RotFuchs 229 – Februar 2017

Steinmeier, der richtige Mann?

Major a. D. Harry Pursche

Vor drei Jahren erschien in der Edition Berolina eine Broschüre unter dem Titel „Joachim Gauck, der richtige Mann?“ Klaus Blessing und Manfred Manteuffel stellten darin die Frage, ob mit Gauck der richtige Mann auf dem Präsidentenstuhl sitzt. Ein Urteil kann sich jeder selbst bilden.

Heute muß man fragen: Ist es Steinmeier? Ein klares Nein! Meine Begründung:

1. Seine Mitarbeit an der Agenda 2010 ist hinreichend bekannt und muß von mir nicht mehr bewiesen werden. Genausowenig wie die Tatsache, daß diese Agenda Millionen Bürger ein Leben am Rande der Gesellschaft und in der Folge Kinder- und Altersarmut beschert. Ich habe nicht gehört, daß er jemals dagegen opponiert hätte.

2. Wie steht es mit seiner Verantwortung als Außenminister? Steinmeier ist nicht der große Säbelrassler. Bedächtig formulierte mahnende Worte, auch Aktivitäten sprechen für ihn. Warum habe ich aber oft das Gefühl, er betreibt eine Doppelstrategie? Sind es zum Beispiel solche Widersprüchlichkeiten: Einerseits sind seine Aktivitäten beim Zustandekommen des Atomabkommens mit dem Iran zu nennen. Andererseits lagern in Büchel mindestens 20 US-Atombomben, die demnächst modernisiert werden sollen und deren Abwurf Tornadopiloten der Bundeswehr üben. Damit wird u. a. der „Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen“ umgangen. Offiziell ist die BRD keine Atommacht, jedoch verfügt sie mittels „Teilhabe“ über solche Waffen. Das ist politisch unehrlich. Gestützt wird meine Auffassung durch die Entscheidung der Staatsanwalt­schaft, den Heidelberger Friedensaktivisten H. Theisen vom Vorwurf des Verrats von Dienstgeheimnissen freizusprechen. Theisen hatte in einer Flugblattaktion gegen die Modernisierung der ca. 20 Kernwaffen in Büchel aufgerufen. Die „Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden und deren Einsatz durch Bundeswehrsoldaten im Kriegsfall (sei) völkerrechtswidrig“. Wenn dem so ist, wäre doch die Beseitigung des Übels eine Aufgabe für alle Außenminister der BRD gewesen, Herrn Steinmeier eingeschlossen.

Steinmeier behauptet, mit der völkerrechtswidrigen „Annexion der Krim durch Rußland“ und dem ungelösten Konflikt in der Ostukraine sei „die Frage von Krieg und Frieden auf unseren Kontinent zurückgekehrt“. Kleine Nachhilfe in Historie: Mit der völkerrechtswidrigen Aggression der NATO gegen Jugoslawien war sie bereits 1999 auf diesen Kontinent zurückgekehrt. Noch eine kleine Nachhilfe in Sachen Völkerrecht für den derzeitigen Außenminister: Nach dem Maidanputsch war die Abspaltung der Krim (Sezession) die logische, vom überwältigenden Votum der Krimbewohner gedeckte Folge. Selbst der zweite Teil seiner Aussage entspricht nur zur Hälfte der Wahrheit. Sachlich richtig wäre gewesen, zu erwähnen, daß es seitens der Regierung in Kiew erhebliche Defizite bei der Umsetzung des Minsker Abkommens gibt, die man Putin nicht anlasten kann, ohne deren Verwirklichung jedoch der ganze Prozeß stockt.

Mit dem Beitrag „Der Krieg via Ramstein“ im „Spiegel“ 17/2015 wurde öffentlich, was Interessierte längst wußten: gezieltes Töten mittels Drohnen per Fernbedienung. Man kann es auch Mord nennen. Dabei sollte doch von deutschem Boden nie mehr Krieg ausgehen! Natürlich ist er nicht der erste BRD-Außenminister, der nichts dagegen unternimmt – aber immerhin einer von ihnen.

