RotFuchs 204 – Januar 2015

Welchen Charakter trugen die sozialen Umwälzungen
in Osteuropa?

Über Revolutionen und Konterrevolutionen

Dr. Bernhard Majorow

Seit 1989 wird von gewissen Pseudo-Linken die These verbreitet, die sozialistischen Staaten Osteuropas seien deshalb zusammengebrochen, weil dort keine echten Revolutionen unter Einsatz von Gewalt stattgefunden hätten. Ohne diese gäbe es natürlich auch keine Konterrevolutionen. Die volksdemokratischen Umwälzungen in Ost- und Südosteuropa werden ebenso in Abrede gestellt wie der konterrevolutionäre Gegenschlag Ende der 80er Jahre. Ganz anders verhalte es sich, wenn kommunistische Kräfte wie in China, Vietnam und Kuba auf revolutionärem Wege an die Macht gelangt seien.

Solche Positionen lassen darauf schließen, daß marxistisch-leninistische Vorstellungen zur Machtfrage aufgegeben worden sind.

Wie aber sollen von jenen, welche eine linke Partei führen oder maßgeblich beeinflussen, da Impulse zur Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft ausgehen?

Wenden wir uns den Fakten zu:

In Rußland – dem Kern der späteren UdSSR – wurde die Macht in einer klassischen sozialistischen Revolution errungen und nach mehr als sieben Jahrzehnten preisgegeben. Fälschlicherweise wird der Begriff Revolution generell mit einem gewaltsamen Umsturz gleichgesetzt, obwohl dies lediglich ein Aspekt der Überwindung eines überlebten Regimes ist. Die eigentliche Machteroberung dauert in der Regel nur kurze Zeit, wird aber zum Wesen der Revolution erklärt. Die inhaltliche Ausprägung einer tiefgehenden revolutionären Umwälzung nimmt Jahre und Jahrzehnte in Anspruch.

Dabei sind jene rechtsopportunistischen „neuen Denker“ nicht einmal auf der Höhe aktueller bürgerlicher Erkenntnisse: Eine Revolution sei „ein Umsturz der bestehenden politischen und sozialen Ordnung“, liest man im Duden (Fremdwörterbuch). Es handele sich um „eine Umwälzung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse“, heißt es im Schülerduden (Geschichte). Hierbei ist Gewaltanwendung „kein unverzichtbares Kriterium“ (Schülerduden [Politik und Gesellschaft]). Ausschlaggebend für eine Revolution ist also nicht das Wie, sondern das Was.

Gewaltsame Erhebungen, die auch als Revolutionen bezeichnet wurden, gab es in der Geschichte etliche. Doch die meisten wurden niedergeschlagen, bevor eine tiefgehende Veränderung der sozialen Verhältnisse hätte erfolgen können.

In Osteuropa, wo die Rote Armee angeblich „alles gerichtet“ haben soll, vollzogen sich als volksdemokratisch bezeichnete Revolutionen, die aus mehreren Etappen bestanden: Auf den nationalrevolutionären Befreiungskampf folgten zunächst bürgerlich-demokratische Umwälzungen, die später in eine sozialistische Machteroberung mündeten.

Die gesellschaftlichen Veränderungen in Polen und der Tschechoslowakei waren dadurch geprägt, daß die Rote Armee zunächst die faschistischen Okkupanten vertreiben und niederwerfen mußte.

In Polen übernahmen Kommunisten und andere linke Kräfte zwar sofort die Macht, mußten sich aber bis 1948 mit ihren Gegnern bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen liefern.

In Jugoslawien und Albanien konnten im Zuge der nationalen Befreiung durch Vertreibung der mit Hitler und Mussolini kollaborierenden Elemente von der Macht zugleich auch die Vorkriegsverhältnisse umgewälzt werden. Dabei entstanden auf gewaltsamem Wege Voraussetzungen für sozialistische Revolutionen.

In Rumänien und Bulgarien hatten im August und September 1944 Volksaufstände die faschistischen Regierungen zu Fall gebracht und Bedingungen für eine sozialistische Machtübernahme geschaffen. Diese fand erst 1948 ihren Abschluß.

In Ungarn zerschlug die Rote Armee das mit Nazi-Deutschland verbündete Pfeilkreuzler-Regime Horthys, was auch dort den Weg für Veränderungen öffnete. Die Errichtung der Nachkriegsordnung entsprach den Kriterien einer bürgerlich-demokratischen Revolution, der die militärisch geschlagenen Faschisten vor allem auch wegen der Anwesenheit sowjetischer Truppen im Lande nichts entgegenzusetzen vermochten. Doch die reaktionären Kräfte waren hier wie in Polen weitaus stärker als in anderen ost- und südosteuropäischen Ländern. So konnte die sozialistische Machtübernahme in Ungarn erst spät erfolgen. Die neue Ordnung blieb zeit ihres Bestehens gefährdet, wie die Konterrevolution von 1956 offenbarte.

In der ČSR lagen die Dinge anders. Die Rote Armee verließ schon 1946 das Land. Die bürgerlichen Verhältnisse aus der Zeit vor 1938 wurden unter dem aus der Emigration zurückgekehrten Präsidenten Beneš zwar wiederhergestellt, doch mit einem wesentlichen Unterschied zu früher: Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KSČ) bestimmte von Beginn an als stärkste nationale Kraft die Entwicklung des Landes. Schon 1946 wurde ihr Vorsitzender Klement Gottwald zum Ministerpräsidenten berufen. Versuchen der Reaktion, den revolutionären Prozeß durch eine künstlich herbeigeführte Regierungskrise aufzuhalten, trat die KSČ im Februar 1948 mit einer gesellschaftsverändernden Aktion entgegen. Im Zentrum Prags marschierten Zehntausende bewaffnete Angehörige der Arbeitermilizen auf. Die heutigen Machthaber diffamieren diese großartige Manifestation des Volkswillens als kommunistischen Putsch.

Der Erfolg der osteuropäischen Linkskräfte war also keineswegs nur den „Bajonetten“ der sowjetischen Befreier geschuldet, sondern vor allem auch Ergebnis einer seit den 30er Jahren klug verfolgten Bündnispolitik und deren konsequenter Umsetzung, was die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit sukzessive in das Lager der Revolution führte.

Eine in sämtlichen osteuropäischen Ländern unmittelbar nach der Befreiung vollzogene demokratische Bodenreform trug wesentlich zur Veränderung des innenpolitischen Kräfteverhältnisses bei. Mit der Nationalisierung der Grundstoff- und Schlüsselindustrien gewannen die Kommunisten auch unter sozialdemokratischen Werktätigen an Sympathien, was den späteren organisatorischen Zusammenschluß der Arbeiterparteien begünstigte.

Die Errungenschaften der volksdemokratisch-sozialistischen Revolutionen in Osteuropa wurden im Zuge des sukzessiven Zusammenbruchs der Sowjetunion unter Gorbatschow sowie des Wirkens innerer Gegner durch die konterrevolutionäre Wiederherstellung der alten Macht- und Eigentumsverhältnisse zerstört.