Sport-Senioren bewahren das Vermächtnis antifaschistischer Athleten
In der Weimarer Republik gab es bis zur Machtauslieferung an den Hitler-Faschismus neben bürgerlichen, oft national-konservativen Sportverbänden auch eine starke Arbeitersportbewegung, die eine eigene, meist auf den Breitensport orientierte Kultur pflegte. Sie wurden oft von erfolgreichen Sportlern geleitet, die Kommunisten waren: So Ernst Grube, der seit 1930 die „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“ anführte, Hans Zoschke, Bruno Plache und andere.
Nach Zerschlagung der Nazi-Diktatur wurden diese Traditionen, aber auch fortschrittliches Gedankengut aus den Tagen von Friedrich Ludwig Jahn und Guts Muths auf die Tagesordnung gesetzt. Sportplätze, Stadien, Sporthallen, Schulen, Betriebe in Stadt und Land, Brigaden und Straßen erhielten Namen fortschrittlicher und antifaschistischer Sportler. In den Sportgemeinschaften und Sportverbänden des DTSB der DDR wurden Pokalwettkämpfe, Turniere und Gedenkveranstaltungen zu Ehren von Arbeitersportlern oder von den Faschisten ermordeter Athleten durchgeführt. Das jährlich in Leipzig ausgerichtete „Werner-Seelenbinder-Turnier“ hatte aufgrund seiner weltweiten Resonanz fast den Status einer Weltmeisterschaft. Der Deutsche Ringerbund der BRD wußte 1990 nichts Eiligeres, als dieses Turnier von der Wettkampfliste zu streichen.
Der Freundeskreis der Sport-Senioren Berlin hat sich in engem Zusammenwirken mit der Arbeitsgruppe Sport bei der Gesellschaft für Rechtliche und Humanitäre Unterstützung (GRH) die Pflege der Traditionen des deutschen Arbeitersports und die Wahrung des Andenkens hingerichteter Widerstandskämpfer aus dessen Reihen zu einer wichtigen Aufgabe gemacht. Dazu gehört vor allem die Ehrung Werner Seelenbinders, die eine lange, aber auch wechselvolle Tradition hat. Sie begann im September 1945 mit der feierlichen Beisetzung der Urne im Beisein von 100 000 seiner Gedenkenden, die mit der Umbenennung des Sportparks Neukölln in „Werner-Seelenbinder-Kampfbahn“ verbunden war. Weil der Geehrte aber Kommunist war, tilgten die Westberliner Verwaltungschefs schon 1950 seinen Namen.
Gemeinsam mit unseren Neuköllner Freunden und der VVN-Bund der Antifaschisten ehren wir jährlich am 24. Oktober – dem Tag der Ermordung Werner Seelenbinders – das Andenken dieses herausragenden Ringers und standhaften Genossen. Nicht nur Angehörige des Freundeskreises erinnern bei dieser Gelegenheit an die Mordtat, würdigen das Leben und den Kampf des gefallenen Widerstandshelden.
Eng verbunden mit Werner Seelenbinder war auch das politische und sportliche Wirken Erich Rochlers, der viele Jahre im faschistischen Zuchthaus gequält wurde. Nach 1945 war er ein gefragter Gesprächspartner. Vor Kindern und Jugendlichen schilderte er Episoden aus dem gemeinsamen Sport- und Leidensweg mit Werner Seelenbinder. Erich Rochler war in der DDR Ehrenmitglied des DTSB und des Ringerverbandes der DDR.
Auch Helmut Behrendt, Mitglied der Roten Sporteinheit seit 1931, mußte wegen seines mutigen Auftretens gegen die faschistische Diktatur mehrere Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbringen, wo er seine Haltung tapfer bewahrte. Im KZ Mauthausen gehörte er der Lagerorganisation des Widerstandes an. Als Vizepräsident des Deutschen Fußballverbandes der DDR und Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees der DDR leistete Helmut eine verdienstvolle Arbeit für die internationale Anerkennung des DDR-Sports, gegen die Hallstein-Doktrin. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verlieh ihm den Olympischen Orden in Bronze.
In Würdigung seines Lebensweges erhielt die Schwimmhalle in Berlin-Marzahn nach Helmuts Tod 1985 seinen Namen. Die Bilder- und Schilderstürmer der Konterrevolution vergingen sich auch an seinem Andenken. Sie tilgten den Namen der Sportstätte und entwendeten die Büste des Namensgebers. Das stieß bei uns auf Widerstand. Gemeinsam mit dem Bezirksamt und dem Bezirkssportbund konnten wir 2002 durchsetzen, daß die Schwimmhalle Helmut Behrendts Namen zurückerhielt. Seine Büste steht heute wieder in deren Vorraum. Am 4. September 2015 – dem 30. Todestag des verdienstvollen Genossen – werden wir dort seiner gedenken.
Viele Sportstätten und Einrichtungen trugen den Namen Ernst Grubes, des Leiters der „Kampfgemeinschaft Rote Sporteinheit“. Seit 1933 verfolgt und eingesperrt, starb er 1945 im KZ Bergen-Belsen an Flecktyphus. Seine Lebensleistung wurde mit der Benennung des Magdeburger Stadions gewürdigt. Dessen Vermarktung nach dem Anschluß der DDR an die BRD hatte zur Folge, daß auch der Name dieser Sportstätte unter die Räder geriet. An seinem 70. Todestag im April gedachten die Leipziger Sport-Senioren in der Ernst-Grube-Halle auf dem Gelände der ebenfalls abgewickelten DDR-Hochschule für Körperkultur und Sport dieses herausragenden kommunistischen Widerstandskämpfers.
Kurt Schlosser, des Roten Bergsteigers und Ehrenvorsitzenden des bekannten Dresdner Bergsteiger-Chores, wurde im vergangenen Jahr anläßlich seines 70. Todestages durch Angehörige des Freundeskreises der Sport-Senioren und Chormitglieder gedacht. Schon 2010 hatten 200 Freunde aus Berlin das Traditionskonzert des „Kurt-Schlosser-Chores“ erleben können.
Unser Autor war Generalsekretär des Deutschen Ringerverbandes (DRV).
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