RotFuchs 215 – Dezember 2015

Was die Bundeswehr mit ihren „Tagen der offenen Tür“
in den Kasernen betreibt

Unterweisung im Töten
von Kindesbeinen an

Ulrich Guhl

Im Sommer 2015 veröffentlichte die Tageszeitung „junge Welt“ ein Foto, das mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Es zeigte einen kleinen Jungen am Gewehr, der seinen Finger fast zärtlich auf den Lauf des Mordinstruments legt. Ein Offizier steht lächelnd daneben und scheint dem Kind die todbringende Waffe – ein G-36-Sturmgewehr der Rüstungsschmiede Heckler & Koch – mit geradezu väterlicher Miene so zu erklären, als handle es sich um ein Plüschtier oder einen Baukasten. Der Finger des Jungen an der Tötungsmaschine verdeutlichte mir die ganze Perversion solcher mit großem Aufwand durchgeführten „Tage der offenen Tür“, wie sie die Bundeswehr regelmäßig anbietet. Hier werden Minderjährige im Kindes- und Jugend­alter gezielt angesprochen, zumal sie unter allen Besuchern solcher Veranstaltungen am leichtesten zu beeinflussen sind. Jede Menge Spannung und Spaß werden den Heranwachsenden geboten.

Die offenkundigen Nachwuchssorgen der Bundeswehr sind das entscheidende Antriebsmotiv für solche Rekrutierungsversuche, die schon die Kleinsten der Kleinen in ihren Bann ziehen sollen. Der für solche Zwecke zur Verfügung gestellte Werbeetat des Hauses der Ursula von der Leyen ist im letzten Jahr abermals um 18 % auf 35,3 Millionen Euro erhöht worden.

Immer mehr Karriereberater und Jugendoffiziere trommeln auf unzähligen Veran­staltungen landesweit für den Dienst an der Waffe, um künftiges Kanonenfutter frühzeitig ködern und abrichten zu können. Gezielt werden die kindliche Neugier und das Interesse an Technik bei Heranwachsenden angesprochen, denen man dann in raffinierten Simulationen das Leben in der Kaserne als großes Abenteuer verkauft. „Ein Tag Soldat spielen“ heißt es, ohne auch nur ansatzweise auf den blutigen Ernst und die oftmals tödlichen Konsequenzen dieses scheinbaren Amüsements zu verweisen.

Ich erinnere mich noch sehr genau an das Geschrei, das sich im Westen nach der Einführung des Fachs Zivilverteidigung in den Schulen der DDR erhob. Anders als diese aber ist die BRD nicht von mächtigen Feinden bedroht. Kein äußerer Gegner will sie auslöschen, und wer da behauptet, die Existenz des kapitalistischen deutschen Staates müsse „am Hindukusch verteidigt“ werden, ist nichts anderes als ein infamer Lügner. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, daß wir in der DDR bereits im Kindergartenalter wie der Junge auf dem erwähnten Foto jemals an todbringendes Gerät herangeführt worden wären. Ich frage mich, wie die siebenfache Vorzeige­mutter von der Leyen reagieren würde, wenn es eines ihrer Kinder gewesen wäre. „Messer, Gabel, Schere, Licht sind für Kinderhände nicht!“, pflegte meine Oma immer zu sagen. Und ein G-36-Gewehr?

Die BRD hat die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen mit dem Zusatz­protokoll „Kinder in bewaffneten Konflikten“ unterzeichnet. Doch Papier ist bekanntlich geduldig. Menschenrechts- und Kinderhilfsorganisationen schlagen schon seit langem wegen der verwerflichen und rechtswidrigen Werbung Minder­jähriger als Nachwuchs für den Kriegsdienst in der Bundeswehr Alarm. Ein offener Brief dieser Organisationen, unter denen sich „terre des hommes“ und die Lehrer­gewerkschaft GEW befinden, an Angela Merkel wurde vom Bundeskanzleramt unbeantwortet gelassen. Dabei betraf diese Art von „Ausbildung an der Waffe“ allein 2014 in der BRD mehr als 1000 unter 18jährige. Viele geraten dabei in eine raffiniert aufgestellte Falle. Haben sie erst einmal eine Probezeit von sechs Monaten durch­laufen, dann können sie dem langjährigen Verpflichtungsvertrag mit der Armee des deutschen Imperialismus kaum noch entrinnen.

Inzwischen hat die UNO – von unseren gleichgeschalteten „Qualitätsmedien“ einmal mehr unbemerkt – mit einer Kritik an den Werbekampagnen der Bundeswehr dem militärischen Training Minderjähriger eine Abfuhr erteilt. Gefordert wird ein generelles Verbot ihrer Irreführung durch militärisches Training.

Vor Monaten erschütterte das Bild des bei der versuchten Überfahrt vom türkischen Festland auf eine griechische Ägäisinsel ertrunkenen syrischen Jungen Aylan die Welt. Er und der kleine Bursche am Gewehr des Bundeswehroffiziers könnten nahezu gleichen Alters sein. Mir will scheinen, daß sich zwischen beiden Fotos ein gewisser Zusammenhang auftut: Während der BRD-Junge an der Waffe darauf vorbereitet werden soll, Krieg und Tod in andere Länder zu tragen, ist Aylan ein Opfer gerade dieses mörderischen Kurses geworden. Die Ströme von Krokodilstränen, die Scharen gewisser Politiker über den Tod des Flüchtlingsjungen bei gleichzeitiger Verherr­lichung kriegerischer Gewalt vergossen, waren Ausdruck von Zynismus und Doppelzüngigkeit.

Ich hoffe, daß der kleine Junge am Gewehr einen anderen Weg finden wird als z. B. Georg Klein, der vielleicht auch einmal als Kind auf solche Weise für seinen späteren Kriegsdienst in Afghanistan vorbereitet wurde. Der für das Massaker in Kundus Verantwortliche wurde von seinen Vorgesetzten und der Justiz weißgewaschen, so daß er zum General der Bundeswehr avancieren konnte.