RotFuchs 195 – April 2014

Wie die DDR mit Kriegs- und Nazi-Verbrechern verfuhr

„Verordneter Antifaschismus“?

Reiner Stenzel

Als sachkundige Autoren des Buches „Im Namen des Volkes“ versuchen wir – Dieter Skiba, letzter Leiter der MfS-Hauptabteilung IX/11, und ich als ehemaliger Untersuchungsführer in MfS-Ermittlungsverfahren gegen Täter faschistischer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – die im Titel dieses Beitrags gestellte Frage zu beantworten. Dabei weisen wir die Behauptung westdeutscher Geschichtsrevisionisten zurück, in der DDR habe es einen „verordneten Antifaschismus“ gegeben. Von der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde und den Leitern der damit synchronisierten „Gedenkstätten“ in ehemaligen Untersuchungshaftanstalten des MfS wird behauptet, die DDR-Staatssicherheit habe Nazitäter instrumentalisiert, vor Strafverfolgung geschützt und nur dann zur Ahndung ihrer Verbrechen freigegeben, wenn durch Schauprozesse der Nachweis habe geführt werden können, daß die BRD Nazi- und Kriegsverbrecher weiter verwende und vor Sühne bewahre. Tatsächlich sollte auf die BRD Druck ausgeübt werden, die in großer Zahl dort unbehelligt lebenden Mittäter, Anstifter und Dienstvorgesetzten durch uns Beschuldigter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zuzuführen. Dazu leisteten wir der BRD-Justiz Rechtshilfe, die jedoch nur äußerst zögerlich angenommen wurde. Im Vordergrund stand für das MfS die Erfüllung des Ersuchens der Alliierten und aller von den deutschen Faschisten überfallenen Völker, Nazi- und Kriegsverbrecher nicht ungeschoren zu lassen.

Ab Mai 1945 begannen die sowjetische Besatzungsmacht und die in der SBZ geschaffenen antifaschistisch-demokratischen Polizei- und Justizorgane mit der intensiven Suche nach Nazi- und Kriegsverbrechern sowie Aktivisten des faschistischen Unterdrückungsapparats. Sie wurden zügig abgeurteilt.

Personen hingegen, die das Hitlerregime lediglich unterstützt hatten, wurden nach erfolgter Entnazifizierung in den Aufbau der neuen Gesellschaft einbezogen. Das geschah auch mit Nazitätern, die ihre Strafen verbüßt hatten. Ein großer Teil der aktiven Faschisten war jedoch in die damaligen Westzonen geflohen, wo sie sich nicht grundlos vor Strafverfolgung weitgehend geschützt wähnen konnten.

Die sowjetische Besatzungsmacht entließ Anfang der 50er Jahre in ihren Internierungslagern festgehaltene Naziaktivisten und bis 1956 auch einen Großteil von ihren Gerichten Verurteilter in die DDR und die BRD. Einige wurden der DDR-Justiz unter Auflagen im Zusammenhang mit noch ausstehender Strafverfolgung übergeben – nicht selten allerdings mit unzureichenden Beweisunterlagen. Daraus resultierten z. B. die „Waldheim-Verfahren“. Sämtliche in diesem Zusammenhang gefällten Urteile wurden von der BRD-Siegerjustiz ab 1990 als angeblich rechtsstaatswidrig aufgehoben. Man rehabilitierte die Nazitäter und verurteilte statt dessen die beteiligten Richter und Staatsanwälte der DDR.

Mitte der 50er Jahre war nach Amnestien und Gnadenerweisen der DDR-Regierung bereits ein großer Teil verurteilter Nazitäter aus dem DDR-Strafvollzug entlassen worden, teilweise mit erheblichem Straferlaß.

