RotFuchs 206 – März 2015

Ein Kreuzanhänger und die Crux der Haßprediger

Über Aufmüpfigkeit und echten Widerstand

Ulrich Guhl

Ich erinnere mich an einen Tag meiner Schulzeit: Ein intoleranter Lehrer riß mir die Kette mit einem Kreuzanhänger vom Hals. Es tat weh, aber mehr noch schmerzten der Schreck und die Verunsicherung. Ich trug das Kreuz, weil es damals unter uns Schülern Mode war. Zwar mit dem Sohn unseres Pfarrers gut befreundet, befaßte ich mich in dieser Zeit noch nicht mit Fragen der Kirche und der Religion. Mein Motiv war jugendlicher Protest.

Wer in Abrede stellt, daß es in der DDR auch Intoleranz seitens staatlicher Stellen oder einzelner Funktionäre gegeben hat, liefert nur den heutigen Gegnern der sozialistischen Idee Munition im Kampf gegen eine gerechte Bewertung der 1989/90 untergegangenen Republik der Arbeiter und Bauern. Ich selbst habe persönliche Demütigungen, sinnlose Schreiattacken aufgebrachter Direktoren oder einzelner Lehrer sowie mit Beklemmung erwartete Elternbesuche wegen von mir aufgeworfener Fragen erlebt. Sie wurden mit der Bezeichnung „Provokation“ einfach abgebügelt. Ja, ich hatte auch manchmal Angst in meiner verschwundenen Heimat, wenn ich es wagte, allzu laut in eine nicht vorgegebene Richtung zu denken. Zur Verzweiflung trieb mich dabei die Erkenntnis, daß ich überhaupt kein Feind der DDR war, sondern einfach nur Probleme zur Diskussion stellen wollte, die mich gerade bewegten. Warum gab es nur ein solches Maß an Engstirnigkeit?

Heute weiß ich, daß sich dahinter die Furcht verbarg, dem Gegner im Westen nur die geringste Schwäche zu offenbaren. Man wollte sich stark und frei von allen Unvollkommenheiten zeigen und bot damit erst recht eine Angriffsfläche. Schlimm war vor allem, daß sich unser Staat durch Ereignisse dieser Art dem Volk immer mehr zu entfremden begann. Der Ausgang des Ganzen ist bekannt.

Wenn ich heute die Frage eigener Erinnerungen an die DDR aufwerfe, dann steht für mich im Vordergrund, daß ich trotz allem niemals ein Gefühl des persönlichen Hasses gegen mich gespürt habe. Ich hatte vielmehr die Empfindung, daß ich einer Macht gegenüberstand, die meine Aufmüpfigkeit nicht zu deuten wußte.

Heute lebe ich in einem Land, wo der Haß auf Andersdenkende, die am linken politischen Ufer angesiedelt sind, zur alles durchdringenden Staatsdoktrin geworden ist. Es handelt sich um ein Land, in dem Leute wie Knabe, Eppelmann oder Gauck mit der Verbreitung von Haß ihr Geld verdienen. Er verschafft ihnen gesellschaftliche Reputation. In der DDR wäre eine solche Einnahmequelle undenkbar gewesen. Wenn dort militante Systemgegner wegen auf Haß beruhenden Taten gegen die DDR von den Behörden verfolgt wurden, dann geschah das in der Regel aus dem Recht jedes Staates, sich mit politischen und juristischen Mitteln zu verteidigen.

Die Existenz der BRD ist – anders als im Falle der späten DDR – derzeit nicht gefährdet. Dennoch benötigt sie eine Unzahl hochsubventionierter Haßprediger aller Ebenen, um ihre angebliche Höherwertigkeit zu erklären. Ich frage mich, was solche Leute wohl täten, wenn sie uneingeschränkte Handlungsfreiheit im Umgang mit jenen besäßen, welche sie so abgrundtief hassen. Mit Sicherheit würden sie in viel schlimmerer Form gerade das tun, was sie der DDR permanent unterstellen. Und ich sehe sie vor meinem geistigen Auge, wie sie sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und bescheinigen, „immer sauber geblieben zu sein“.

Bei professionellen DDR-Ächtern fällt mir auf, daß ihre bloße Existenz ein Widerspruch in sich selbst ist. Da betreibt einer ein früheres Gefängnis als „Gedenkstätte“ für angeblich darin begangenes Unrecht, überzieht aber zugleich Menschen mit Prozessen und Anfeindungen, die seinen missionarischen Haß auf Andersdenkende bloßstellen. Strebt er nicht an, sie ins Gefängnis zu bringen? Da spricht jemand pausenlos von Freiheit, beklagt aber sofort die Freiheit des Gedankens, sobald sich dieser nicht in die von ihm gewünschte Richtung lenken läßt.

Wie unaufrichtig ihre „Ideale“ sind, beweist das Schweigen zu heutigem Unrecht. Wer zum Export militärischer Kräfte der BRD in Kriegszonen schweigt oder ihn sogar begrüßt, kann es mit den Schwertern, die man einst zu Pflugscharen umschmieden sollte, nicht allzu ernst gemeint haben. Ins Auge springt bei solchen Haßpredigern auch, daß sie ohne ihre Staatsreligion – den Antikommunismus und die daraus resultierende Verunglimpfung der DDR – armselige Würstchen wären. Niemand würde sie kennen, keine nennenswerte Leistung würde von ihnen künden.

Hätte es die DDR nie gegeben, dann würde es auch der Berechtigung des Hasses auf sie ermangeln. Der Wegfall hochdotierter Einnahmequellen für Tausende kleiner und großer Hexenjäger wäre die Folge. Warum aber braucht die mächtige BRD, die politisch und ökonomisch fest im Sattel sitzt, ein Ensemble solcher Gestalten, die eher ein Jammerbild von der geistigen Verfaßtheit des Landes bieten? Was sollen all diese Ritter von der traurigen Gestalt?

Aus meiner Sicht gibt es nur einen Grund: Jeder Gedanke des Erinnerns an die DDR als eine Alternative zur Allmacht der Banken und Konzerne soll durch das Wirken solcher Inquisitoren ausgelöscht werden.

Bei alldem fällt mir ein, daß uns in der DDR trotz der eingangs er-wähnten Erscheinungen geistiger Enge die Fähigkeit beigebracht wurde, Dinge zu hinterfragen und gesellschaftliche Zusammenhänge zu ergründen. Heute will man vor allem jungen Menschen die kapitalistische Gegenwart als gottgewolltes Ende der Geschichte verkaufen. Entlarvt man das Tun eines Knabe, dann flüchtet sich dieser panikartig zur Justiz oder in den Dschungel der Konzernmedien. Nichts fürchten solche Leute mehr als ein kluges, aufgeklärtes Volk, das ihr Heucheln nicht ernst nimmt und den Dingen auf den Grund geht.

Der rabiate Lehrer, der mir einst die Kette vom Hals riß, vertrat nicht das, was die DDR ihrem Wesen nach ausmachte. Die Haßprediger von heute aber sind auf dem Nährboden dieser BRD gewachsen und mit ihr identisch.

Tun wir alles, um ihnen die Suppe zu versalzen!