Viel Feind, viel Ehr?
Zu DDR-Zeiten kursierten nicht wenige politische Witze, an deren Pointiertheit sich Nichtgenossen wie Genossen gleichermaßen rieben und erfreuten, zumal sie oftmals in tatsächliche Schwachstellen stachen. Auch dieser „Joke“ machte damals die Runde: Ein Liebespaar sitzt am Ostseestrand und blickt auf den Horizont, an dem gerade die Sonne versinkt. Statt sie zu küssen, sagt er: „Blutrot wie unsere Fahne!“
Die kleine Satire hat einen tieferen Sinn. Sie soll uns sagen: Übertreibt es nicht! Laßt die Kirche im Dorf! Bekennermut, hohe Motiviertheit und leidenschaftliches Engagement für die gute Sache vertragen sich allemal mit Gelassenheit, Verzicht auf ein Übermaß an Superlativen und der Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen.
Dabei sind ja die Fronten klar, wissen wir doch sehr genau um die Unterschiede im Dialog mit Freund und Feind. Der Klassenkampf ist keineswegs eine Erfindung von Marx, Engels und Lenin oder anderer „verbohrter Kommunisten“, sondern seit dem Beginn der Klassengesellschaft eine objektive Realität, die niemand wegretuschieren kann. Die fundamentale Erkenntnis, daß Barrikaden stets zwei Seiten haben, müssen Marxisten mit kühlem Kopf, weitem Blick und einem großen Herzen verinnerlichen. Das soll auch jenen gehören, die noch nicht den Stand ihrer Erkenntnis erreicht haben oder – obwohl aus den eigenen Klassenreihen – gar nicht auf diesen emporgehoben werden können.
Linke, die nicht begreifen, daß die Erdbevölkerung ganz überwiegend nicht aus Kommunisten und Sozialisten besteht, Revolution mit drei R schreiben und sich der Tatsache verschließen, daß zu unabdingbarer Prinzipienfestigkeit auch ein hohes Maß an Toleranz sowie ein Nerv für anständige Andersdenkende gehören, haben schon verloren, bevor sie auch nur in den Kampf gezogen sind.
Die alte kaiserlich-deutsche Parole „Viel Feind, viel Ehr“ ist nicht die unsere. Dabei wissen wir sehr genau, daß wir stets von Feinden umgeben sind, die auf der ganzen Tastatur ihres klassenbedingten Hasses spielen, der sich gegen all jene richtet, die ihnen in die Karten zu schauen vermögen oder auch nur aus der Reihe tanzen.
Seinen Aufstieg zur am meisten verbreiteten, auflagenstärksten marxistischen Monatsschrift in deutscher Sprache verdankt der „RotFuchs“ nicht zuletzt der Tatsache, daß seine Macher kein Süppchen nur für Feinschmecker kochen, sondern auch viele erreichen wollen, die Sektierer niemals in ihr Boot holen würden. Nicht zuletzt befinden sich im Autorenkreis des RF ein SPD-Genosse aus Bayern und ein evangelisch-lutherischer Theologe aus Thüringen. Wir sind sehr froh über die Bereitschaft solcher Weggefährten, am gemeinsamen Strick zu ziehen.
„Ich danke Dir für Deine ehrliche Toleranz gegenüber einem Mitglied der NDPD Bolzscher Gesinnung und katholischen Glaubens“, schrieb Dr. Wilfried Meißner aus Chemnitz an den RF-Chefredakteur.
Wir alle stehen für unveräußerliche humanistische Ideale und Ideen, die Marxisten unter uns zu jener Weltanschauung, für die schon 1848 mit dem Kommunistischen Manifest der Grundstein gelegt wurde. Unsere früh getroffene Entscheidung, den „RotFuchs“ als Tribüne für in Deutschland lebende Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch erscheinen zu lassen, trug der Tatsache Rechnung, daß die Mehrheit standhaft gebliebener Linker – zumindest im Osten – derzeit politisch gar nicht organisiert ist. Inzwischen reicht diese Bandbreite nicht mehr aus, da weitere antifaschistisch-demokratische Kräfte zu uns gestoßen sind.
Übrigens trügt die Vorstellung, junge und jüngere Menschen fänden nicht zu uns. Sicher besuchen nicht allzu viele von ihnen Versammlungen der Alten und mögen auch nicht unbedingt Gedrucktes. Doch wer sind eigentlich jene 35 000, welche schon am ersten Tag anklicken, wenn die Homepage mit dem aktuellen RF im Internet erscheint? Lauter Greise?
Wir stehen weder für dogmatisches Ghettodenken noch für opportunistisches Alles und Nichts, sind aber für großzügiges Reagieren im Hinblick auf zeitweilig „abhanden gekommene“ Genossen. In der keineswegs vom Himmel gefallenen konterrevolutionären Zeit, die Ende 1989 für die DDR-Bürger anbrach, verloren auch viele bis dahin treue Mitstreiter vorübergehend die Orientierung. Während karrieresüchtige Glücksritter sofort die Fronten wechselten, nahmen die kampflose Preisgabe und der Verlust des schwer Errungenen, nicht zuletzt aber auch Enttäuschung über das Versagen eigener so manchen von ihnen den klaren Blick. Etliche kehrten später in unsere Reihen zurück – sie fanden den Weg auch dank des RF, der ihnen zur politischen Heimat wurde. Dabei haben unsere Prinzipien und Verhaltensnormen untereinander wie im Umgang mit Außenstehenden gewiß eine Rolle gespielt: Sich niemals über andere erheben, aber auch keine Unterwürfigkeit bekunden; immer das sagen, was man denkt, nicht aber das, was andere gerne hören möchten; das eigene Licht nicht unter den Scheffel stellen, die vorhandenen Potenzen aber ebensowenig unter dem Vergrößerungsglas betrachten; Kompliziertes so sagen, daß es jeder versteht, ohne dabei in sprachlichen Primitivismus zu verfallen; soziale Prozesse weder antreiben wollen noch hinter den Ereignissen hertraben.
Dieser Tage rief mich ein russischer Genosse und langjähriger Leser des RF aus Moskau an. Dort erfahre dieser nicht wenig Resonanz. Enkel eines schon 1904 in die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands eingetretenen Veteranen und Sohn eines Generals der Sowjetarmee, erinnerte er mich an die Lage nach der niedergeschlagenen russischen Revolution von 1905. Der Sieg der konterrevolutionären Soldateska des Zaren habe auch die Reihen der Bolschewiki gelichtet. Doch schon kurz nach der Jahrhundertwende seien viele Revolutionäre von der damals Leninschen „Iskra“ mit unverzichtbaren Erkenntnissen und Visionen ausgerüstet worden, die sich in schwerer Zeit bewährten. Da gebe es durchaus Parallelen …
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