Warum die „Bomeleeërs“ Luxemburg
in Angst und Schrecken versetzten
„Schläfer“ auf Abruf
Im Juni dieses Jahres begann vor Luxemburgs 9. Strafkammer der endlos hinausgezögerte Prozeß gegen zwei als „Bomeleeërs“ (Bombenleger) unrühmlich bekanntgewordene Ex-Gendarmen des Großherzogtums. Den beiden Angeklagten Marc Scheer und Jos Wilmes wird zur Last gelegt, vor rund 30 Jahren eine ganze Serie von Sprengstoffanschlägen auf Hochspannungsmasten, Gasleitungen, Gebäude des eigenen Organs, den Justizpalast, technische Einrichtungen des Flughafens und das Wohnhaus eines hohen Offiziers verübt zu haben. Etwa 20 Straftaten, darunter auch ein Mordversuch, stehen zur Debatte. Bei den Jahre währenden Ermittlungen und Voruntersuchungen zeichnete sich immer deutlicher ab, daß die Täter als Angehörige einer NATO-Schattenarmee gehandelt hatten.
Zwischen Mai 1984 und März 1986 verbreitete die Attentatsserie unter der Bevölkerung des kleinen Landes Furcht und Schrecken. Alles hatte im Januar 1984 mit einer ruchbar gewordenen ominösen Luftfracht begonnen. Sie bestand aus 374 kg Sprengstoff, 100 Metern Zündschnur und 465 Zündern.
Die „Bomeleeërs“ hatten offensichtlich den Auftrag, unter den Luxemburgern eine antikommunistische Angstpsychose auszulösen, da die Attentate von den Medien sofort „linksradikalen Terroristen“ angelastet wurden.
Die seinerzeitige Regierung aus Christdemokraten und Sozialisten verschärfte daraufhin die Sicherheitsvorkehrungen. Gendarmen, Polizisten und Soldaten überwachten fortan sämtliche strategischen Punkte des Großherzogtums wie Brücken, Staudämme, Kraftwerksanlagen, Sendemasten der RTL und Munitionsdepots.
Den Ermittlern gelang es nicht, auf die Spur der Täter zu kommen. Stets entschlüpften sie den Fahndern, die schließlich zu dem Ergebnis gelangten, hier seien Sprengstoffexperten mit Querverbindungen zu den Sicherheitsorganen am Werke gewesen oder hätten sogar auf deren Weisung gehandelt.
Erst am 23. November 2007 wurden die beiden Mitglieder der als „Mobile Brigade“ bekannten Antiterroreinheit der Gendarmerie Scheer und Wilmes festgenommen. Sie leugneten hartnäckig die ihnen zur Last gelegten Taten. Haussuchungen förderten dann die schriftliche Erlaubnis zur Benutzung eines Handbuchs zur Herstellung von Sprengkörpern zutage.
Unmittelbar vor Prozeßbeginn nahm die Angelegenheit einen unerwarteten Verlauf. Am 20. Februar 2013 gab ein früherer Unteroffizier der luxemburgischen Armee, dessen Name ungenannt blieb, gegenüber der RTL die Erklärung ab, in den 80er Jahre seien Soldaten des kleinsten Mitgliedstaates der NATO im Gebrauch von Sprengstoff für Sabotageakte „vor der eigenen Haustür“ unterwiesen worden. Ihn selbst habe man für das Anbringen von Zeitzünderbomben unter Hochspannungsleitungen, Brücken, Tunneln, Sendemasten und Trinkwasserreservoiren ausgebildet. Zu seinem Trupp hätten auch Franzosen und Niederländer gehört. Das „Training“ sei im britischen Ecosse erfolgt. Von aus London gestarteten Maschinen habe man die Kursanten dann mit Fallschirmen über Luxemburg abspringen lassen – „in Begleitung“ von Angehörigen der U.S. Special Forces. Die Teilnehmer seien übrigens durch britische und amerikanische Offiziere ausgewählt worden. Der anonyme RTL-Informant vertrat den Standpunkt, auch die beiden angeklagten „Bomeleeërs“ wären vermutlich in NATO-Objekten auf ihren Einsatz vorbereitet worden.Sehr aufschlußreich ist die Tatsache, daß wesentliche Teile des Belastungsmaterials – darunter 80 besonders wichtige Beweisstücke – auf Drängen von FBI und BKA aus dem Verkehr gezogen wurden und seitdem spurlos verschwunden sind. In einem Falle vernichtete ein Mitarbeiter des luxemburgischen Aufklärungsdienstes SREL sogar wichtige Dokumente und Indizien, die auf eine Verstrickung der „Bomeleeërs“ in Operationen eines besonders anrüchigen NATO-Projekts schließen ließen. Dabei handelt es sich um „Stay behind“ – das Zurückbleiben hinter den gegnerischen Linien.
Dessen Initiatoren hatten für ihre antikommunistischen und antisowjetischen Zwecke auch in Luxemburg ein Netz von „Schläfern“ geschaffen, die im Falle eines unterstellten Überrennens der NATO-Linien durch Truppen des Warschauer Vertrages sofort „aufwachen“ und in Aktion treten sollten. In Vorbereitung auf eine fiktive Situation dieser Art wurden von mehreren NATO-„Partnern“ spektakuläre Bombenanschläge und Attentate inszeniert. In Italien nahmen diese Operationen unter der Kennung „Gladio“ die krasseste Form an. Dort wurde alles getan, um den jahrzehntelang außergewöhnlich starken Einfluß der IKP, auf die in der Regel ein Viertel der Stimmen entfallen war, durch sie diskreditierende Machenschaften zu untergraben.
Bei besonders spektakulären Aktionen der als ultralinks geltenden und zugleich geheimdienstlich unterwanderten „Roten Brigaden“ hatte „Gladio“ die Hand im Spiel. Das gipfelte in der Entführung und Ermordung des dem linken Flügel der Christdemokraten zugeordneten Spitzenpolitikers Aldo Moro. In einem Untersuchungsbericht der italienischen Abgeordnetenkammer hieß es explizit: „Mordanschläge, Bombenattentate und militärische Operationen wurden durch Personen organisiert, ermutigt und unterstützt, welche für inländische Institutionen tätig waren, zugleich aber auch durch Individuen, die mit amerikanischen Geheimdienststrukturen verbunden sind.“
Prof. Daniele Ganser von der Universität Basel – Verfasser des umfangreichen Werkes „Die Geheimen Armeen der NATO“ – stellte fest, von 1945 bis 1990 hätten in sämtlichen NATO-Staaten neben den regulären Truppen der Allianz stets auch als „Stay behind“ oder „Gladio“ bezeichnete Schattenarmeen existiert, die von der CIA und dem britischen MI6 aufgestellt und befehligt worden seien. Ein Sonderbüro im Brüsseler NATO-Hauptquartier habe deren Aktivitäten koordiniert.
RF, gestützt auf einen Beitrag von Herwig Lerouge in „Solidaire“, Brüssel
Nachricht 1817 von 2043