Schulterschluß heißt das Gebot
Wenn im folgenden ganz überwiegend von der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Rede sein wird, dann behalten wir bei der Akzentsetzung auf diese mit 2,2 Millionen Mitgliedern zweitgrößte deutsche Einzelgewerkschaft natürlich auch alle anderen solide Positionen vertretenden Gewerkschafter in verschiedenen Verbänden des DGB im Auge.
Während der vergangenen Monate brachte die Tageszeitung „junge Welt“ wiederholt eine großformatige Annonce mit dem Porträt von Andreas Köhn, einem bekannten Funktionär der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft im Bezirk Berlin-Brandenburg. Unter dem Signum von ver.di traf er die Feststellung: „Diese Finanzkrise ist eine Systemkrise und kein Ausrutscher eines sonst funktionierenden Wirtschaftssystems. Es gibt nichts Sichereres als organisierte Solidarität.“
Derer bedarf es in der Tat mehr denn je, da der „dritte Partner“, der bei allen Tarifverhandlungen zwischen Vertretern der DGB-Gewerkschaften und der BRD-Unternehmerverbände bis zum März 1990 unsichtbar mit am Tisch gesessen hatte, durch den Untergang der DDR weggefallen ist. Dabei war ja der imaginäre „Dritte“ keineswegs eine raffiniert ausgeklügelte Erfindung der DDR-Propaganda, sondern im Westen begrifflich entstanden. Sozialdemokratische DGB-Funktionäre beschrieben damit eine durchaus reale Situation: die Tatsache nämlich, daß die sozialen Errungenschaften und politischen Machtpositionen der Arbeiter und Angestellten im Osten bei jeglichem Tauziehen um Löhne, Gehälter und allgemeine Arbeitsverhältnisse im Westen ein sehr spezifisches Gewicht besaßen. Sie übten indirekt Druck auf die Unternehmerseite aus und stärkten den Gewerkschaftsvertretern so den Rücken.
Während von der DGB-Spitze und den Führungen bedeutender Einzelgewerkschaften mit Vorliebe die Tastatur der Klassenharmonie bedient wird, fehlt es auch nicht an echten Kontrahenten des Kapitals in gewerkschaftlichen Kreisen. So atmen z. B. Initiativen, Denkansätze und Aktivitäten der Einfluß und Gewicht besitzenden Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) durchaus den Geist verantwortlichen Handelns im Interesse der Mitglieder. Eine gehörige Portion Courage bewies auch die Lokomotivführergewerkschaft GDL.
Doch der stärkste Impuls zu größerer Kampfentschlossenheit geht zweifellos von ver.di aus, zu der auch gewerkschaftlich organisierte Journalisten und andere Zeitungsleute gehören. Von keiner Gliederung des DGB wurden so viele Streiks wie von ihr ausgerufen und durchgestanden. Die Arbeitsniederlegungen im Handel, bei der Post und im Kita-Bereich trafen außer der Gegenseite oftmals auch den Lebensnerv großer Teile der Bevölkerung und waren daher nicht besonders populär. Die erzielten Ergebnisse trugen in der Regel, wie bei Arbeitskämpfen häufig, Kompromißcharakter. Obwohl die Medien im Dienste der herrschenden Klasse den Eindruck zu erwecken suchten, das Ansehen der von Frank Bsirske energisch geführten Dienstleistungsgewerkschaft befinde sich im Sturzflug, ging ver.di letztlich gestärkt aus diesen Kämpfen hervor, was ein anhaltender Mitgliederzuwachs beweisen dürfte.
Übrigens widerstand diese Gewerkschaftszentrale im Unterschied zu manchen anderen Verbänden erfolgreicher dem Druck antikommunistischer Stimmungsmacher. Auf dem 4. Ordentlichen Bundeskongreß von ver.di, der im September in Leipzig stattfand, wählten die etwa 900 Delegierten neben anderen bewährten Funktionären auch den Hamburger Olaf Harms, Sekretär für Gewerkschaftsfragen des Parteivorstandes der DKP, in den Gewerkschaftsrat.
Die zwangsläufig verknappte Darstellung der Thematik vermag keineswegs alle in diesem Zusammenhang wichtigen Fragen gründlicher zu beantworten. Beschränken wir uns deshalb auf den Kern des Problems: Es geht um die Frage, ob sich der „RotFuchs“ an die Seite kämpferischer Gewerkschaften wie ver.di stellen sollte. Natürlich sind wir keine Partner jener in der DGB-Bürokratie, die nach dem Motto verfahren, der Wolf möge satt und das Schaf nicht gefressen werden. Doch im Widerstand gegen das Kapital ist der Schulterschluß von Sozialisten, Kommunisten, aufrechten Sozialdemokraten, engagierten Christen, ja allen Antifaschisten und Kriegsgegnern das oberste Gebot. Er kann ohne ein Höchstmaß an Solidarität mit der stärksten Massen- und Klassenorganisation arbeitender Menschen der BRD – den Gewerkschaften – nicht zustande kommen.
Noch ein persönliches Wort: Ich bin seit 1954 gewerkschaftlich organisiert und gehörte lange Zeit der IG Druck und Papier des FDGB an. 1990 wurde ich von meinen Kollegen aus der Redaktion, der Druckerei und dem Verlag des ND in den Betriebsrat gewählt. Mit der Auflösung der Dachorganisation durch den 13. FDGB-Kongreß erhielten die bisherigen DDR-Einzelgewerkschaften die Empfehlung, sich den entsprechenden Gliederungen des DGB anzuschließen. So wurde ich nach den Umstrukturierungen Mitglied von ver.di. Diese Gewerkschaft, deren sehr informative Monatszeitschrift „Publik“ durchaus Maßstäbe eines guten und kämpferischen Journalismus auf seiten der Arbeitenden setzt, betrachte ich wie viele der unseren als einen Verband, dem anzugehören Sinn macht.
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