RotFuchs 203 – Dezember 2014

Erich Hackl ging den Spuren der Familie Salzmann nach

Tragik eines Widerstandshelden

Marianne Walz

Was hat ein Kollegen-Mobbing in einem Grazer Kanzleibüro um 1995 mit den Verfolgungen und Massenmorden des längst untergegangenen Nazireiches zu tun? Der nach Tatsachen dokumentarisch gestalteten Geschichte über „Die Familie Salzmann“ setzt der österreichische Schriftsteller Erich Hackl die Kennzeichnung „Erzählung aus unserer Mitte“ hinzu – und geht den Geschehnissen auf den Grund. Die Figur des Hugo Salzmann bildet den Kristallisationspunkt: Er, als deutscher Kommunist ein leidvoll geprüfter Widerstandskämpfer und standhaft auch in der restaurativen Nachkriegs-BRD, zahlt für seine tief verinnerlichte Härte einen hohen Preis: Die Beziehung zu seinem Sohn mißlingt. Einfühlsam beleuchtet Erich Hackl in „Familie Salzmann“ die emotionalen Kosten und Risiken eines ehrenvollen, kompromißlosen Klassenkämpfertums.

„Eine Familiengeschichte …, die quer durch beide deutsche Staaten, durch Österreich, Frankreich, die Schweiz verläuft, über drei Generationen und ein Jahrhundert“, heißt es zusammenfassend im Klappentext der 2010 erschienenen Ausgabe des Züricher Diogenes-Verlages. Der österreichische Autor, Jahrgang 1954, erkundet: Wie und warum hat die beiläufige Bemerkung des Büroangestellten Hanno Salzmann über seine Großmutter, die im KZ leiden mußte, zum zerstörenden Komplott gegen ihn geführt? Hackl folgt zuerst den Spuren jener Großmutter und entwickelt den Erzählstrang bis in die Tiefe der Familienhistorie.

Juliana Sternad hatte eine Jugend in Armut und mit härtester Arbeit hinter sich, als sie 1931 als Neunzehnjährige von der heimatlichen Steiermark aus auf Stellensuche ging. Im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach lernte sie ihren Mann kennen, den Metalldreher Hugo Salzmann. „Für (ihn) gab es … nie einen Moment des Zweifelns, auch nicht die Versuchung, die gesellschaftlichen Verhältnisse als naturgegeben hinzunehmen. … Mit siebzehn wurde er zum Organisationsleiter des Kommunistischen Jugendverbandes, mit zweiundzwanzig zu dem der Kommunistischen Partei gewählt, war Vorsitzender der Roten Hilfe und des Roten Frontkämpferbundes.“

Als begabter Redner, umsichtiger Organisator und geachteter Stadtverordneter wurde er – dieser „Rädelsführer der Kommune“ – den Nazis zum Feind. Noch in der Nacht des Berliner Reichstagsbrandes flieht er, um der sofort einsetzenden Verhaftungswelle gegen führende KPD-Genossen zu entkommen. Er muß Juliana und den drei Monate alten Sohn Hugo verlassen und übersteht in den darauffolgenden 12 Jahren Verfolgung, Illegalität, Exil und Zuchthaushaft. Juliana aber lebt mit dem Sohn jahrelang unter äußerst bedrückenden Bedingungen. Sie begibt sich mit dem kleinen Hugo zuerst an die Saar, später ins Pariser Exil, wo die Familie für kurze Zeit wieder vereint ist.

Hier begegnen die Salzmanns unter anderem der Genossin Lore Wolf, die später in ihrem Buch „Ein Leben ist viel zu wenig“ die Erinnerung wiedergibt „an die Gegenwart einer jungen blonden Frau, die einen Jungen von etwa drei Jahren an der Hand führte, dessen dunkle Augen traurig aus dem kleinen blassen Gesicht schauten“. Salzmann wird 1939 festgenommen und nach Nazideutschland abgeschoben. In der Nacht vor seiner Auslieferung und später noch viele Male quält ihn die Sorge: „Werde ich die Familie noch mal sehen. Werde ich das alles überleben? Da war auch die Fassungslosigkeit darüber, daß deutsche Menschen eine Brutalität duldeten, Verbrechen sahen, sie mitmachten – bis zu ihrer eigenen Vernichtung.“

Julianas Leidensweg führt über das Pariser Polizeigefängnis in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie im Dezember 1944 an Typhus zugrunde geht. So wächst der kleine Hugo bei seiner Tante Ernestine in der Steiermark auf. Als der Nazispuk vorbei ist und der 15jährige seinen Vater 1946 endlich wiedersieht, hat sich dieser mit aller Kraft in die politische Arbeit im heimatlichen Bad Kreuznach gestürzt. Für ein verbindendes Gespräch zwischen Vater und Sohn kann der ältere Hugo keine Zeit und Konzentration aufbringen. Es unterbleibt. Die Entfremdung vertieft sich 1953, als der Jungkommunist und FDJler Hugo Salzmann in die DDR übersiedelt – eine Flucht vor der familiären Misere und aus dem vorerst mißlungenen Berufsstart. Er gerät mitten in die dortigen Nachkriegswirren, die sich im Krisenjahr 1953 verschärft hatten, stößt als Zuwanderer aus dem Westen auf die harten Maßnahmen der Spionageabwehr der DDR und wohl auch auf inkompetente Funktionsträger. Danach beginnt er sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen, heiratet und hat mit seiner Frau zwei Söhne: 1959 zuerst den schwerbehinderten Peter. Die Sorge der jungen Eltern richtet sich auf bestmögliche Behandlung für das Kind. Weil sie sich im westlichen Ausland den Zugang zu medizinischer Hochtechnologie erhoffen, kehren die drei von einem Verwandtenbesuch in Österreich nicht zurück.

Doch Vater Salzmann in Bad Kreuznach hatte eigens wegen dieser Reise für die Zuverlässigkeit seines Sohnes vor den Genossen, jetzt Führungspersönlichkeiten in der DDR, gebürgt. Er beschuldigt diesen des Verrats und bricht mit ihm, von dem er längst innerlich weit entfernt ist. Die Familie bleibt entzweit, auch als 1969 der jüngere Sohn Hanno geboren wird. Nur eine Begegnung hat dieses Kind mit seinem Großvater. 1975 ist Hugo Salzmann der Ältere, gedemütigt von Berufsverbot und Ausgrenzung, Bildhauer geworden. In Holz und Ton formt er nun seine Ideen von Unterdrückung und Widerstand. Eine solche Figur als Großvaters Geschenk wird Hannos einziges Andenken an ihn bleiben.

Hugo Salzmann starb 1979. „Unversöhnt ist er gegangen“, schrieb Lore Wolf. In den Weingärten – einem Stadtteil Bad Kreuznachs – gibt es seit Oktober 2004 eine Hugo-Salzmann-Straße.

Wie der erwachsen gewordene Hanno mit dem jüdisch klingenden Familiennamen im Kollegenkreis als „Buchenwald-Bubi“ geschmäht und schließlich suspendiert wird, weil er sich wehrt, zeigt schlaglichtartig den latenten Antisemitismus in Österreich.

Erich Hackl hat ein Buch voll warmer Teilnahme geschrieben, das konfliktträchtige Momente des Scheiterns und Versagens bewußt nicht ausklammert. Er – ein Nachgeborener – hat damit den Unbeugsamen, ihrem Heldentum und zugleich der bitteren Tragik mancher Lebensläufe ein anrührendes Werk geschaffen.

Erich Hackl:

Familie Salzmann
Erzählungen aus unserer Mitte

Diogenes, Zürich 2012, 184 Seiten

9,90 €