In seinem im Herbst 2016 erschienenen Buch „Europa ist die Lösung“ meint Herr Steinmeier, die Menschen in Europa wollten, daß ein einiges Europa ihre Probleme und damit die europäische Krise löst. So weit, so richtig. Allerdings liegt er voll daneben, wenn er behauptet, daß die Lösung im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik liegt, „auf dem die Bürger seit Jahren mehr gemeinsames Handeln einfordern“. Keine Rede von Demokratiedefiziten und einem Parlament mit nur empfehlenden Befugnissen, kurz dem Fehlen einer echten Gewaltenteilung. Gerade das wurde doch bisher stets als Unterscheidungsmerkmal zwischen Rechts- und „Unrechts“-Staaten gepriesen. Diese Fokussierung auf das Militärische findet sich bei Steinmeier auch an anderer Stelle. So in seiner Schrift „Eine europäische Sicherheitsagenda“. Hier plädiert er u. a. für „einsatzfähige Streitkräfte mit hohem Bereitschaftsgrad …“ sowie für „die Einrichtung ständiger maritimer Einsatzverbände“.

Weiter spricht er sich für verstärkte europäische Verteidigungsanstrengungen aus. Gegen welche Bedrohung werden sie benötigt? Heute gibt es auf unserem Planeten mehr Waffen als am Ende des kalten Krieges. Ist die Welt und damit Europa seitdem sicherer geworden? Steinmeier weiter in einem Anfang September vergangenen Jahres veröffentlichten Beitrag: „Diplomatische Lehren aus der Entspannungspolitik“ mit dem Untertitel „Das Angebot zur Kooperation muß ebenso konkret sein wie die Abschreckung.“ Abschrecken muß ich einen Feind, der mich vernichten will. Will das Rußland? Glaubt Herr Steinmeier selbst an den Mythos einer russischen Bedrohung? Steht „der Russe“ an der Oder, oder stehen Frau von der Leyens Panzer an der russischen Grenze? Wer müßte sich mehr bedroht fühlen? Die mehrfach militärisch überlegene NATO oder die Russische Föderation, die von der NATO im Rahmen der NATO-Osterweiterung von West und Süd umklammert wird. Nach Steinmeiers Diktion ist immer „der Russe“ der Aggressive. Wie in Syrien immer Assad und natürlich auch dort Putin. Wenn man in einer SPD-Regierung unter Schröder war, die sich an dem völkerrechtswidrigen NATO-Überfall auf Jugoslawien beteiligte und damit Deutschland nach der Niederlage im 2. Weltkrieg erstmals wieder kriegsreif machte, sollte es ein Gebot der Vernunft sein, nicht die Krim-„Annexion“ als Abschreckungsvorwand zu nehmen.

Bleibt noch der angeblich gegen iranische Atomraketen geplante und in Teilen bereits fertige Raketenabwehrschirm. Im Juli 2015 wurde das Abkommen zwischen dem Iran und den UN-Vetomächten abgeschlossen. Es wird angenommen, daß der Iran auf lange Zeit nicht in der Lage ist, eine Atombombe zu bauen. Entgegen westlichen Behauptungen hat der Iran bis heute noch keine Interkontinentalrakete getestet – auch nicht seine Mittelstreckenraketen (max. Reichweite 2000 km). Weshalb wird an der Raketenabwehr weitergebaut? Warum setzt sich Herr Steinmeier, der sich um das Zustandekommen des Abkommens mit Iran verdient gemacht hat, nun nicht dafür ein, daß die Raketenabwehr nicht gebaut bzw. wieder abgebaut wird? Das wäre doch ein echtes Angebot, um Rußlands Befürchtungen zu zerstreuen.

3. Ich wünsche mir für das zwar überflüssige, aber hohe Amt endlich einen Bundespräsidenten, dem die verarmten, benachteiligten und abgehängten Schichten am Herzen liegen. Die BRD verlangt nach einem Bundespräsidenten, der sich vorbehaltlos gegen Kriegseinsätze engagiert und nicht nur mit Worten für eine friedlichere Welt eintritt. Der dafür eintritt, die bisher für Rüstungsgüter und Auslandseinsätze verpulverten Milliardensummen künftig für Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen und Alterssicherung einzusetzen. Für all das steht Professor Christoph Butterwegge. Würden die Bundespräsidenten demokratisch gewählt und nicht ängstlich vor der Bevölkerung abgeschirmt von einer Dreiergruppe ausgekungelt, bekäme er meine Stimme. Selbst wenn er nicht Kandidat der Linkspartei wäre. Ich ziehe den Hut vor ihm, daß er sich dieser für ihn aussichtslosen Sache stellt. Butterwegges Programm finde ich überzeugend.

Karikatur: Klaus Stuttmann