Natürlich waren sich die zuständigen Organe dessen bewußt, daß auch eine unbestimmbare Zahl von Nazi- und Kriegsverbrechern getarnt oder unerkannt in der DDR lebte. Die intensive Suche nach solchen Personen, über die auch immer mehr Archivmaterialien aus der UdSSR, Polen und der Tschechoslowakei übergeben wurden, erfolgte ab 1965. Während bis dahin die Mehrzahl der Ermittlungsverfahren dieser Art durch die Kripo bearbeitet worden war, hatte sich das MfS nur dann eingeschaltet, wenn zugleich auch staatsfeindliche Verbrechen gegen die DDR vorlagen. Von nun an bearbeiteten die Untersuchungsabteilungen IX des MfS alle noch nicht abgeschlossenen Fälle von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Beschuldigten saßen in den Untersuchungshaftanstalten des MfS in Berlin-Hohenschönhausen und in denen der Bezirke ein. Gauck, Birthler, Jahn sowie deren „Gedenkstätten“-Chefs, Merkels Kulturstaatsminister Neumann und Hubertus Knabe haben diese Naziverbrecher stets als „Opfer des Kommunismus“ gewürdigt. Neumann verstieg sich sogar zur Infamie der Gleichsetzung von faschistischer Gewaltherrschaft und angeblicher DDR-Diktatur.

In unserem Buch haben wir auch zur operativen Arbeit von Diensteinheiten des MfS mit ehemaligen Angehörigen faschistischer Einrichtungen und Behörden Stellung genommen, soweit uns dies aus der Sicht ehemaliger Untersuchungsführer möglich war. Hervorzuheben ist, daß die Anwerbung von Personen, die zur Agenturbasis der BRD-Geheimdienste und anderer Feindorganisationen gehörten, ausschließlich dem Schutz der DDR vor gegnerischen Angriffen dienen sollte. Das führte indes nicht immer zu den erhofften Ergebnissen. Die Behauptung, das MfS habe Nazi- und Kriegsverbrecher geschützt, ist lediglich darauf gerichtet, die ehrliche Arbeit unserer Genossen und der DDR-Justizorgane zu diskreditieren. Uns lag zur Prüfung und Bewertung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ehemaliger Angehöriger faschistischer Einheiten, Dienststellen und Formationen eine Vielzahl von Archivmaterialien und Dokumenten vor. Wir konnten auch den Aufenthalt etlicher Täter in der DDR ermitteln. Leider gelang es in vielen Fällen trotz intensiver Bemühungen nicht, den Nachweis individueller Schuld als Voraussetzung für strafrechtliche Verantwortlichkeit zu erbringen. Dem MfS waren Archive der BRD und der westlichen Alliierten nicht zugänglich. Die Fälle, in denen wir von bundesdeutschen Stellen Belastungsmaterial zu Nazitätern erhielten, lassen sich buchstäblich an den fünf Fingern einer Hand abzählen. Andererseits verschwanden noch nicht abgeschlossene Vorgänge des MfS zu Nazitätern ab 1990 im damaligen DDR-Staatsarchiv, da sich niemand mehr für deren Verfolgung zuständig fühlte.

Von der BRD-Siegerjustiz konnte nur ein geringer Teil der DDR-Urteile gegen faschistische Verbrecher aufgehoben werden. Den DDR-Gerichten und dem MfS wurde von sachkundigen BRD-Juristen und Historikern eine gewissenhafte und exakte Arbeit auf diesem Gebiet bescheinigt. Davon erfuhr die Öffentlichkeit jedoch kaum etwas. Noch im Strafvollzug befindliche Nazitäter wurden als „resozialisiert“ oder aus Gesundheits- und Altersgründen vorzeitig entlassen und konnten danach ihre Renten und Pensionen ganz ungeniert genießen.

Dieter Skiba / Rainer Stenzel:

Im Namen des Volkes
Alle Ermittlungs- und Gerichtsverfahren in der DDR
gegen Nazi- und Kriegsverbrecher

Edition Ost, Berlin 2014, 400 Seiten
ISBN 978-3-360-01850-2

17,99 €