Unser Vorbild: Wilhelm Pieck
Anfang der 50er Jahre arbeitete ich in der Präsidialkanzlei in Berlin-Niederschönhausen. So habe ich also noch sehr lebendige Erinnerungen an unseren Präsi, wie wir Wilhelm Pieck unter uns FDJlern nannten. Vier kleine Begebenheiten möchte ich erzählen.
Anläßlich der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1951 lud Wilhelm Pieck die ausländischen Delegationen ins Schloß Niederschönhausen ein. Abends gab es ein Festprogramm. Wir FDJler waren als Betreuer eingesetzt. Es war furchtbar kalt. Genosse Pieck rief mich zu sich heran und gab mir den Auftrag, warme Decken für die afrikanischen Gäste zu besorgen, da diese unser Klima nicht gewohnt seien und sicher frieren würden. Ich war bestürzt, daß mir das nicht selbst eingefallen ist.
Vor der Eingangstür des Schlosses standen stets zwei Soldaten Wache. Es war ein heißer Sommertag. Die Sonne brannte erbarmungslos auf die Posten nieder. Viele der Mitarbeiter gingen vorbei. Unser Präsident kam, sah, daß die Jungs ungeschützt der Sonne ausgesetzt waren, und ordnete an, daß sofort mit einem Schlauch kaltes Wasser auf die Steine des Eingangs gespritzt werden solle und außerdem unverzüglich ein Schutzdach anzubringen sei. Er beschämte uns alle, die wir doch mehrfach gedankenlos an den Posten vorbeigegangen waren.
Für die Kinder der Mitarbeiter des Hauses wurde eine Weihnachtsfeier organisiert. Der Präsident nahm daran teil. Es gab Kuchen und Kakao und natürlich Geschenke vom Weihnachtsmann. Die kleinsten Kinder saßen neben Wilhelm. Ich war beauftragt, dieselben zu betreuen. Da sprach er mich an und trug mir auf, den Weihnachtsmann ebenfalls mit Kuchen und Kakao zu versorgen. Ich erwiderte darauf, daß Weihnachtsmänner wegen des Bartes nichts zu sich nehmen könnten. Daraufhin sagte er, daß wir ihm dann eben ein großes Kuchenpaket mitgeben sollten.
Genosse Pieck kam von einem ausländischen Staatsbesuch zurück. Von unserer FDJ-Gruppe wurde ich gebeten, ihn mit einem Blumenstrauß zu begrüßen. Wir berieten, welche Blumen es sein sollten. Jemand wußte, daß die Lieblingsblumen seiner Frau Chrysanthemen waren. Diese wurden beschafft. Es war soweit. Pieck kam. Ich begrüßte ihn mit den Worten: „Ich überreiche Ihnen die Lieblingsfrau Ihrer Blumen.“ Er nahm mich in den Arm, drückte mich und sagte: „Ich habe Dich schon richtig verstanden.“
Ich war todunglücklich über meinen Lapsus, aber tief beeindruckt von der Güte unseres Präsidenten und Genossen. Er war unser Vorbild.
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