Erinnerungen zwischen Skandal und Flop
Viel Lärm um nichts
Als 1898 Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“ herausgegeben wurden, war es erklärtes Ziel des Autors, bei „den Söhnen und Enkeln zum Verständnis der Vergangenheit und zur Lehre für die Zukunft“ beizutragen. Seine Betrachtungen zu den deutsch-russischen Beziehungen könnten sehr lehrreich für Angela Merkel sein.
Spätere Kanzler schrieben über Erinnerungen, die dazu dienten, ihre Politik vor der Nachwelt zu rechtfertigen: Konrad Adenauer die „Westbindung“ der BRD und seinen Antikommunismus, Willy Brandt seine Entspannungspolitik und sein Eintreten für die friedliche Koexistenz, Franz Josef Strauß warb für das Verstehen der Ost-West-Beziehungen. Bei den Veröffentlichungen zweier noch lebender Politiker – Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf – geht es weniger um Inhalte, sondern mehr um Geld, Skandale, Eitelkeiten, Bestechlichkeit. Beide waren führende Köpfe der CDU, Komplizen und Kontrahenten, manchmal Konkurrenten.
Helmut Kohl diktierte im Keller seines Oggersheimer Bungalows dem bestellten Ghostwriter Heribert Schwan 200 Stunden lang seine Erinnerungen auf Tonband. Der Ex-Kanzler übte hemmungslos mit hemdsärmlichen Zitaten Rache an jenen, die ihm irgendwann in die Quere gekommen waren, an Weizsäcker und Merkel, an Wulff und Thierse, an Biedenkopf und den Leipziger „Helden“. Das Buch fand 200 000 Käufer und wurde ein Bestseller.
Nun ist es Gegenstand eines Prozesses, der in Köln stattfindet. Kohl fordert fünf Millionen Euro Schadensersatz, weil der Autor eine Geheimhaltungsklausel verletzt habe. Es ergibt sich eine Groteske: Kohl diktierte auf Tonband, was die Öffentlichkeit erfahren sollte. Fälschungen hat Schwan nicht begangen. Was soll ein Gericht nun tun? Oder soll mit dem Prozeß-Spektakel nur die Auflage gesteigert werden?
Die Eitelkeit und Selbstverliebtheit ließ auch Kurt Biedenkopf nicht ruhen, der in seiner Amtszeit Tagebuch geführt hatte. Während Kohl einen persönlichen Assistenten engagierte, ließ der Königs-Ersatz in Sachsen Mitarbeiter der Adenauer-Stiftung die Arbeit machen. Auch hier geht es um Geld, Amtsmißbrauch und Vetternwirtschaft. Der Landtagsabgeordnete der Linkspartei, André Schollbach, hat Licht in den Skandal gebracht.
Die Fakten: Die Tagebücher wurden mit über 300 000 Euro aus der Staatskasse finanziert. Der Autor bedankte sich im Vorwort dafür, daß Ministerpräsident Tillich das Projekt unterstützt hat. Der bestreitet jedoch seine Mitwirkung. Die „Sächsische Zeitung“ teilte inzwischen mit, Biedenkopfs Texte seien Sache des Freistaates und damit Tillichs gewesen. Nun wird ein Gericht entscheiden müssen, welcher der beiden sächsischen Ministerpräsidenten die Unwahrheit sagte. Biedenkopfs Tagebücher erwiesen sich inzwischen als Flop, obwohl auf Kosten der Steuerzahler Buchvorstellungen auf Partys in Berlin und Prag organisiert wurden. Die Party in Berlin kostete 6089,05 Euro. Es wurden fünf Exemplare verkauft. Viel Lärm um nichts!
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