Über Landpartien gestern und heute
Das Thema, das unserem Zirkel schreibender Senioren vor geraumer Zeit gestellt wurde, hieß „Eine Landpartie“.
Die Geschichte hatte es in sich. So überlegte ich, wann ich eigentlich einmal eine Landpartie unternommen hatte. Alles mögliche kam mir dabei in den Sinn.
Zunächst muß man sich über den Begriff Klarheit verschaffen. Mir kamen sofort Heinrich Zilles Bilder ins Gedächtnis. Ich sah Leute in Gruppen, von tobenden Kindern umschwärmt, mit Picknick-Körben in den Händen aus dem Grau der Städte in das Grün der Natur ziehen. Gören mit Schrippen zwischen den Zähnen und Mütter mit wohlgeformten dicken Hintern und Kniehosen, welche die Kinder scherzend vor sich her trieben. Auch Erich Weinerts „Latschersong“ fiel mir ein. Eine treffende Satire auf die Wandervogelbewegung der 20er Jahre, als sich ein Teil der Jugend aus der politischen Realität zurückzog, um das „Seelenheil“ in verklärter Naturpoesie zu suchen: „Wir schauen froh ins weite Land – was kümmern uns Tarife, der Reichtum kommt von innen her – aus unsrer Seelentiefe. Wer Nietzsche liest und Rüben kaut – und sich von innen her beschaut, was kümmern den die andern – Juhu, wir müssen wandern!“ Einige Jahre später marschierte ein nicht geringer Teil davon hinter der Hakenkreuzfahne her und sang: „Denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“
Als der totale Krieg zu Ende war und ich als 16jähriger aus amerikanischer Gefangenschaft mit der Ruhr im Leib und zum Skelett abgemagert zu meinen Angehörigen heimkehrte, stand auch keine Landpartie auf der Tagesordnung. Damals schienen mir andere Anliegen plausibler zu sein. Angepackt und aufgebaut – das neue Leben muß anders werden. Unter dem Motto „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“ begann meine „Landpartie“ und die vieler meiner Altersgenossen im Zeichen der aufgehenden Sonne. Damals gingen wir nach Unterwellenborn – denn „Max“, wie wir die Maxhütte nannten, brauchte Wasser. Wir betätigten uns auch beim Stadionbau in Berlin und Leipzig – alles neben der beruflichen Arbeit oder dem Studium, taten es mit Eifer und Elan sowie in der Gewißheit, einer besseren Zukunft unseres Landes und unserer künftigen Kinder zu dienen. Und in der Tat bin ich dann im reifen Alter mit Frau und Kind doch noch zu meiner Landpartie gekommen. Wir fuhren im geliebten Trabbi in die freie, jetzt dem Volk gehörende Natur, die wir tagelang mit Zelt und kleinem Boot durchstreiften. Die Versorgung war überall gesichert und wurde überdies auch noch durch selbstgeangelten Fisch ergänzt.
Versucht das heute einmal! Die Landpartie würde schon am nächsten Maschenzaun ins Stocken geraten. „Privatgelände, betreten verboten!“, „Vorsicht, bissiger Hund!“, „Privatsee! Befahren und Angeln nur mit Genehmigung des Besitzers gestattet!“ Selbst an öffentlichen Gewässern sind die Ufer besetzt. „Das Anlegen von Booten ist nicht erlaubt!“, „Privatforst, das Verlassen der markierten Wege ist bei Strafe untersagt!“, „Achtung! Auf dieser Privatstraße sind Benutzungsgebühren zu entrichten!“
Wie man sieht, sind auch Landpartien durchaus Spiegelbilder ihrer Zeit. Man kann die Umstände der 20er Jahre, der DDR und die heutigen nicht miteinander vergleichen. Es sei denn, man stellt die Unterschiede heraus, was ich hiermit versucht habe.
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