Sozialismus „mit oder ohne Wertgesetz“?
Im Januar-„RotFuchs“ wiederholt Achim Dippe seinen schon vor Jahresfrist geäußerten Gedanken eines Sozialismus „mit Marktwirtschaft/Wertgesetz“. Damals versprach er sich von mehr (oder überhaupt) Marktwirtschaft im Sozialismus (besonders in der Sowjetunion), daß er (sie) dann den Zwängen des nach außen zu führenden Klassenkampfs, insbesondere mit den USA, besser widerstanden resp. sogar diesen überstanden hätte. Mal abgesehen von diesem Aspekt – ich möchte mich rein sachlich zur Frage Sozialismus „mit oder ohne Wertgesetz“ einmal näher äußern. Auch Achim Dippe klagt Mangel an ausführlicher Diskussion – in der Sowjetunion an sich und in anderen Ländern im besonderen, darunter auch der DDR – ein. Bitte, beginnen wir eine Diskussion, im nachhinein.
Zunächst meine Position: Ich vertrete eine andere Auffassung als Achim Dippe.
D. h. Wertgesetz im Sozialismus geht nicht. Warum nicht? Weil ein anderes ökonomisches Gesetz an seine Stelle treten muß und – getreten ist: das Gesetz der (planmäßigen) proportionalen Entwicklung. Ich klammere das Wort „planmäßige“ ein, nenne das Gesetz an sich nur das proportional die Ökonomie bewegende Gesetz. Warum? Weil es ein Irrtum ist, daß es sich um ein Gesetz handelt, das erst dem Sozialismus, ab seiner planwirtschaftlich bestimmten Periode, zuzuordnen ist. Nein, es beginnt schon im Kapitalismus zu wirken; genauer: Es beginnt mit dem Gesellschaftlichwerden des Charakters der Arbeit, einer höheren Form der gesellschaftlichen Teilung/Aufteilung der Arbeit.
Unter der Bedingung, daß noch das Wertgesetz, also das Gesetz der äquivalenten Aneignung der Arbeit, das gesellschaftlich herrschende ist, erkennen wir den Beginn des Wirkens des proportionalen Gesetzes der ökonomischen Bewegung daran, daß eine zweite Form des Geldkapitals entsteht: das Finanzkapital.
Finanzkapital entsteht dadurch, daß Geld, das über die Realisierung des Wertes von Waren (also des Wertgesetzes) angeeignet wird, nicht so ausgegeben wird, wie es eingenommen wurde. D. h., die Wiederrealisierung des Geldes in Waren unterscheidet sich quantitativ von der Einnahme. Nicht also das Wertgesetz selbst – dieses schafft nur die Voraussetzung, die Realisierung der Ware in Geld –, sondern der Bedarf an Gebrauchswerten für die Erweiterung der Produktion führt zur Verwandlung von Geld in Ware. Das ist der maßgebende Grund dafür, daß sich Wertgesetz und Proportionalitätsgesetz in ihren Wirkungen quantitativ unterscheiden. Der Grund dafür ist aber ein qualitativer, eine andere Form der Bestimmung der Aneignung: Statt Wert sind es Güter. Statt Gegenwart – Zukunft.
Konkret geht es also darum, daß jemand Geld in Besitz genommen hat aufgrund des abstrakten Bezugs zur Arbeit – des Wertes, über das er aber nicht verfügen muß aufgrund des konkreten Arbeitsbezugs – des Bedarfs an Gebrauchswerten. Er verwandelt es in allgemeines, gesellschaftliches Kapital, in Jedermannskapital, konkret aber in Kapital, das solchen Arbeiten zur Verfügung gestellt ist, die überäquivalent (!), also über den Wert hinaus reproduzieren müssen/können. Faktisch ist das Finanzkapital der Vorläufer der Planwirtschaft. Indem diese a priori in bezug auf die Arbeit/konkrete Betriebe mit dem Bedarf an Gütern (die sie zu produzieren hat) operiert, muß sie auch unmittelbar mit einem Geldbedarf operieren, der dieser Aneignung von Gütern entspricht. Statt vermittelndes Finanzkapital zu sein, verwandelt sich Geld in der Planwirtschaft in unmittelbares Finanzgeld. (Solange der Sozialismus noch mit Geld operiert.) Die Voraussetzung, daß Geld zielsicher zugeteilt werden kann, ist eine klare naturale Planung. D. h. Planung existiert in einer ersten Periode des Kommunismus schon in doppelter Form – einer klaren naturalen sowie einer preisgestützten und in Abhängigkeit von letzterer einer bestimmten monetären Planung.
Womit klar ist, daß unter dem Gesichtspunkt der konkreten, proportionalen Bewegung in der Ökonomie es die Form einer vorausgesetzten äquivalenten Bildung und Aneignung von Kapital (oder einfach Geld) gemäß dem Wertgesetz nicht zu geben braucht. Es gibt sie zwar, aber nicht aus ökonomischem Grund!¹ Rein ökonomisch betrachtet kann die Aneignung von Geld (zum Kauf von Gebrauchswerten) auf die proportionale Bewegung der Arbeit reduziert werden. Die äquivalente Aneignung oder das Äquivalenzprinzip kann gesellschaftlich gesehen entfallen.
