Was aus der einstigen Vorbild-LPG Vippachedelhausen
geworden ist
Stieg hier ein Phönix aus der Asche?
Am 11. Juli 2013 erblickte ich nach langer Abwesenheit zum ersten Mal wieder das Ortsschild von Vippachedelhausen im Kreis Weimarer Land. Links der Straße befindet sich die Gartenanlage mit dem feudalen Titel „Am Rittersborn“, rechts der flache Hang, auf dem einst der große Schweinestall der Familie des Genossenschaftsbauern Heinrich Janz stand. Als ich 1961 dort eintraf, betreuten die Eheleute etliche Tiere. Heute sieht man nur noch Gestrüpp und ein paar Obstbäume.
Hinter dem „Rittersborn“ befindet sich der hohe Erddamm des damals mit so viel Mühe angelegten Vippacher Stausees. In ihn floß das Wasser des Wolfsbaches. Ab 1973 konnten so etwa 1600 Hektar unserer Ackerfläche beregnet werden.
Am 29. November 1961 hatte mich der 2. Kreissekretär der Partei an einem neblig-kalten Tag in Vippachedelhausen eingeführt, wo ich dann viele Jahre meines Lebens bei schöpferischer Arbeit verbrachte.
An diesem heißen Julitag – Jahrzehnte nach der Auflösung unserer so erfolgreichen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft – sehe ich mich im Ort um. Viele Häuser sind ansprechend renoviert und farbenfroh gestrichen. Ich parke mein Auto am nicht mit dem Berliner Alex zu verwechselnden Alexanderplatz – dem Dorfzentrum mit Grünanlage und hochgewachsenen Bäumen. Direkt gegenüber befindet sich ein ramponiertes und leerstehendes Gebäude. In ihm befand sich früher die Gaststätte „Zum Adler“. Nun ist das Haus dem Verfall preisgegeben. Der seinerzeitige Eigentümer mit dem Spitznamen „Nuggel“ lebt nicht mehr. Damals hatten wir manchen Streit mit ihm, betrieb er doch das einzige Lokal im Ort, welches über Saal und Vereinszimmer verfügte. Diesen Trumpf spielte „Nuggel“ natürlich gegen uns aus. Die Tatsache, daß wir mit ihm nicht zurechtkamen, beschleunigte die Entscheidung der LPG, sich einen eigenen Saal mit Ausschank zuzulegen. Das war ein sogenannter Schwarzbau, über dessen Varianten der „RotFuchs“ ja bereits seine Leser informiert hat.
Ich setze meine „Recherche“ im Unterdorf fort. Dort befand sich bis 1945 ein Rittergut, das bei der Bodenreform unter die Enteignungskriterien fiel. Die alte Anlage war ein Vierseithof. An der Straße lag das repräsentative Gutshaus, die übrigen drei Seiten waren Viehställen und der Scheune vorbehalten. Unsere LPG, wie die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR kurz genannt wurden, übernahm das gesamte Areal und baute es Schritt für Schritt aus. Später gaben wir die Viehställe auf und nutzten die Räumlichkeiten für Zwecke der Verwaltung des rund 5000 Hektar bearbeitenden sozialistischen Betriebes, der als spezialisierte LPG Pflanzenproduktion Vippachedelhausen landesweit bekannt war. Auf dem großen Hof herrschte damals eine mustergültige Ordnung. Dafür sorgte schon der LPG-Vorsitzende Helmut Steinbrück, der zu den Abgeordneten der DDR-Volkskammer gehörte.
Bei meiner Ankunft fand ich die große Toreinfahrt neben dem einstigen Gutshaus fest verschlossen. Rechts an der Giebelwand sprang mir eine knallbunte, geradezu exotisch anmutende Reklametafel ins Auge. Dazu die Worte: „tirica – ein tiernahes Erlebnis – Erlebniszoo – Bowling – FEWO“. Offen gesagt schockierte mich das ein wenig.
Auf dem einst großen Hofgrundstück herrschte ein heilloses Chaos. Alte, teils defekte landwirtschaftliche Geräte, große runde Strohballen und aller nur denkbare Kram waren über die Fläche verstreut. Das Tohuwabohu betraf auch das alte Gutshaus, das seinerzeit durch die LPG aufwendig renoviert worden war. Es ist jetzt unbewohnt und dem Verfall preisgegeben. Unser mit so viel Kraftaufwand geschaffener Saalanbau ist außer Betrieb.
Der nunmehrige Eigentümer – es handelt sich um den Betreiber von „tirica“ – hält mich nicht gerade freundlich an. Er möchte wissen, was ich hier zu suchen hätte. Meine Erklärung, ich wäre seit 1961 in Vippachedelhausen tätig gewesen, nimmt er nur widerwillig zur Kenntnis. Die Tatsache, daß ich all den Unrat bei ihm gesehen habe, scheint dem Mann absolut nicht in den Kram zu passen. Recht bekümmert verlasse ich diesen Ort, an dem ich in der Zeit des Sozialismus so viele schöne Dinge erlebt habe.
Mein Eindruck ist zunächst: In der Region gibt es offenbar überhaupt keine Landwirtschaft mehr. Wo ist nur die einst so florierende und Maßstäbe setzende Vippacher „Pflanze“ geblieben? Sie verschwand nach der vielgepriesenen „Wende“ offenbar ebenso spurlos wie viele andere Errungenschaften jener Tage. Ohne Zweifel gab es ja genügend Leute im Westen, die unsere Genossenschaften für immer und ewig getilgt sehen wollten. Nach dem „Landwirtschaftsanpassungsgesetz“ der BRD von 1992 wurden die spezialisierten LPG und Volkseigenen Güter (VEG) – solchen Wünschen entsprechend – samt und sonders liquidiert. Schließlich waren sie ja zu ernsthaften Konkurrenten für die westdeutschen Güter und die großen Familienbetriebe geworden. Also weg mit ihnen!
Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Unsere Vippacher Genossenschaftsmitglieder erwiesen sich gegenüber ihren auf der Lauer liegenden Totengräbern als die Klügeren. Kurzerhand nutzten sie die Gesetzgebung der Bundesrepublik und gründeten nach bürgerlichem Recht eine neue Genossenschaft. Wie Phönix aus der Asche stieg die mit Tier- und Pflanzenproduktion befaßte Erzeuger-Genossenschaft Neumark eG empor. Damit hatten die Vippacher, die keine „Neueinrichter“ werden wollten, ihren modernen Großbetrieb samt vieler Arbeitsplätze erhalten.
Darüber, auf welche Weise das geschah und wie dieses Unternehmen heute über die Runden kommt, werde ich den RF-Lesern in der nächsten Ausgabe berichten.
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