Solides marxistisches Wissen ist das Salz in der Suppe
Vom Abschwören „gläubiger Kommunisten“
Einst besaß ich eine jüngere Schwester, die eine eifrige 68erin und Mitglied der Kölner DKP war.
Warum spreche ich in der Vergangenheit – sie lebt ja noch. Doch politisch kann ich in ihr nichts Schwesterliches mehr erkennen. Als ich sie im Dezember 2014 nach langer Zeit wieder einmal besuchte, legte sie mir am adventlich gedeckten Frühstückstisch eine Notiz aus dem „Kölner Stadtanzeiger“ neben den Teller. Dort war für die, wie sie wohl meinte, „Putin-Versteherin“ zu lesen, daß der russische Präsident Frankreichs rechtsextreme Le-Pen-Partei unterstütze. Ihr Kommentar: Einen, der mit Faschisten im Bunde sei, könne man nur bekämpfen.
Natürlich war es dumm von mir, mich auf ein aussichtsloses Gespräch einzulassen. Ich hätte nur fragen sollen, warum sie dann nicht gegen den Westen polemisiere, der doch in der Ukraine tatsächlich Faschisten unterstützt, die das zu sein offen zugeben und, wie einst Hitler, für „ethnische Säuberungen“ eintreten. Oder, warum sie die Nachricht über Putin in der durch sie früher so kritisch beurteilten Presse der Bourgeoisie einfach glaube, ohne zu hinterfragen, worauf sich die Meldung stütze. Schuld an dem Flugzeugabsturz war natürlich ebenfalls Putins Rußland. Sie fragte sich nicht einmal, warum es die Ukrainer gewesen sind, die im Gegensatz zu Rußland jede wirkliche Untersuchung des Unglücks ablehnten.
Und dann bekam ich die üblichen antikommunistischen Tiraden zu hören. Sie wäre es eines Tages (wohl zufällig zur Zeit der „Wende“?) leid gewesen, weiter als gläubige Kommunistin zu agieren. Ich könne schon verstehen, entgegnete ich, daß jemand seinem Glauben abschwöre, begriffe aber nicht, daß aus einem ehemals „gläubigen“ Kommunisten ein ebenso gläubiger Antikommunist werden müsse, also ein „Glaube“ mit dem anderen vertauscht würde.
Aber war sie, da gläubig, überhaupt jemals Kommunistin? Zwar pflegte sie ihre Wohnung mit einschlägigen Porträts und kämpferischen Fotos zu tapezieren, ihre Jacke mit linken Abzeichen so zu schmücken, daß ich mir, als ich diese der Kälte wegen einmal von ihr auslieh, wie ein ordengeschmückter sowjetischer Marschall vorkam. Auch erinnerte ich mich daran, wie sie einmal von der Gemeinschaft jener schwärmte, welche nachts heimlich Plakate klebten und dann vor der Polizei davonlaufen mußten. Solches Gemeinschaft stiftendes Tun fehlt heute offensichtlich vielen ehemals „Gläubigen“, die sich jetzt glaubenslos vereinsamt vorkommen.
Dieses jugendliche Sich-Ausleben-Können war es wohl, das damals viele zu vermeintlichen Linken machte. Ich spürte nun, daß das wohl nur vom Gefühl, weit weniger aber von weltanschaulich gestütztem Wissensdrang genährt war. So stellte ich fest, daß diese „gläubigen“ jungen Leute kaum neugierig auf die so spannende Lektüre der marxistischen Klassiker waren, um sich dort die nötigen Kenntnisse zu holen, ohne die niemand von sich sagen kann, er sei Marxist.
Marx, Engels und Lenin haben ihr halbes Leben in Bibliotheken zugebracht. Ohne Weiterbildung gibt es keine Weiterentwicklung. Man bleibt dann an einer bestimmten Stelle stehen – auf einem Standpunkt, der leicht durch eine Konterrevolution zu erschüttern ist. Bei jeder Bewegung aber muß das Ziel stets deutlich bleiben. Man darf nicht vergessen, in welche Richtung man sich bewegt. Dazu aber ist eine solide theoretische Anleitung unerläßlich.
Leider hat es – das besagt meine Erfahrung nach vielen Besuchen – auch in der DDR an kluger Unterweisung durch gute Lehrer gemangelt. Schüler und Studenten wurden oftmals unzureichend dazu angehalten, gewisse Dinge kritisch auf den Prüfstand zu stellen. Es wurde ihnen ja auch von der führenden Partei ungenügend vorgelebt. Diese hatte zu Honeckers Zeiten die kritische innerparteiliche Hinterfragung, wie sie unter Lenin in dessen Partei stets geübt worden war, mehr und mehr aufgegeben.
Fehlende Courage ist kein guter Ratgeber für all jene, welche in einem sozialistischen Staat Vorbilder sein sollten. Intellektuelle Neugier muß genährt werden.
An der fehlt es hierzulande angesichts der gegenwärtigen Hysterie nach den islamistischen Attentaten in Paris. Da kuscheln sie sich wieder zusammen, suchen Wärme in Riesendemos, doch diesmal mit dem lächelnden Wohlwollen der Regierungsvertreter. Für ein Räuber-und-Gendarm-Spiel sind die meisten inzwischen zu alt. Da sucht man das Bequemere, die möglichst breite Verbindung. Kritik an islamistischem Fanatismus kostet hier in Frankreich weniger Mut als journalistisch gegen Kriege anzuschreiben, die diesem pseudo-religiösen Eifer Vorschub leisten. In Paris gab es 20 Tote – wie viele Menschen aber kommen in „unseren“ westlichen kolonialen Kriegen Tag für Tag ums Leben?
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