Schulbücher aus der DDR,
auch heute unentbehrlich
Nur noch wenige wissen heute, wie massiv in der alten BRD gegen die DDR gehetzt wurde, wie sehr Anti-DDR-Propaganda Staatsdoktrin war und wie umfassend sie sich im Unterrichtsstoff aller Schulformen fand. (Die anhaltende verheerende Wirkung dieser Hetze wird u.a. an ihren Ergebnissen – etwa einem 1959 im westfälischen Unna geborenen „Historiker“ und Leiter einer Anti-DDR-Gedenkstätte – deutlich.) Ich ging in Bayern von 1957 bis 1969 in die Volksschule bzw. Realschule und hatte seinerzeit keinerlei Vergleichsmöglichkeiten. Inzwischen habe ich mir Schulbücher aus der DDR beschafft und entnahm ihnen statt Hetze Informationen und statt Propaganda nüchterne Fakten – unentbehrlich zur Schließung von Wissenslücken und zum Begreifen von Zusammenhängen.
Im Erdkunde-Lehrbuch für das 7. Schuljahr „Amerika und Polargebiete“, Verlag Volk und Wissen, Berlin/DDR 1953, heißt es über die Lage der Arbeiter in Kanada: „Nach dem zweiten Weltkrieg gab es in Kanada 200 000 Arbeitslose. Später stieg die Zahl der Arbeitslosen auf 450 000. Gleichzeitig zogen auch die Preise für die Waren des täglichen Bedarfs an. In der Zeit von 1945 bis 1950 waren die Preise für Lebensmittel und Bekleidung um 50 bis 100 Prozent gestiegen. Für die überwiegende Mehrheit der werktätigen Bevölkerung Kanadas beträgt die Miete ein Drittel ihres monatlichen Einkommens. Kann ein Mieter seine Miete nicht für einen Monat im voraus bezahlen, so wird er auf die Straße gesetzt.
Die Zeitungen berichten, daß Arbeiter, die ein Alter von über 40 Jahren erreicht haben, keine Arbeit mehr erhalten. In einer Reihe von Industriestädten kommen Arbeiter, die zunächst arbeitslos und dann obdachlos geworden sind, in die Gerichte und bitten darum, sie für ihr Vagabundieren zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen. So hoffen sie, wenigstens für kurze Zeit zu einem Nachtlager und zu einer Mahlzeit, wenn auch zu kärglicher Gefangenenkost, zu kommen.“ – Und im Geschichts-Lehrbuch für das 8. Schuljahr (Verlag Volk und Wissen, Berlin/DDR 1958) erfährt man im Kapitel über die Weimarer Republik und die Sowjetunion: „Um ihr Ziel, die Vorbereitung eines Raubkrieges gegen die Sowjetunion, zu verschleiern, trieben die deutschen Imperialisten eine wüste antisowjetische Hetze. Sie diente zur geistigen Kriegsvorbereitung. Bereits im Dezember 1918 waren die Antibolschewistische Liga und ähnliche Organisationen gegründet worden. Ihre Aufgabe bestand darin, das deutsche Volk mit Lügen und Verleumdungen über die Sowjetunion zu verdummen sowie Spitzeldienste und Terrorakte gegen die revolutionäre Arbeiterschaft zu organisieren. Stinnes, Borsig, Siemens, Vogler und andere Monopolkapitalisten stifteten sofort 500 Millionen RM für einen Antibolschewistenfonds, der den Hetzorganisationen zur Verfügung stand. Seitdem wurden in zahlreichen Büchern, Broschüren, Zeitschriften und Zeitungen die gemeinsten Lügen über die Sowjetunion verbreitet. Um im deutschen Volk Haß gegen das Sowjetvolk und dessen Führer zu säen, behaupteten die Kriegstreiber, die Sowjetunion bedrohe Deutschland und die übrigen europäischen Länder und deren Kultur. Mit dieser Verdrehung der Tatsachen versuchten sie, ihre eigenen Angriffsabsichten zu verbergen.
An der Antisowjethetze beteiligten sich nicht nur die Zeitungen des Hugenberg-Konzerns, sondern auch die sozialdemokratischen Blätter. Den Kriegstreibern gelang es, einen großen Teil des deutschen Volkes zu beeinflussen und seine Meinung mit antibolschewistischen Hetzschriften zu vergiften.“
Gerade dieses Geschichtslehrbuch ist für mich sehr wichtig. Auf 190 Seiten beschreibt es die Zeit von Rußland bis zum Oktober 1917 und schließt mit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Uns wurde im Geschichtsunterricht nur ein Bruchteil dessen, was ich hier gelesen habe, vermittelt.
Über die mir bis dahin unbekannten Verbrechen der Deutschen in der Sowjetunion erfuhr ich: „Ungeheuer groß waren die Zerstörungen in der Sowjetunion. Sie wurden nicht nur durch Kampfhandlungen hervorgerufen, sondern die Hitlertruppen vernichteten absichtlich Städte und Dörfer, wertvolle Kulturdenkmäler und Kultureinrichtungen der Sowjetunion. Folgende Zahlen zeigen das Ausmaß der Zerstörungen vom Kriegsbeginn bis zur Vertreibung der deutschen Truppen aus der Sowjetunion.
Zerstört wurden: 1710 Städte, 4100 Bahnhöfe, 70 000 Dörfer, 65 000 km Gleisanlagen, 31 850 Industrieanlagen, 13 000 Eisenbahnbrücken, 40 000 Krankenhäuser, 15 800 Lokomotiven, 98 000 Kollektivwirtschaften, 42 800 Eisenbahnwagen, 2890 Maschinen- und Traktorenstationen, 9700 Dampfer, 84 000 Schulen und kulturelle Institute, 479 Hafenanlagen, 427 Museen und Sammlungen, 89 Schiffbauwerften, 2766 Kirchen, 7 Millionen Pferde, 17 Millionen Stück Rindvieh, 20 Millionen Schweine und 27 Millionen Schafe und Ziegen wurden geschlachtet und fortgetrieben. Die Zerstörungen und Plünderungen ergeben (nach damaligen Berechnungen, J. W.) einen Schaden von 679 Milliarden Rubel, das ist mehr als das Fünffache des sowjetischen Volkseinkommens vom Jahre 1940.
Am schmerzhaftesten aber ist für das Sowjetvolk der Verlust von 27 Millionen Menschen.“
So eine Aufarbeitung der deutschen Verbrechen am sowjetischen Volk wäre in den Schulen der Alt-BRD unvorstellbar gewesen. Wenn doch einmal die Sprache darauf kam, wurde man schnell als „Nestbeschmutzer“ oder ähnliches diffamiert. Ich bin sicher, daß ein großer Teil der Menschen in Westdeutschland diese Fakten bis heute nicht kennt (und nicht kennen will).
Literatur-Tips
Werner Dorst:
Menschenerziehung in Westdeutschland
Akademie-Verlag, Berlin/DDR 1961, 204 Seiten
Das Demokratie-Verständnis in unseren Schulbüchern
(M. Sperr: Lesebuch-Analysen / G. Bienko: Das Bildungsziel der Geschichtsbücher)
Hrsg. vom Deutschen Freidenker-Verband, LV Bayern, München 1970, 64 Seiten
Kampf der Verdummung!
Materialien einer Schulbuch-Konferenz der DKP
Marxistische Blätter, Frankfurt/M. 1971, 112 Seiten
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