RotFuchs 190 – November 2013

Tel Aviv ghettoisiert die Palästinenser

Joachim Augustin

Der Krieg gegen ein kleines Volk ist fast vergessen: der Krieg in Palästina! Israels Regierung Netanjahu  geht es darum, die Araber aus ganz Palästina zu vertreiben. Dabei handelt es sich um ein uraltes Ziel radikaler Zionisten. Schon auf dem 1. Jüdischen Weltkongreß, der 1897 in Basel stattfand, umschrieb Theodor Herzl den von seiner Gruppierung angestrebten künftigen Staat als aus ganz Palästina bestehend, einschließlich Galiläas und Samarias. Da war für die angestammten arabischen Palästinenser schon kein Platz mehr vorgesehen. Doch damals gehörte das Gebiet ja zum Osmanischen Reich, und ein jüdischer Staat war nicht in Sicht. Die Balfour-Deklaration ließ dann erste Konturen einer „nationalen Heimstätte“ der Juden auf dem Boden Palästinas erkennen. Dabei sollten die Rechte aller nichtjüdischen Gemeinschaften, so der Alewiten, Haschemiten, Maroniten, Drusen und Sunniten, nicht beeinträchtigt werden.

Das den Arabern, die bekanntlich ebenfalls Semiten sind, gegebene Versprechen eines solchen Staates wurde indes gebrochen. Strategische Interessen des Westens besaßen Vorrang. Aber auch den Juden, die in immer größerer Zahl in das jetzt britische Mandatsgebiet einwanderten, stand eine Heimat zu. Da sich keine Lösung herbeiführen ließ, mit der alle einverstanden waren, empfahl die Peel-Kommission schon 1938 eine Teilung Palästinas.

Nach dem 2. Weltkrieg ergriff der Tod vom Nahen Osten Besitz. Jetzt begann der Kampf der jüdischen Einwanderer gegen die britische Mandatsregierung. Er wurde in erster Linie von drei Gruppen geführt: der Selbstschutzorganisation Hagana, den beiden terroristischen Organisationen Lohami Herut Israel und Irgun Zwai Leumi unter Menachem Begin. Diese tat sich besonders dadurch hervor, daß sie am 21. Juli 1946 das Jerusalemer King-David-Hotel in die Luft jagte, wobei 96 Menschen ums Leben kamen.

Der Exodus der Palästinenser begann erst nach dem 14. Mai 1948. An jenem Tag hatte David Ben Gurion den Staat Israel proklamiert. Dessen erster Präsident Chaim Weizmann erklärte, Palästina werde „so jüdisch wie England englisch und Amerika amerikanisch“ sein. Was folgte, war die Vertreibung von 850 000 Palästinensern und der sofort einsetzende Siedlungsbau in den durch Israel okkupierten Gebieten.

Nur einmal war man dem Frieden tatsächlich nahe. Premierminister Yitzhak Rabin, einst ein Terrorist, der für die Massaker von Dir Jassin und Mount Scopus Verantwortung trug, bot Jassir Arafat die Hand zur Versöhnung. „Land für Frieden“ hieß die Devise. Die Hoffnung auf Frieden erfüllte damals ganz Palästina. Doch sie starb mit Rabin, den drei Revolverschüsse des Ultranationalisten Jegal Amir niederstreckten.

Seit 1992 vertreibt Israel mit imperialistischer Hilfe vor allem der USA die Palästinenser systematisch aus ihrer Heimat. Und die Welt schaut zu, wie ein kleines Volk seit 60 Jahren verzweifelt einen Platz sucht, wo es in Frieden leben kann – seinen eigenen Staat.

Bald plante man in Tel Aviv den nächsten Angriff auf Länder der Region: Syrien und die Islamische Republik Iran. Da man aber einen Kriegsvorwand brauchte, zeigte Netanjahu der UN-Vollversammlung vorsorglich ein paar Zeichnungen, die Teherans Kernforschungsprogramm ohne Beweise zum Atomwaffenprogramm erklärten. Da fällt einem sofort das LKW-Foto ein, das der USA-Vertreter im UN-Sicherheitsrat als „Beweis“ für Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen präsentierte, die in Irak aber niemals gefunden wurden. Bei all dem ging es allein um den Raub des irakischen Öls.

Wenden wir uns kurz dem Gaza-Streifen zu: Die bei der letzten Strafexpedition mit Bombenterror überzogenen Palästinenser unterdrückt man jetzt mit Armut und Arbeitslosigkeit. Strom gibt es meist nur für einige Stunden am Tag, denn das Kraftwerk, das Gaza Energie liefert, wird mit Kraftstoff betrieben. Dessen Zuteilung aber regelt die israelische Armee, die den Gaza-Streifen durch Einkesselung in ein riesiges Ghetto verwandelt hat. So kann man den Stromentzug – vor allem im Winter – als Waffe benutzen.

Mit ihren großen dunklen Augen blicken die Kinder von Gaza in eine Welt ohne Zukunft. Sie haben das Spielen durch Steinwürfe auf die Okkupanten ersetzt und das Lachen verlernt. Wie soll man auch lachen, wenn der Tod jeden Tag in Gestalt von Killerdrohnen zuschlagen kann. Israels Armee und seine Geheimdienste sind Ankläger, Richter und Vollstrecker der ständig verhängten Todesurteile in einem. Wer in einer solchen Welt lebt, greift unwillkürlich zur letzten Waffe der Verzweifelten: dem Terror. Die Palästinenser wehren sich gegen die Atommacht Israel mit Raketen aus Pappe, Ammoniumnitrat und Klebestreifen. Tod erzeugt immer nur Tod, Gewalt immer nur Gewalt. So schließt sich der Kreis!

Aber es gibt auch ganz andere jüdische Menschen in Israel. Erinnern wir uns an die sieben Piloten, die es im letzten Libanonkrieg ablehnten, Beirut weiter zu bombardieren. Da zählte man bereits 11 000 erschlagene Zivilisten. Oder denken wir an die mutigen israelischen Sanitäter, die nach dem Massaker von Sabra und Schatila am 15. September 1982 gegen den Befehl von General Ariel Sharon in die Lager einrückten, um Säuglingen und Kleinkindern zu helfen. Dessen Armee hatte die 80 000 Flüchtlinge abgeriegelt und sie drei Tage lang umzingelt. Dann schickten die Angreifer christliche Falange-Einheiten vor, um Jagd auf „Terroristen“ zu machen, zu denen man die Opfer des Terrors erklärt hatte.

So steht es um die Palästinenser und deren angestammte Heimat. Wer, wenn nicht wir, hat den Mut, Unrecht beim Namen zu nennen, auch wenn reflexartig das Stigma des Antisemitismus als einzige Erwiderung bleibt, derer sich die Helfer und Beschirmer des israelischen Unterdrückungsapparates bedienen. Wir sollten durch unseren unablässigen Protest dazu beitragen, daß in Palästina statt den Schüssen der Besatzer und Unterdrücker wieder Kinderlachen zu hören ist.