Toleranz und Akzeptanz aus der Sicht
eines katholischen Weggefährten
Was ich im folgenden sage, ist kein Selbstmitleid, sondern empfundene Wirklichkeit. Sie erfordert Verhaltensgrundsätze wie Toleranz und Akzeptanz im Umgang miteinander und innerhalb der Gesellschaft.
Als ich vor vielen Jahren junge kubanische Frauen und Männer ohne Sehvermögen betreute, begegnete ich dem Blindsein ganz unmittelbar. Die ersten Unterrichtsstunden sahen mich noch sehr emotional. Junge Menschen voller Hoffnung waren in einem fremden Land und in gewissem Sinne hilflos. Das Licht der Welt erahnend oder die Finsternis akzeptierend – so verlief ihr Leben. Sie trösteten und ermutigten mich, meinen Aufgaben als Lehrer und Freund nachzukommen.
Diese Zeit hat mich sehr geformt. Ich lernte das Licht noch mehr lieben und Menschen achten, die trotz körperlicher Einschränkungen lachen und glücklich sein konnten. Sie waren selbst tolerant und auf die Toleranz anderer angewiesen. Sie konnten zwar laufen, springen oder schwimmen, aber von der Welt sahen sie nur wenig oder überhaupt nichts. Sie hörten und fühlten, suchten Heimstatt und Geborgenheit in Freundschaft und Liebe. Jahrzehnte später gab mir die Erinnerung an diese Zeit viel Kraft. Toleranz heißt für mich zu akzeptieren, ja, mich damit anzufreunden, daß jetzt vieles für mich nicht mehr geht, was anderen möglich ist. Ob Stadtbesuche oder Schaufensterbummel, farbliche Wahrnehmungen beim Wandern oder auf Reisen, sogar bei kurzen Spaziergängen in Parkanlagen – all das ist für mich inzwischen anders geworden. Das Lesen, ja Schmökern in meinen geliebten Büchern gehört längst der Vergangenheit an.
Selbst Bilder meiner liebsten Menschen kann ich nicht mehr im einzelnen erkennen, jedoch mit dem Herzen wahrnehmen. Alles, was mir an visueller Aufnahmefähigkeit noch geblieben ist, erfüllt mich mit Dankbarkeit, doch auch manchmal mit Kummer über die Einschränkung. Toleranz und Akzeptanz im Wechsel von Denken und Fühlen sind deshalb für mich besonders wichtig. Damit sind Kompromisse verbunden, doch die verstehende und belebende Liebe ist das Entscheidende.
Sind solche Erkenntnisse und Erfahrungen nicht auch wichtig, ja lebensnotwendig im gemeinsamen Existieren der Völker und Staaten? Man muß sich ja nicht gegenseitig lieben, um miteinander sprechen und Beschlüsse fassen zu können. Toleranz ist die Achtung vor dem anderen und seinem Anderssein. Akzeptanz und Kompromisse sind daher nicht schlechthin „Kategorien“. Für mich sind sie Orientierungsmarken und Wegweiser.
Was tun, wenn die Basis für Toleranz fehlt, Chancen als vertan erscheinen und Kompromisse nicht in Sicht sind? In solchen Fällen zog ich mich bisher zurück oder begegnete der Situation mit sachlichen Argumenten. Wo Borniertheit, Voreingenommenheit und selbstgefälliger Hochmut den Ton angeben, kommt kein harmonischer Klang zustande. Toleranz muß im Großen wie im Kleinen gewollt sein, dann finden sich auch nach vorn weisende Wege zum Guten. Die Vielgestaltigkeit der menschlichen Lebensbedingungen verlangt das Mühen um Toleranz, ja, wechselseitige Akzeptanz. Doch muß man fragen, ob die gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen und Herrschaftsformen hierzulande geeignet sind, dieser Vision näherzukommen. Ist es denn nicht so, daß die „kleinen“ zwischenmenschlichen Beziehungen vor allem vom Funktionieren der Harmonie im gesamtgesellschaftlichen Großen abhängen?
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