RotFuchs 187 – August 2013

Wie Lehsen vor 23 Jahren unter die Räuber fiel

Tod eines blühenden Dorfes

Siegfried Spantig

Das mecklenburgische Gutsdorf Lehsen, dem nördlicher gelegenen Wittenburg benachbart, machte Mitte des 19. Jahrhunderts als Badeort mit einer Wasserheilanstalt von sich reden. Ein Sproß derer von Laffert, die über Generationen hinweg in Lüneburg mit hohen Ämtern betraut waren, hatte anno 1690 das 3000 Morgen große Rittergut Lehsen erworben. Es blieb bis 1899 in den Händen dieser Familie.

Als Ernst August II. im Jahre 1812 die Erbfolge antrat, war er ganz mit dem Chausseebau im Lande beschäftigt, was viel Geld einbrachte. Nach und nach gefiel ihm Lehsen als Gutsdorf nicht länger. So ließ er es kurzerhand zu einem Bad umgestalten und in Teilen neu errichten. Zuerst entstand nach den Plänen eines Kopenhagener Baumeisters das herrschaftliche Wohnhaus. Es fand damals solchen Anklang, daß es bei der Ausschreibung „Das schönste Landhaus“ den Preis erhielt.

1930 wurde Lehsen von der Aufsiedlungsgesellschaft Deutsche Scholle erworben. Das Haus überdauerte Bankrott und Krieg. Nach der Zerschlagung des Faschismus im Jahre 1945 diente es einige Jahre als Kinderheim, dann folgte Leerstand. Schließlich hieß es beim Rat des Kreises, man müsse das Gebäude abreißen. Dagegen wandte sich der LPG-Vorsitzende Kuhwald, Mitglied der Demokratischen Bauernpartei, der dem Rat des Kreises angehörte: „Gebt uns das für den Abriß vorgesehene Geld, und wir renovieren das Haus, auch durch unbezahlte freiwillige Leistungen“, meinte er. Der Renovierungsgedanke rief den Oberkonservator des Berliner Instituts für Denkmalpflege, Dr. Hugo Namslauer, auf den Plan. „Das Dorfbild mit dem einstigen Schloß, dem Park und dem ,Wildgarten‘, der Niederung des Motelbaches und der begrenzenden Landschaft mit ihrer Feldmark, alten Alleen und Waldstücken stellt eine landeskulturelle Einheit von hohem Rang dar“, erklärte dieser.

Nach der Bodenreform, die zur Aufsiedlung des Gutes führte, hatte man das Ensemble nicht mehr zu pflegen vermocht. Die Blickschneisen waren zugewachsen, der Schloßteich war verschlammt, die verfallene Orangerie abgerissen worden.

Unter Dr. Namslauers Anleitung erfolgte die Jahre beanspruchende Restaurierung. Zunächst gestaltete man die Vorderfront des Hauses und entrümpelte den Schloßteich, wobei 50 Fuhren Müll abgefahren werden mußten. Dann rückte man auch der Hinterfront des Gebäudes zuleibe. Schließlich wurde der Vorplatz renaturiert, ein Springbrunnen angelegt, der Musikpavillon gebaut. Das Ganze krönte man mit der Schaffung von Kulturräumen.

1977 – am Tag der Genossenschaftsbauern und der Arbeiter der sozialistischen Land- und Forstwirtschaft – fand ein erstes Parkfest statt. „Aus Lehsen wollen heute selbst die Jungen nicht mehr weg. Wir haben einen Dorf- und einen Jugendklub, eine sehr aktive Reitsportgemeinschaft“, zitierte die Neue Berliner Illustrierte den Bürgermeister. Sie schrieb: „Lehsen an einem Herbsttag im Oktober. Im Schloß haben sich Ortschronisten, Museumsleiter, Heimat- und Laienforscher der Ur- und Frühgeschichte, die Ehrenamtlichen in Sachen Denkmalpflege aus dem ganzen Kreis versammelt. Lehsen besitzt ein völlig neues Gesicht.“

Doch die Idylle währte nicht ewig. Als die kapitalistische BRD im Zuge der „friedlichen Revolution“ über uns herfiel, geschah das, was Daniela Dahn „die Enteignung des Volkes“ nennt: Das gesamte Volkseigentum fiel den Eroberern in die Hände – auch Haus und Park in Lehsen.

Die neuen Eigner halten das hohe Eingangstor seitdem geschlossen. Der Ort bemüht sich jetzt darum, in die Stadt Wittenburg eingemeindet zu werden, da Lehsen allein nicht mehr lebensfähig ist. Vor allem auch deshalb, weil die jungen Leute das nun völlig kulturlose Dorf fluchtartig verlassen.