RotFuchs 228 – Januar 2017

Unsere Alternative heißt Solidarität

Arnold Schölzel

Die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung kennt großartige Abschnitte, deren Errungenschaften zum Teil bis heute trotz aller Anstrengungen der herrschenden Klasse nicht völlig beseitigt werden konnten. Selbstverständlich ist wahr: Das an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erkämpfte Sozialversicherungssystem wurde im vergangenen Jahrzehnt systematisch vor allem von SPD-Politikern auf die schiefe Bahn von Privatisierung und Deregulierung geschoben, d. h. Spekulanten in den Rachen geworfen. Sozialdemokraten waren es, die sich vom VW-Manager Peter Hartz die nach ihm benannten Gesetze entwerfen ließen, mit denen Armut staatlich verordnet wurde. Zusammen mit der Einführung des sogenannten Niedriglohnsektors machte das die Bundesrepublik bei enorm steigender Arbeitsproduktivität zu einem Dumpinglohnland, das ganze Volkswirtschaften in die Verschuldung oder gar in den Bankrott trieb.

Die deutsche Exportwalze hinterläßt Armut auch im Ausland und ist zum Schrecken der Arbeiter und Angestellten anderer Länder geworden. Das deutsche Wort „Niedriglohnsektor“ verbinden sie ebenso wie ihre Kapitalherren mit dem „Erfolgs“modell eines gnadenlosen imperialistischen Konkurrenzkampfes. Am 26. November verkündete „Der Spiegel“ den Rekord aller Rekorde bei den deutschen Ausfuhren für das Jahr 2016: „Noch nie erwirtschaftete Deutschland einen höheren Leistungsbilanzüberschuß als dieses Jahr, noch nie lag dessen Anteil am Bruttoinlandsprodukt höher.“ Dieser Wert stieg den Prognosen nach auf 8,9 Prozent, in absoluten Ziffern: auf 279 Milliarden Euro, weitaus mehr, als die VR China erzielt. Wahrscheinlich liegt die Quote noch höher. Noch nie, so „Der Spiegel“ weiter, habe eine reiche, reife Volkswirtschaft ähnlich hohe Überschüsse erzielt. Sie kennzeichneten eher Entwicklungsländer, die niedrige Löhne nutzten, um über Exporte zu Wohlstand zu gelangen. Wahr ist aber auch: Die soziale Kluft zwischen herrschender und unterdrückter Klasse ist eben wegen solcher Rekorde hier und in anderen imperialistischen Ländern derart größer geworden, daß sich die regierenden Parteien ihrer oft seit 1945 unangefochtenen Stellung bei Wahlen nicht mehr sicher sein können. Sie sehen sich z. B. in der Bundesrepublik, die durch die Räuberei ihres Großkapitals im Vergleich zu anderen Staaten im Geld schwimmt, gezwungen, „Korrekturen“ an den schlimmsten sozialen Schandtaten vorzunehmen. Das „Brexit“-Referendum, die AfD-Wahlerfolge in der Bundesrepublik und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sprechen aber eine deutliche Sprache.

Letzteres besagt zugleich, daß es den Herrschenden im Zeichen des globalen Ringens um Macht gelungen ist, mit Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus die vielen, die sich in gleicher prekärer Lage befinden, zu spalten und gegeneinander aufzubringen. Richtig ist aber auch, daß sich internationalistische, antirassistische Haltungen in vielen gesellschaftlichen Schichten weltweit durchgesetzt haben und sich in den meisten imperialistischen Ländern fast gleichstarke politische Blöcke gegenüberstehen.

Wahr ist, daß Sozialisten und Kommunisten weltweit immer noch an den Folgen der seit der Machtübergabe an den deutschen Faschismus 1933 größten Niederlage der Arbeiterbewegung von 1990 schwer zu tragen haben und nicht in der Lage waren, der Entfesselung des Imperialismus nach dem Untergang von DDR und Sowjetunion etwas entgegenzusetzen. Wahr ist aber auch, daß die Errungenschaften des Sozialismus von den Siegern nicht „verdaut“ werden konnten und sich ins Gedächtnis der Besiegten unauslöschlich eingeprägt haben. Die Bekämpfung der DDR, ihrer sozialen Sicherheit, ihres Gesundheits- und Bildungssystems ist in der Bundesrepublik angesichts einer Situation, in der „die ganze Lebensstellung immer unsicherer“ wird („Manifest der Kommunistischen Partei“), politische Chefsache, und sie wird im Bundeskanzleramt koordiniert. International schlugen der linke wie der rechte Antikommunismus fast übergangslos in Bekämpfung Rußlands als Hauptfeind um. Der amtierende Präsident wird in einer Weise dämonisiert, wie es in Kriegszeiten üblich ist. Und ja – der Appetit kommt beim Essen – die Kriegsherren und -damen des Westens riskieren nach einer Kette von Kriegen, die sie angezettelt haben, einen dritten Weltkrieg und damit ein nukleares Inferno.

Sind Sozialisten und Kommunisten angesichts dessen machtlos? Nein, weder die Mehrheit der deutschen noch der Weltbevölkerung folgt denen, die an Frieden kein Interesse haben. Aus dieser Haltung erwachsen gegenwärtig aber weder nennenswerter Protest noch wirksamer Widerstand. Unsere Aufgabe muß sein, jeder an seinem Ort, in seiner Organisation oder als Parteiloser, in der Öffentlichkeit aufzuklären und sich mit anderen Gleichgesinnten zu verständigen. Die Friedensfrage ist dabei kein Einzelproblem, sondern der Schlüssel, um die Zusammengehörigkeit von Imperialismus und Krieg einerseits, von Sozialismus und Frieden andererseits nachzuweisen. Erinnert sei an einen Text, den Karl Marx 1864 am Ende einer für die Arbeiterbewegung vernichtenden Reaktionsperiode (und „goldenen“ Jahrzehnten für das Kapital) schrieb, die „Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation“. Er fragt dort abschließend: „Wenn die Emanzipation der Arbeiterklassen das Zusammenwirken verschiedener Nationen erheischt, wie jenes große Ziel erreichen mit einer auswärtigen Politik, die frevelhafte Zwecke verfolgt, mit Nationalvorurteilen ihr Spiel treibt und in piratischen Kriegen des Volkes Gut und Blut vergeudet?“ Er feiert dort den Widerstand der englischen Arbeiterklasse, die eine Teilnahme ihres Landes am amerikanischen Bürgerkrieg auf seiten der Südstaaten verhinderte und es „vor einer transatlantischen Kreuzfahrt für die Verewigung und Propaganda der Sklaverei“ bewahrte.

Der Kampf für eine auswärtige Politik, in der „die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts (…) als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen“ geltend gemacht werden, sind, so Marx, „eingeschlossen im allgemeinen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse“. An dieser Feststellung hat sich ungeachtet des Wandels aller Umstände nichts geändert. Die damit verbundene Forderung ist zutiefst humanistisch – und sie ist verständlich. Tun wir alles, um sie zu verbreiten, auch wenn wir zur Zeit nur wenige sind!