Systemwechsel statt Klimawechsel!
Während des mehr oder weniger ins Leere gelaufenen vorjährigen Warschauer Klimagipfels zogen am 16. November mehr als 2000 Demonstranten, die über den Verlauf des Treffens empört waren und ihren Forderungen Geltung verschaffen wollten, bei Hundekälte durch die Straßen der polnischen Hauptstadt. In den vordersten Reihen der 700 allein aus Belgien angereisten Umweltaktivisten sorgte ein großes Kontingent von Genossen der Partei der Arbeit (PTB) und ihres weder zu übersehenden noch zu überhörenden Jugendverbandes Comac für eine merkliche Erhitzung der frostigen Atmosphäre. „Systemwechsel statt Klimawechsel!“ lautete ihre Hauptlosung. Andere belgische Zusammenschlüsse waren ebenfalls zahlreich und gut vertreten. Etliche Nichtregierungsorganisationen (NGO) kapitalistischer Staaten mit oftmals allzu deutlichem Regierungshintergrund – sie sind ja besonders aus Afghanistan und Syrien hinlänglich bekannt – distanzierten sich durch demonstrative Abwesenheit von der Willensbekundung.
Bis 2020 soll der CO2-Ausstoß in Europa um ein Fünftel gesenkt werden, wobei er in Belgien seit nunmehr 20 Jahren noch weit über dem kontinentalen Durchschnitt liegt. Bezeichnend für die Situation war übrigens die Tatsache, daß in Warschau parallel zur Debatte über Klimaveränderungen ein von den Umweltschützern heftig attackierter, weil konträre Ziele verfolgender Kohlegipfel stattfand, auf dem die an der massiven Weiterverwendung fossiler Energieträger interessierten kapitalistischen Konzerne paradierten.
Da sich während der beiden Treffen die folgenschwere Tropensturm-Katastrophe auf den Philippinen ereignete, schlugen auch in Warschau die Wogen hoch.
Fast zeitgleich mit den geschilderten Ereignissen beendete das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) die Arbeit an verschiedenen Kapiteln seines alle sieben Jahre vorgelegten Berichts. Obwohl die 5. globale Einschätzung erst im März veröffentlicht werden soll, sind bereits einige fundamentale Untersuchungsergebnisse bekanntgeworden. Die sich fortsetzende allgemeine Klimaerwärmung wird in weiten Regionen der Welt zur abermaligen Zunahme außergewöhnlich starker Niederschläge, in anderen zu neuen Dürrekatastrophen führen. Der ozeanische Meeresspiegel steigt weiter an. Immer mehr Völker oder Teile von ihnen müssen damit rechnen, von solchen Katastrophen betroffen zu werden. Der Druck auf die Landwirtschaft und die Wasserversorgungssysteme nimmt abermals zu. Die Folgen dieser Katastrophen sind die Gefährdung in Küstennähe lebender Menschen und damit verbundene neue Fluchtwellen.
Der IPCC-Bericht spricht – wie aus dem bereits vorliegenden Entwurf entnommen werden kann – von einem Anwachsen der Armut, verstärktem Wasser- und Nahrungsmangel, voraussehbaren Flutkatastrophen bei gleichzeitig anhaltender Versteppung bislang beackerbarer Flächen, einer weiteren Versäuerung der Meere, Überfischung, die zur Stillegung ganzer Fangflotten führt, sowie dem Aussterben von Tierrassen und Pflanzenarten. Doch der Klimawandel hängt nicht nur mit der weiteren Erwärmung der Erde und der Meere zusammen. Auch die natürlichen und die menschlichen Systeme haben nach Auffassung der IPCC ihren Anteil daran. Denn Dürren und daraus resultierende Ernteausfälle führen zu sofortigen Preiserhöhungen für agrarische Produkte, was den ohnehin grassierenden Hunger noch verschärft. Akuter Trinkwassermangel zwingt Betroffene dazu, verunreinigte Reservoire anzugreifen. Im vergangenen Jahrzehnt führten in die Höhe schießende Nahrungsgüterpreise in etlichen Ländern zu Hungerrevolten.
„Der Klimawechsel ist also weder die einzige noch die Hauptursache für die Probleme der Welt“, resümierte auch die kommunistische „People’s World“. „Aber er verschärft alle anderen Notstände, vor allem den Zugang zu Proteinen.“
Längst sind viele Konzerne dazu übergegangen, die Folgen von Umweltveränderungen auf ihre Profiterwirtschaftung zu analysieren. So veröffentlichte z. B. Chevron seine „Prinzipien, um dem Klimawandel zu begegnen“. Darin heißt es: „Eine breite und ausgeglichene Behandlung aller Sektoren der Wirtschaft ist notwendig, um sicherzustellen, daß kein Sektor und keine Company unverhältnismäßig belastet wird.“ Mit anderen Worten: Eigennutz geht vor Gemeinsinn.
So werden sich die Umweltschützer mit der Arbeiterbewegung und anderen fortschrittlichen Kräften verbinden müssen, um wirksam gegen die heuchlerischen „Rettungsbemühungen“ der Konzerne vorzugehen. Wie richtig war da die Losung der belgischen PTB-Genossen, daß es nicht um den Klimawechsel, sondern um einen Systemwechsel geht!
RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel, und „People’s World“, New York
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