RotFuchs 192 – Januar 2014

Kuba sagt der Medien-Monotonie den Kampf an

Schluß mit Verstaubtem!

Marcel Kunzmann

In Kuba sind die Chefredakteurs-Posten der wichtigsten Tageszeitungen neu besetzt worden. Die Leitung des PCC-Zentralorgans „Granma“ übernahm Pelayo Terry Cuervo, der bis dahin an der Redaktionsspitze von „Juventud Rebelde“ gestanden hatte. An seine Stelle trat dort die bisherige Vizechefin Marina Nenendez Quintero. Die Neubesetzungen erfolgten auf direkte Initiative des Politbüros der PCC, was das Gewicht dieses Schrittes unterstreicht.

Bereits auf der Tagung des Parlaments im Juni 2012 waren unerläßliche Korrekturen in der Pressearbeit thematisiert worden. Kubas Vizepräsident Miguel Díaz-Canel hatte dort betont, man müsse mit Erscheinungen wie falscher Einstimmigkeit und Vorenthaltung von Informationen unverzüglich Schluß machen. Ähnliches ließ auch Raúl Castro verlauten, der den Triumphialismus und die überbordende Apologetik der staatlichen Medien kritisierte. Im Februar 2012 hatte seine Rede vor den Parteitagsdelegierten den Anstoß zur aktuellen Debatte gegeben. „Dabei ist zu fördern, daß Meinungsverschiedenheiten in den Massenmedien mit Natürlichkeit und Respekt ausgetragen werden.“ … Presse und Sender müßten sich „verantwortungsvoll und mit strikter Wahrheitsliebe einbringen, nicht im bürgerlichen Stil, voller Sensationsgier und Lügen, sondern mit geprüfter Objektivität und ohne unnütze Geheimniskrämerei“ hatte Kubas Staatspräsident und oberster Parteiführer damals gefordert. Dazu sei es notwendig, „eine größere Professionalität unter den Mitarbeitern der Presse zu fördern“, wobei man sich der Unterstützung des Journalistenverbandes UPEC gewiß sei.

Die PCC hat in den letzten Jahren immer deutlichere Worte gefunden, um die Mängel und Unzulänglichkeiten ihrer eigenen Medien beim Namen zu nennen. Begriffe wie „falsche Siegesgewißheit“ und „alte Mentalität“ gehörten dabei zum häufig verwendeten Vokabular.

Doch was steckt dahinter?

Die kubanische Medienlandschaft ist weitaus vielfältiger, als es mancher im Ausland erwarten würde. Das Land verfügt über Dutzende regionale Rundfunkstationen, fünf nationale TV-Kanäle, zwei überregionale Tageszeitungen sowie zahlreiche Lokalblätter und Zeitschriften. Während das Fernsehen in den letzten Jahren modernisiert wurde und bald sogar auf Digitalbetrieb umsteigt, befinden sich die Printmedien seit der „Sonderperiode“ nach dem Wegfall der Verbündeten Kubas aus dem RGW in einer bedauerlichen Verfassung. Die Zeitungen wurden ihrer Aufgabe immer weniger gerecht, die Bevölkerung quantitativ und qualitativ mit Informationen zu versorgen. Dazu fehlen ihnen neben ideellen auch materielle Voraussetzungen.

Durch die einschneidende Rationierung von Papier konnte die Auflage der meisten Blätter in den 90er Jahren nicht gehalten werden. Bei der „Granma“ liegt sie derzeit bei etwa 500 000 Exemplaren, bei „Juventud Rebelde“ um die 250 000, am Freitag dann bei 500 000. Diese beiden Zeitungen und das wöchentlich erscheinende Gewerkschaftsorgan „Trabajadores“ müssen ein Land mit mehr als 11 Millionen vollständig alphabetisierten Einwohnern versorgen. Dies führt dazu, daß sie bereits in den frühen Morgenstunden ausverkauft sind. Tageszeitungen haben in Kuba normalerweise acht kleine Seiten. Das fransige Papier ist von äußerst schlechter Qualität, ebenso die verwendete Druckerschwärze. Farben gelangen wenig zum Einsatz.

Die Löhne der Journalisten sind äußerst niedrig. Ein Abteilungsleiter bei „Juven-tud Rebelde“ verdient im Monat umgerechnet 23 Dollar. Wegen des Preises von nur 20 Centavos bringt der tägliche Verkauf wenig und überrascht das Ausmaß staatlicher Subventionierung kaum.

Die meisten Zeitungen, vor allem „Granma“, konzentrieren sich auf offizielle Berichterstattung von Parteitagen, Kongressen, Großveranstaltungen und Staatsbesuchen. Daneben gibt es Lokales, am Wochenende einen Artikel aus der Wissenschaft, zwei Seiten internationale Nachrichten, einen Kultur- und einen Sportteil sowie eine „Erfolgsstory“ aus einem Betrieb. Seit einigen Jahren werden in der Wochenendausgabe auf mindestens zwei Seiten Leserbriefe abgedruckt. Offizielle Meldungen erscheinen in der Regel unkommentiert. Das Problem besteht neben der Auswahl der Inhalte auch im beschönigenden Ton ihrer Aufbereitung. Insgesamt wurde die kubanische Medienlandschaft durch die Sonderperiode in einen Dornröschenschlaf versetzt. Viele Journalisten hinken dem politischen Diskurs eher zwei Schritte hinterher, statt ihn voranzutreiben. Die Folgen sind Entpolitisierung und mangelnde Identifikation mit den eigenen Medien, da diese die tägliche Lebenssituation vieler Kubaner nicht widerspiegeln. Eine Orientierung auf ausländische Quellen ist da unvermeidlich.

Die genannten Mißstände wurden im Juli auf dem 9. Kongreß der kubanischen Journalistenunion UPEC freimütig diskutiert. Miguel Díaz-Canel nahm als Mitglied der PCC-Führung dort kein Blatt vor den Mund. Er äußerte seine Kritik unverblümter denn je und ermutigte den Kongreß zu ehrlicher Selbstbetrachtung. Neben dem Beschluß, ein neues Pressegesetz auszuarbeiten, wurden vor allem grundsätzliche Fragen des kubanischen Journalismus diskutiert: mangelndes Internet, Unterfinanzierung und eine veraltete schönfärberische Denkweise vieler Redakteure und Reporter. Es ging den Delegierten nicht nur um punktuelle Verbesserungen, sondern auch um die Erarbeitung eines neuen Medienverständnisses. „Wir haben oft Argumente durch Propaganda ersetzt“, erklärte Raúl Garces, der neugewählte UPEC-Vizepräsident. Die auf dem Kongreß gehaltenen Grundsatzreden wurden live im nationalen Fernsehen übertragen und lösten in Kuba ein breites Echo aus.

Díaz-Canel stellte in seiner anderthalbstündigen Rede fest: „Wir müssen die Mentalität, die Konzepte ändern. Wir haben bisher Argumente benutzt, die für eine bestimmte Zeit keineswegs falsch waren, aber heute müssen wir sie anders wieder aufgreifen, in anderer Weise interpretieren, weil wir in einer anderen Zeit leben.“

Die prinzipielle Erneuerung der kubanischen Medienlandschaft ist jedenfalls als Aufgabe für die kommenden Jahre von offizieller Seite angenommen worden. Den Worten Díaz-Canels, der als künftiger Nachfolger Raúl Castros gilt, muß nun die Tat folgen. „Ein besserer Journalismus“ – wie es jemand in Havanna ausdrückte – ist möglich. Auch hier gilt Kubas Devise: Venceremos! – Wir werden siegen!