RotFuchs 197 – Juni 2014

Was unsere Enkel für einen neuen Anlauf wissen müssen

Über Höhen und Tiefen der DDR

Dieter Knoderer

Mit großem Interesse las ich den Beitrag von Prof. Christa Luft in der RF-Märzausgabe zum Buch der Generaldirektoren Volkseigener Kombinate der DDR „Jetzt reden wir“. Das Thema veranlaßt mich zu einer Wortmeldung. Wenn ich heute als 77jähriger an DDR-Zeiten zurückdenke, dann waren das für mich die inhaltsreichsten Lern- und Lebensjahre. Diplom-Ingenieur und SED-Parteihochschulabsolvent, war ich überwiegend als Parteisekretär verschiedener Ebenen im In- und Ausland tätig. Mit der Konterrevolution, die man gezielt als Wende verklärte, wurde zuallererst der Begriff „führende Rolle der Partei“ aus den wichtigsten staatlichen und politischen Dokumenten entfernt. Anschließend zerschlug man die SED-Grundorganisationen, vor allem jene in der Wirtschaft, und inszenierte eine Hatz auf deren standhaft gebliebene Mitglieder. Sie verlief parallel zur hysterisch entfesselten „Stasi“-Jagd. Bei alldem nutzte man die Unzufriedenheit der Bürger mit der Führung aus und stieß deshalb auf wenig Gegenwehr.

Letztlich wurde dadurch erreicht, daß sogar viele PDS-Mitglieder Angst davor hatten, sich als Sozialisten oder Kommunisten zu bekennen. Unser Klassenfeind – ich benutze bewußt dieses bei manchen inzwischen verpönte Wort – wußte genau, daß man zuerst die SED zerschlagen und die Sozialismus-Ideen aus den Köpfen der Menschen entfernen mußte.

Mich beschäftigen vor allem die Lehren aus dem Untergang der DDR für einen künftigen neuen Anlauf. Neben der „jungen Welt“ wirkt der RF wie ein Leuchtturm, um die Sozialismus-Ideen hochzuhalten. Als sein Leser bin ich dafür dankbar, vor allem aber für die exakten Informationen über den internationalen Klassenkampf.

Inzwischen gibt es mehr Literatur als je zuvor über die DDR. Viele Publikationen widerlegen die Lügen über den sozialistischen deutschen Staat, darunter die These, sie habe von Anfang an eine „verfehlte Wirtschaftsstrategie“ verfolgt und sei am Ende pleite gegangen. Biographien verantwortlicher Genossen belegen indes, daß die DDR das eigentliche Wirtschaftswunder gewesen ist. Die vom Verein zur Förderung lebensgeschichtlichen Erinnerns und biographischen Erzählens gemeinsam mit dem Rohnstock-Verlag ergriffene Initiative, bei der sich auch Prof. Christa Luft und Prof. Jörg Roesler engagieren, finde ich toll. Sie bringt 125 Generaldirektoren zentralgeleiteter Kombinate nach langem Abwarten der meisten zum Reden und Schreiben über ihre Erfahrungen in der sozialistischen Wirtschaft der DDR.

Mir scheint die Zeit herangereift zu sein, auch über die Rolle der Partei in Vergangenheit und Zukunft nachzudenken. Hier ist das Wissen über das Wie die entscheidende Voraussetzung. Dabei sind unsere Enkel aus meiner Sicht die wichtigste Zielgruppe. Ihnen sollten wir auch anhand unserer eigenen Biographien vor Augen führen, wie weit wir in den ersten 25 Jahren der DDR bereits gekommen waren. Damals standen die Menschen ganz überwiegend hinter uns. Wir genossen das Vertrauen der Mehrheit. Ein Beispiel dafür: Das Trafowerk Dresden wurde von der Sabotage des Kupferimports betroffen. Unsere Kollektive der Trafokonstruktion und -montage suchten nach einem Ausweg. Erstmals in der Welt bauten sie einen leichteren Aluminium-Trafo mit gleicher Leistung. Dafür vergab die Leipziger Messe an unseren Betrieb die Goldmedaille. Die Kollegen waren stolz auf ihre Leistungen, ihr Werk und unsere Republik. Sie kamen jetzt nicht mehr „allein des Geldes wegen“ zur Arbeit, sondern in ihr Kollektiv, das auch anständig zu feiern verstand. Es war jene Zeit, in welcher die DDR auf den 10. Platz in der Weltrangliste der Industriestaaten vordrang.

Für die Enkel habe ich die Geschichte meines Lebens aufgeschrieben. Auch andere ehemalige Parteisekretäre sollten ihre Gedanken zu Papier bringen, solange sie das noch können. Vor allem darüber, wie es besonders in der ersten Hälfte des Bestehens der DDR weitaus besser als später gelang, einen großen Teil der Menschen für unsere Vorstellungen und Ziele zu gewinnen.

In der zweiten Hälfte des Bestehens der DDR haben wir als Partei tragisch versagt, was neben dominierenden äußeren Faktoren nicht unmaßgeblich zum Untergang unserer Republik beigetragen hat. Das einzugestehen, erfordert die Ehrlichkeit.

Als sich die äußeren Bedingungen der DDR durch den verstärkten Wirtschaftskrieg und die Importausfälle aus den Bruderländern immer mehr zuspitzten, wäre eine offene Aussprache mit der Bevölkerung, besonders den Werktätigen, über Auswege und Lösungen dringend notwendig gewesen. Die Karten gehörten auf den Tisch. Über eine ungeschönte und rückhaltlos aufrichtige Information zum Ernst der Lage hätte sich vermutlich neues Unterstützungspotential erschließen lassen. Die kubanischen Genossen haben anderen vorgemacht, wie man in kritischen Situationen handeln sollte.

Leider untergruben die in der DDR immer stärker betriebene Schönfärberei und überhebliches Reglementieren wesentlicher Teile des Parteiapparates die Verbindung zu den Genossen der Basis, zur Bevölkerung und vor allem zu vielen engagierten Arbeitern und LPG-Bauern.

Als immer mehr DDR-Bürger Veränderungen einforderten und verlangten, unsere Gesellschaft transparenter, demokratischer und effizienter zu gestalten, war es bereits zu spät. Der Massenbewegung sich berechtigt zu Wort Meldender wurde durch feindliche Kräfte sehr schnell das Heft aus der Hand genommen. Eine reale Chance zur Verteidigung der DDR bestand vor allem angesichts ihrer von der letzten sowjetischen Führung betriebenen Preisgabe an die BRD und der sukzessiven Auflösung der sozialistischen Staatengemeinschaft nicht mehr. Der Untergang der DDR und der anderen Länder des RGW wie des Warschauer Vertrages war damit besiegelt, der Weg für die Konterrevolution frei.

Wir sollten unsere Erkenntnisse über die ideologische Arbeit der Partei in den verschiedenen Etappen offen darlegen. Dabei geht es sowohl um positive wie negative Erfahrungen, in erster Linie aber um die Qualität politischer Führungsarbeit und deren Akzeptanz durch die Basis.

Dieter Knoderer:

Arbeiterjunge – Botschaftsrat – Hausmeister
Ein unzeitgemäßer Lebenslauf

GNN-Verlag, Schkeuditz 2014, 264 S.
ISBN 978-3-89819-409-9

15,00 €