Syrien liegt „im Herzen
der Gasreserven des Planeten“
Weitere Flüchtlingsströme aus Syrien, Bombardements sehr unterschiedlicher Allianzen auf die Truppen des IS sowie Städte und Dörfer Syriens, russische Kriegsschiffe und ein von der BRD geführter Marineeinsatz der NATO im Mittelmeer – das sind wohl Gründe genug, um nachzufragen.
Die Erkenntnis: Für Krieg und Vertreibung wiederholen sich Hintergründe, die wir seit langem kennen. Es geht – wie immer – um Ressourcen, um Macht, um künftige wirtschaftliche und politische Vormachtstellung im Nahen Osten und in der Welt. Die Medien der BRD brachten bisher allerdings nur die von außen sichtbaren Folgen des Ringens großer Mächte und Konzerne um Einfluß und Profit, zeigten brutale Handlungen des IS, angreifende Jets, zerstörte Städte und endlose Flüchtlingskolonnen. Sie übertrugen Berichte zur Unterbringung einer Millionenarmee neuer Bürger in fremden Ländern und zu Einsätzen der Bundeswehr in deren Gewässern und auf deren Territorien.
Sie verweisen noch immer nicht auf die wahren Hintergründe dieses die ganze Welt gefährdenden Geschehens.
So bleibt die Frage: Warum steht Syrien – ein Land am Ostrand des Mittelmeeres und die Pforte zum Orient –, das weltpolitisch niemals in Erscheinung getreten ist, plötzlich im Brennpunkt des internationalen Geschehens?
Die Ressourcen der Welt sind im Schwinden. Man spricht von künftigem Mangel an Wasser und Rohstoffen, von steigendem Energiebedarf bei gleichzeitig nachlassenden Vorräten an Erdöl. Im politisch zerrissenen und auf verschiedenen Gebieten allmählich zurückbleibenden Deutschland wird derzeit erbittert um die Nutzung von Solar- und Windenergie contra Atomkraft und Kohle gestritten.
Die weltweit führenden Wirtschafts- und Finanzkreise hingegen sehen schon weiter: Sie streben nach der Kontrolle über die Energieressourcen des 21. Jahrhunderts. Denn: Nur deren Besitz bedeutet den Schlüssel zu künftigen wirtschaftlichen Erfolgen und zu politischer Dominanz.
War das 20. das Jahrhundert des Erdöls, so spricht man vom 21. als dem Jahrhundert der sauberen Energie mit Erdgas auf dem Spitzenrang. Was aus alter Erfahrung auch heißt: Kriege sind fortan wie früher um Erdöl nun um Erdgas möglich.
Und hier kommt Syrien ins Spiel. Das Land liegt – so die Schlagzeilen – „im Herzen der Gasreserven des Planeten“. Weithin bekannt sind bisher nur die Gaslager im Nordwesten Rußlands, „Gasprom“ und der ewige Gaskonflikt mit der Ukraine. Umstritten sind die Pipeline North Stream durch die Ostsee sowie deren Erweiterung durch einen zweiten Strang. Weniger bekannt sind hingegen die Gasvorräte in lran, Irak, Aserbaidschan, Turkmenien, Georgien, Libanon, im Golf von Katar – und eben in Syrien. So lautet eine der Kernfragen der Zukunft: Wer fördert dieses Gas, wer transportiert es, und auf welchen Wegen gelangt es nach Westeuropa, wer verdient daran, und welche Großmacht steht jeweils im Hintergrund?
Derzeit gibt es wirtschaftlichen und politischen Streit u. a. um die Pipelines „Nabucco“ (in Regie der USA und ihrer Verbündeten) und um South Stream (in russischer Regie).
