Das finanzpolitische Knäuel des Kapitals läßt sich entwirren
(Teil 1)
Über Rettungspakete und platzende Blasen
Ich habe satt, das ewige Wie und Wenn; es fehlt an Geld, nun gut, so schaff’ es denn.“ Derart klagt der Kaiser Mephisto seine Nöte in Goethes 1. Akt des „Faust II“. Aber der weiß Rat: „Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr.“ Er luchst dem Kaiser die Unterschrift ab, läßt das Dokument vervielfältigen und anschließend als Papiergeld verbreiten. Dieses betritt – wenn auch in poetischer Urschöpfung – die Bühne, vorerst des Theaters. In der Weltgeschichte ist „fliegendes Geld“ schon aus der Periode der chinesischen Ming-Dynastie um 1400 bezeugt.
Prof. Binswanger, Doktorvater des Super-Bankiers Josef Ackermann, zieht Vergleiche zwischen Mephistos Geldschöpfung und der Alchemie: „Eine wertlose Substanz wird in eine wertvolle verwandelt. Statt Blei zu Gold zu verwandeln, wird nun Papier zu Geld.“
Im „Faust II“ wird das Geld freilich noch durch nicht gehobene Goldschätze im Boden gedeckt. Und – so argumentieren die Verteidiger des Finanzkapitals – bei aller ökonomischen Narretei, welche die neuen Besitzer des alleinseligmachenden Papiers betrieben, sei es auch sinnvoll und vorwärtstreibend eingesetzt worden. Mephisto ist schließlich ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Im realen Kapitalismus fehlt allerdings der klug Lenkende, der das Teuflische zum Guten führt.
„Der Spiegel“ fragt sich und seine Leser mit reichlich spätem Erschrecken am 3. August 2014: „Ist der Kapitalismus in eine Sackgasse geraten, wo Geld nicht mehr produktiv eingesetzt wird?“ Nanu, hat er sich dummerweise verlaufen, wird er – die Karte oder das Navi im Blick – auf seine Straße der Erfolge zurückkehren?
Freilich ist er in seinen Auswüchsen nicht mehr jener originäre Kapitalismus, welchen Karl Marx einst analysierte. Aber bei allen Bestrebungen, ihn treffend zu charakterisieren – als Casino-Kapitalismus oder als Macht der Alchimisten und Zockerbanden – Kapitalismus bleibt Kapitalismus und seinen inneren Triebkräften, seinem Wesen unentrinnbar verhaftet.
Schauen wir uns an, wie Kapitalismus heute funktioniert und was sich seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geändert hat.
Wir wissen, daß das Geld ursprünglich in die Produktion der Fabriken investiert wurde, um sich dort zu vermehren, also zu Mehrwert zu werden, den die Proletarier mit ihrer Arbeitskraft geschaffen haben. Anders ausgedrückt: um Geld in mehr Geld zu verwandeln, in Kapital. Das wurde dann wieder in die Fabrik gesteckt, um sich weiter zu vermehren, zu akkumulieren, wie es in der Ökonomen-Sprache heißt. Mit anderen Worten: zu noch mehr Kapital zu werden. So funktionierte, vereinfachend gesagt, das klassische Modell des Industriekapitalismus. Das ist auch heute noch die Grundform der kapitalistischen Produktionsweise.
Nun kam es aber seit den 70er Jahren zu bisher unbekannten Ausmaßen der Überproduktion, die selbst bedrohliche Überproduktionskrisen der Vergangenheit weit in den Schatten stellten. Sie betrafen vor allem die Schlüsselindustrien. Den USA machten Europa und Japan mit ihren extrem hohen Produktionskapazitäten bei vergleichbaren Gütern die Marktquoten streitig. In der Folge stürzten die Gewinne – z. B. der Automobil- und der Konsumgüterindustrie sowie anderer Hauptzweige – dramatisch ab. Sie waren aber dennoch so gewaltig, daß es aus privatkapitalistischer Sicht unsinnig gewesen wäre, sie in die Fabriken zu re-investieren. Wenn zu viele Autos auf Käufer warten, wird man das Geld nicht in Fabriken stecken, die noch mehr Autos herstellen.
Darüber hinaus hatten sich die Produktivkräfte so entwickelt, daß die menschliche Arbeitskraft aus einem Nachfragefaktor zu einem Kostenfaktor geworden war. Die Arbeiter wurden ohne Vergütung und in großer Zahl entlassen. Eine Rückkoppelungswirkung trat ein: Bei sinkenden Löhnen und um sich greifender Arbeitslosigkeit fehlte der Masse potentieller Konsumenten das Geld. „Autos kaufen keine Autos“, heißt es. Und wo nicht konsumiert wird, stehen immer mehr Bänder still.
So stiegen die großen Unternehmen in die Finanzwirtschaft ein, erhöhten also nicht mehr den Kapitalstock, sondern begaben sich mit ihren industriell erzeugten Gewinnen auf den Geldmarkt. Dort aber benötigte man neben Anbietern auch Abnehmer. Es gibt Schuldner und Gläubiger. Da die Schlüsselindustrie immer weniger in Frage kommt, Geld aber „arbeiten“ muß, gilt es, in den Mittelschichten und bei eigentlich Besitzlosen Märkte zu schaffen.
Hier beginnt die alchemistische Phase des Finanzkapitalismus. Es wird auf Teufel-komm-raus Geld verliehen – für privaten Konsum, Hauskäufe, Urlaubsreisen und auch an jene, welche es gar nicht zurückzahlen können. Man verleiht Unsummen an Klienten, die eigentlich gar keine sind.
Am Anfang war es so, daß die USA Riesenmengen Dollars druckten, um ihren Krieg in Vietnam zu finanzieren. Präsident Nixon trennte den Dollar dann von der ohnehin nur noch theoretisch bestehenden Golddeckung. Geld entstand nun zunehmend ohne den früher üblichen Umweg über die Fabriken. Schließlich stellten es die Banken selbst her, indem sie fiktives Geld zu verleihen begannen, das es vorher gar nicht gegeben hatte. Indem Banken Schuldner produzieren, schöpfen sie Geld, und so entstehen enorme Vermögen buchstäblich aus dem Nichts. (Banken müssen heute in der Euro-Zone nur 1 % der von ihnen verbuchten Beträge bei der Europäischen Zentralbank als tatsächlich vorhandenes Bargeld deponieren, die restlichen 99 % können sie ihren Kunden als Kredite gutschreiben.)
Die Zauberformel der Alchimisten der Finanzindustrie sind inzwischen raffinierte Techniken geworden, um Kredite unterschiedlichster Qualität in sogenannten Paketen zu bündeln, die sie weltweit verkaufen. Vor allem europäische Banken haben da zugegriffen.
Als sie dann jedoch unter der Last fauler Kredite zusammenzubrechen drohten, sprangen die Staaten ein, um ihnen Rettungspakete zuzuwerfen. Aus dem Nichts zauberten die Kapitalisten sogenannte Blasen, die irgendwann platzen und Menschen wie Staaten – man denke an Spanien, Griechenland, Portugal und jüngst auch Argentinien – ins Elend stürzen. Doch das Spiel geht weiter – nichts wäre in einer Schuldenökonomie schlimmer als keine neue Blase!
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