RotFuchs 233 – Juni 2017

Venezuela:
„Fake News“ und Regime-Change

Volker Hermsdorf

In Venezuela verläuft die Eskalation der politischen Gewaltaktionen nach dem Drehbuch für eine „bunte Revolution“. Einheimische und internationale Medien­konzerne spielen dabei die ihnen vom US-Theoretiker Gene Sharp, dem Erfinder der „weichen Umstürze“, in seinem „Leitfaden“ zur Beseitigung unliebsamer Regierungen zugedachte Rolle. Durch Unterschlagung von Tatsachen, das Verschweigen von Hintergründen und gezielte Desinformation beeinflußt der „Mainstream“ die öffentliche Meinung.

Deutschsprachige Printmedien mischen bei der Dämonisierung der gewählten linken Regierung kräftig mit. „Venezuela wird zur Diktatur“ (Süddeutsche Zeitung, 31. 3.), „Maduro will eine Diktatur errichten“ (Zeit online, 2. 4.) oder „Venezuela: Opposition warnt vor Diktatur“ (Spiegel online, 2. 4.) trommelt der Mainstream. Seitdem rechte Putschisten in dem ölreichsten Land der Welt wie bereits 2002 und 2014 wieder zu Terror und Gewalt greifen, um eine ausländische Intervention zu provozieren, verschärft sich der Ton. Zur Methode gehören tatsächliche „Fake News“ ebenso wie die Verbreitung falscher Zahlen. Westliche Nachrichtenagenturen konzentrieren sich beispielsweise vor allem auf Demonstrationen der rechten Opposition, deren Teilnehmerzahl sie offenbar willkürlich einschätzen. So sprach die Nachrichten­agentur dpa am 8. April von „50 000 Demonstranten“, während die französische AFP am selben Tag lediglich 4000 zählte. Meist übernehmen Medien ungeprüft die Angaben der Opposition, deren Protesten sie auch dann „mehrere zehntausend Teilnehmer“ attestieren, wenn auf Bildern im venezolanischen Fernsehen nur spärlich besuchte Aufzüge zu sehen sind. Die Massendemonstrationen der Regierungs­anhänger, an denen bislang Millionen Menschen teilnahmen, werden dagegen oft verschwiegen. Einzige Quelle vieler Reporter, die wie die der ARD nicht vor Ort sind, sondern aus Nachbarländern berichten, sind häufig „soziale Netzwerke“, in denen „Fake News“ Konjunktur haben. So wurde weltweit ein Fotoausschnitt verbreitet, auf dem eine wehrlose Frau zu sehen ist, die von einem Polizisten mit Pfefferspray malträtiert wird. Das mittlerweile ebenfalls kursierende Originalfoto wurde jedoch nicht – wie behauptet – in Venezuela, sondern im letzten Jahr in Brasilien aufgenommen.

Neben der Verbreitung derartiger Falschmeldungen ist das Unterdrücken von Nachrichten beliebt. Keine Meldung war den meisten bürgerlichen Medien beispielsweise ein Angriff von Banden der Opposition auf ein Mutter-Kind-Krankenhaus in der vergangenen Woche wert.

„Oppositionsführer Henrique Capriles wird mit Tränengas beschossen“, verbreitete das ARD-Flaggschiff zum Beispiel ungeprüft am 20. April in seiner 20-Uhr-Sendung. Auch in den anderen Ausgaben wurde gelogen. Um 17 Uhr berichtete die Tagesschau: „Soziale Medien sind der einzige Kommunikationsweg für die Opposition.“ Die der rechten Opposition nahestehenden Zeitungen und Fernsehkanäle gibt es demnach nicht.

Überboten wurden solche Manipulationen noch vom Nachrichtenportal „Welt N24“. Dort schrieb man das Exmodel Lilian Tintori, Frau des wegen Anstiftung und Betei­ligung an gewalttätigen Aktionen im Jahr 2014 inhaftierten rechten Politikers Leopoldo López, am 23. April zum „Gesicht des venezolanischen Widerstands“ hoch. Ihr smarter Gatte hatte bereits 2002 während des gescheiterten Putsches gegen Präsident Hugo Chávez eine maßgebliche Rolle gespielt. Springers „Welt“ feiert die beiden Ultrarechten als „Glamourpaar der venezolanischen Politik“. „Nett, lieb, aber nicht wirklich ernst zu nehmen“, verharmlost das Blatt Tintori und verhöhnt so die Opfer der von López 2014 initiierten „Aktion Ausweg“. Sein damaliger Versuch, den gewählten Präsidenten Nicolás Maduro gewaltsam zu stürzen, hatte 43 Menschen­leben und 800 Verletzte gefordert. Das erfahren bundesdeutsche Leser dort nicht. Für den Mainstream gehört Tintori, die kürzlich von US-Präsident Donald Trump empfangen wurde, zu den Hoffnungsträgern „in dem durch eine marxistische Planwirtschaft komplett heruntergewirtschafteten Land“. Denn, so frohlockt das Springer-Portal: „Aufgeben ist für sie keine Option mehr.“

Gene Sharps Anleitung zum Regime-Change wurde erstmals Anfang der 90er Jahre von den Otpor-Banden in Serbien und später auch in der Ukraine erfolgreich abge­arbeitet. Mit Desinformationskampagnen leisteten die Mainstream-Medien auch dabei schon Schützenhilfe für die Machtergreifung von Faschisten.

Aus „junge Welt“, 27. April 2017