2011 begann die Planung einer Pipeline vom Iran über Irak, Libanon und Syrien. Der entsprechende Vertrag wurde im Juni 2012 durch den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unterzeichnet. Syrien wäre künftig nicht nur Produzent von Erdgas, sondern auch Speichergebiet und Transitstrecke der nahezu wichtigsten Erdgastrasse vom Nahen Osten in Richtung Europa. Es entstünde damit ein neuer geopolitischer Raum größter Bedeutung, von Interesse nicht nur für die erwähnten Länder, sondern auch für weitere Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, darunter die Türkei, Saudi-Arabien, die Emirate am Golf und Westeuropa.
Dieses äußerst wichtige Gebiet aber fiele von Beginn an nicht unter die Regie der USA! Deren nach dem Zweiten Weltkrieg mit Dollars und Diplomatie, Drohung und Flugzeugträgern den Briten entrissene Einflußnahme im Zentrum der Ölpolitik zwischen Kairo, Riad und Teheran schien unerwartet zu bröckeln.
Dazu kam: Rußland, eben kräftig im Aufschwung und mit stabilen Bindungen zu Syrien, würde mit seinen in diesem wichtigen geopolitischen Raum vorgesehenen Pipelineprojekten zum Konkurrenten der USA. Die entsprechende Trasse von Syrien in Richtung Europa begänne in Latakia, dem größten syrischen Hafen, der überdies auch Stützpunkt der russischen Marine im östlichen Mittelmeer ist. Der vor dem Waffenstillstand mit der Regierung in Damaskus und den USA abgestimmte Einsatz der russischen Luftwaffe und der weitere Ausbau dieser Basis deuten an, daß Rußland das strategische Gewicht der Region längst erkannt hat. Die Bitte der syrischen an die russische Regierung um Unterstützung im Kampf gegen den IS kam also nicht ungefähr. Rußland mischte sich im Gegensatz zu westlichen Mächten in der Vergangenheit niemals in die Belange Syriens ein, versteht von der geographischen Nähe her wohl aber besser die Mentalitäten der Region.
Tatsache ist: 2011 begann von Tunesien aus der sogenannte Arabische Frühling, der unterstützt von den USA und der EU nicht nur in Libyen katastrophale Folgen zeitigte. Fast zeitgleich begann – wie zufällig mit der Unterzeichnung des Vertrages von Damaskus zusammenfallend – der Kampf syrischer Oppositioneller gegen die Herrschaft des der religiösen Minderheit der Alawiten angehörenden Präsidenten. Baschar al-Assad wurde alsbald unterstützt von dubiosen Heerscharen aus vielen Ländern herbeigeeilter „Freiheitskämpfer“, deren Motivation von Ort zu Ort, von Stamm zu Stamm und von Konfession zu Konfession kaum unterschiedlicher sein könnte. Damaskus wehrte sich so brutal, wie es angegriffen wurde. Der syrische Bürgerkrieg vermischte sich mit den Kämpfen gegen den nach langjähriger US-Herrschaft im zerfallenen Irak entstandenen IS. Und schon mit diesem Krieg setzten die Flüchtlingsströme ein, deren erste Kolonnen bereits Jahre vor den russischen Luftangriffen Südeuropa erreichten. Niemand wird wohl jemals erfahren, wann, wie und mit welchen Geldern und Waffen andere Staaten oder deren Geheimdienste von Beginn an in die seit 2011 auf syrischem Boden stattfindenden Kämpfe verwickelt waren.
Doch in Syrien geht es in erster Linie um die künftige Vorherrschaft bei der Nutzung des Energieträgers der Zukunft. Den Unterzeichnern des Vertrags von Damaskus schreibt man den Satz zu, Syrien sei „der Schlüssel des neuen Zeitalters“. Erinnert sei auch an die Worte der russischen Zarin Katharina II., der Besitz dieser Region öffne das Tor nach Moskau und zur Seidenstraße.
Den Schlüssel zum Ende dieses Krieges und damit auch zum hoffentlich baldigen Versiegen der Flüchtlingsströme halten also Moskau und Washington in Händen. Denn so, wie sich die Lage in Syrien entwickelt hat, geht es jetzt bereits um nicht weniger als um den Weltfrieden.
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