Warum aber ist es denn im Kapitalismus nicht entfallen? Weil der das private Eigentumsprinzip als sein Produktionsverhältnis fortsetzt und der Wert/das Wertgesetz Arbeit zu diesem Eigentum (Eigentum in abstracto) vermittelt. Das Wertgesetz ist ein Darstellungsgesetz, umgekehrt das Proportionalitätsgesetz ein Bewegungsgesetz. Der Kapitalismus muß noch mit beiden Gesetzen regieren/ regulieren, mit dem proportionalen in Abhängigkeit vom äquivalenten. D. h. mit dem ökonomischen, der Arbeit entsprechenden Gesetz in Abhängigkeit vom äquivalenten, dem Eigentumsgesetz. Der Sozialismus reguliert nur mit dem einen – dem „seinen“. Seinen angeführt deshalb, weil natürlich die Erfordernisse einer zukünftigen Gesellschaft (oder auch Gesetzmäßigkeit) schon in der vorausgesetzten Gesellschaft beginnen – nicht herrschend, aber schon erscheinend. Man muß sie nur erkennen wollen. D. h. faktisch beginnt der Kommunismus vor Existenz seiner Eigentumsverhältnisse. Er ist aus dem Charakter der Arbeit zu erklären, nicht an sich aus dem Eigentum.
Es ist daher ein Irrtum zu sagen, das Gesetz der proportionalen Bewegung/Aneignung sei erst ein Gesetz, das ursächlich auf der Aufhebung des privaten Eigentums an der Arbeit beruht, oder das ideologischen, politischen Grund, Machtanmaßung (durch Staat, Partei oder irgendein „Büro“) zur Ursache hat – nein, es hat seine Ursache in der Arbeit.
Es gibt – bei entsprechender Entwicklung – zwei Bewegungsformen der Arbeit, die eine ist abstrakter, die andere konkreter Natur. Sie unterscheiden sich durch zwei Formen/Gesetze der Aneignung. Man gerät nicht in Regellosigkeit und Willkür, wenn man das eine Gesetz aufgibt, sondern diese Aufgabe (des Wertgesetzes) ist erst im Erscheinen und dann im Übergang zum anderen Gesetz gesetzmäßig enthalten.² Der reale, also planwirtschaftliche Sozialismus wurde dem ökonomischen Gesetz der proportionalen Bewegung dadurch gerecht, daß er mit den unmittelbaren Geldeinnahmen der Betriebe kein ökonomisches Recht mehr verband – weshalb das Wertgesetz sein Dasein auch aushauchte, ohne sonderlich bemerkt zu werden. (Und wer es dennoch noch „sieht“, glaubt es wohl am Preis noch zu „sehen“; aber: dieser ist doch ein Festpreis geworden, und wie kann ein Festpreis ein Wertpreis sein? Es ist in Wahrheit ein der naturalen Verteilung adäquates Geld, also ein „Theaterbillett“.) An die Stelle der bis dato besonderen, privaten Eigentümer war der gesellschaftliche, der Volkseigentümer getreten, er besaß/verfügte über beides zugleich: über Waren/Güter und Geld. Und: Er verteilte Geld, wie er Güter verteilte!³ Wer diesen Unterschied nicht begreift, begreift den Sozialismus – oder einfach den gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, wie er den Produktionsverhältnissen entspricht – nicht.
Was in der Form von Finanzkapital nur begann, wurde im Sozialismus in der Form von Geldfondsbildung für die Betriebe, für deren einfache wie erweiterte Reproduktion, nur vollendet. Wir haben es mit einem geschichtlichen, gesellschaftsübergreifenden Prozeß zu tun, oder eben einem Prozeß, der zwei Gesellschaftsordnungen braucht, um verstanden werden zu können. Die Aneignung des Geldes per Wertgesetz wurde abgelöst durch an den Plan gebundene Aneignung per Geldfonds. Wenn man so will, wandelt der Sozialismus alles Geld in Finanzgeld um. Der Plan übernahm unmittelbar die Funktion, die der Markt nur vermittelt (über die Wertform vermittelt) übernehmen kann. Besser? Schlechter? Aber darum geht es gar nicht. Der Wechsel als solcher ist zu verstehen.
Die nächste Frage wäre nun natürlich die des Preissystems bzw. des Geldmengensystems, aber das ein andermal. Wie „genau“ muß denn ein Preis /ein Geld sein, wenn es nur Gebrauchswerte, also Arbeit in konkreter Hinsicht kaufen darf? Aber bitte: Die Diskussion ist eröffnet.
Anmerkungen
- Der Grund liegt in einer nach dem Leistungsprinzip regulierten Verteilung an Individuen. D. h. Geld setzt an sich das Leistungsprinzip um, mehr nicht. Betriebe bräuchten es bereits nicht mehr.
- Wollten wir ein Wertgesetz im Sozialismus, würden wir beim Geld zur Form des Finanzkapitals zurückkehren müssen!
- Im Plan verschafft sich die Gesellschaft (oder eben das gesellschaftlich planende Organ), eine Vorstellung von ihren ökonomischen Wünschen. Bestimmt sie den Bedarf an Wohnungen auf das Fünffache, ist klar, daß sie den Bedarf an Türschlössern ebenfalls auf das Fünffache zu steigern hat. Ein Äquivalenzprinzip kann einer solchen Anforderung nur entsprechen, indem es praktisch wie faktisch aufgehoben ist. Unter der Bedingung der proportionalen Aneignung der Arbeit kann Äquivalenz nur eine von drei Möglichkeiten sein, bzw. Aneignung kann ganz ohne Äquivalenz auskommen, um der Proportionalität zu entsprechen. Äquivalenz verwandelte sich dann in eine Besonderheit der Allgemeinheit.
Nachricht 188 von 2043