Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners.“
Ein Großteil der Autoren, die um ihr Leben fürchten mußten, ist nach 1933 ins Exil gegangen. Nach dem Krieg haben sich die Überlebenden mehrheitlich in der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, angesiedelt. Sie erblickten darin ein antifaschistisches gesellschaftliches Gegenmodell zum maßlos schuldig gewordenen deutschen Kapitalismus.
Nach dem Anschluß der DDR an die BRD erfuhr Erwin Strittmatter zu seinem 80. Geburtstag viel Aufmerksamkeit. In seinem letzten Buch „Vor der Verwandlung“ entsetzt er sich darüber, daß „Bücher hie und da … aus Bibliotheken und Buchhandlungen auf die Straße oder in Abfallcontainer geworfen wurden“. Das sei geschehen „nachdem uns der Kanzler die Einheit geschenkt hatte“. Strittmatter ließ wissen: „Dieser Vorgang machte mich nachdenklich und erinnerte mich an eine gewisse Bücherverbrennung.“
Am 1. Mai 1991 öffneten Studenten aus Jena in Espenhain eine Mülldeponie. Sie fanden 10 000 Paletten mit je 1000 bis 1500 Büchern – über zehn Millionen Bände. Das war nicht die einzige Untat. Hinzu kamen massenweise Bücher aus Betriebsbibliotheken, Volksbüchereien, Schulen und Buchhandlungen, die ausgesondert wurden. Kenner der Materie gehen von mehr als 100 Millionen beseitigten Büchern aus.
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