Über echte und faule Kompromisse
Die Einwände Herbert Meißners gegen Ingo Wagners Bewertung der Partei Die Linke im Oktober-RF sind ohne Zweifel zur Unterstützung einer tatsächlich linken Politik entsprechender Kräfte in der PDL von nicht geringer Bedeutung.
Lenin (Moskau 1975) – Foto: W. Metzger
Einige Bemerkungen zum Disput der beiden marxistischen Professoren. Der Vorwurf Herbert Meißners, daß Ingo Wagner pauschal von PDS und PDL ohne Berücksichtigung marxistischer Plattformen und Gruppen in der Partei spreche, ist angesichts der Tatsache zu relativieren, daß die linke und die rechte Grundlinie im Programm durchaus benannt sind. Die Argumente gegen Wagners These, das Erfurter Programm sei ein Kompromißpapier „mit Zügen einer gabelartigen Verzweigung“, bedürfen aus meiner Sicht einer Ergänzung: Die Tatsache, daß das Programm antikapitalistische, sozialpolitische und vor allem friedenspolitische Positionen enthält, ist ohne Zweifel der Wirksamkeit marxistischer Kräfte in den Reihen der PDL zu verdanken. Nur muß zugleich auch gesagt werden, daß die reformistischen Positionen gegenüber dem Programm von 1993 quantitativ und qualitativ an Gewicht zugenommen haben. Der Einfluß der Reformer gegenüber den Vertretern marxistischer Auffassungen ist in der Partei weiter gewachsen, was dazu geführt hat, daß die Anhänger des rechten Flügels die Erfurter Fassung des Programms nicht ernst nehmen. Bei ihren Bemühungen um Regierungsfähigkeit geben sie unverhohlen selbst elementarste Grundsätze preis. Ihre politischen Bekenntnisse und Anschlußbekundungen gelten einer SPD, die spätestens seit Bad Godesberg und Hamburg keine sozialdemokratische Partei mehr ist.
Die Bezugnahme des Genossen Meißner auf die Bemerkung des Genossen Wagner, beim Programm der PDL handele es sich um einen Kompromiß zwischen zwei konzeptionellen Grundlinien, den Lenin als unerläßliches Element jeglicher Politik bezeichnet habe, sollte ebenfalls eine Ergänzung erfahren. Der Hinweis auf Lenin erfordert aus meiner Sicht einige prinzipielle Bemerkungen. Jeder Kompromiß ist eine Vereinbarung auf der Basis von Zugeständnissen beider Seiten, wobei die Absicht unterstellt werden muß, daß diese gleichermaßen Nutzen aus dem Vereinbarten ziehen. Allerdings wird der Kompromiß-Begriff auch bei Lenin bisweilen im Sinne stärker ausgeprägter einseitiger Zugeständnisse gebraucht.
In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß die entscheidenden innerparteilichen Kompromisse der PDL dadurch charakterisiert waren, daß der Rückgang bei der Bundestagswahl 2002 wohl recht bewußt in Kauf genommen worden ist. Es ging um die Ernsthaftigkeit des gegenüber der SPD abgegebenen Bekenntnisses zu deren Innen- und Außenpolitik. Die Parteispitze wollte sich andererseits einer Bundestagsfraktion entledigen, die wegen ihres hohen Anteils an marxistisch gebildeten Genossen nicht genügend reformerkonform war. Aufgrund des massiven Stimmenrückgangs heftig kritisierte Funktionäre kehrten schon bald auf ihre Führungsposten zurück, während die kritischsten Geister ausschieden.
Nachdem der das PDL-Establishment schockierende Wiederaufstieg der Partei unter Oskar Lafontaine zu einem spektakulären Wahlerfolg geführt hatte, wurde der „linkssozialistischen Euphorie“ der Kampf angesagt. Ohne Skrupel mobbte man den Parteivorsitzenden, weil er „die Annäherung an die SPD“ behindere – ein Vorgang, der bei der Bundestagswahl 2013 mit dem Verlust von 30 % der Stimmen bestraft wurde. Mit dem Parteiprogramm 2011 war tatsächlich ein gegenüber der bis dahin gültigen Linie verändertes Papier mit zwei entgegengesetzten Zielstellungen – einer reformistischen und einer sozialistischen – verabschiedet worden.
Ich bin der Meinung, daß die bisher geschlossenen „Kompromisse“ eher auf eine Stärkung der Reformerseite hinausliefen, also aus marxistischer Sicht „faule Kompromisse“ waren.
2015 hat der Bielefelder Parteitag diese Linie pauschal bestätigt. Der Leitantrag und die Parteitagsregie waren ebenso vorgegeben wie Versuche, eine sozialistische Europapolitik zu verhindern. Daß Gregor Gysi seine „Ein-Mann-Show“ zur Verkündung des Rücktritts als Fraktionsvorsitzender darbot, erfolgte – neben persönlichen Motiven – wohl vor allem auch in der Absicht, ein paar Pflöcke für ein künftiges Zusammengehen der PDL mit der SPD und den Grünen zu setzen. Der bisherige Fraktionsvorsitzende wollte das mögliche Scheitern seines Lebenstraumes vom Mitregieren offensichtlich nicht mehr in einer Führungsposition miterleben.
Das markanteste Beispiel für die Funktionsweise der bisher praktizierten innerparteilichen „Kompromißpolitik“ ist aus meiner Sicht der Fall Wolfgang Nescovic. Der PDL-Bundestagsabgeordnete aus der Lausitz mit sicherer Chance, 2013 erneut ein Direktmandat zu erringen, mußte offenbar wegen seiner Kritik an der Demontage des Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine weichen. Allerdings war er auch gegen die prinzipienlose Koalitionspolitik des Brandenburger Landesvorstandes aufgetreten. Mit ihm verlor die Partei ein Mandat und die Fraktion einen klugen und integren Abgeordneten.
Erfreulicherweise gibt es in der PDL neben jenen, welche die bisherige Kompromißpolitik fortsetzen wollen, inzwischen auch den durch die Leipziger Genossen um Volker Külow gegründeten Karl-Liebknecht-Kreis. Von ihm erging der dringende Appell an die PDL-Mitglieder, den „Reformern“ mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten und sie an ihren parteizerstörerischen Absichten zu hindern. Deshalb muß unser Handeln – aus meiner Sicht – vor allem darauf gerichtet sein, diesem Gremium im Kampf gegen die Liquidatoren einer konsequent linken Partei jede mögliche Hilfe zu erweisen.
Rücksichtnahme und diplomatisches Feingefühl gegenüber Leuten, die mit der Erfindung angeblich egalitärer, libertärer, postmoderner und sonstiger Sozialismen samt ihrer „Transformationstheorie“ den PDL-Mitgliedern und -Anhängern die ideologische Orientierung zu nehmen suchen, sind fehl am Platze.
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