Aus der Verteidigungsrede Heinz Keßlers vom 16. September 1993
Vom Kampf für ein neues Deutschland
Ich stehe als Antifaschist, der Sozialist, Kommunist wurde, vor diesem Gericht. Einem Justizorgan eines Staates, der ein anderer ist als der, in dem ich politisch gewirkt habe. Eines Staates, der sich anschickt, über den ehemals weltweit anerkannten Staat DDR zu Gericht zu sitzen. Er will über die von der Legislative der DDR beschlossenen Gesetze und deren Bürger, die diesen Gesetzen verpflichtet waren, befinden – ein Novum in der Politik und Rechtsgeschichte, wie von nicht wenigen in- und ausländischen Experten festgestellt wurde.
Zur Person: Ich komme aus einem politisch aktiven, kommunistisch orientierten Elternhaus. Die von mir hochverehrte Mutter und der hochverehrte Vater mußten die Hölle des Faschismus, seiner Gefängnisse, Konzentrationslager und Strafbataillone mit all ihrem unmenschlichen Terror über sich ergehen lassen. Warum? Sie kämpften für Deutschland gegen das Hitler-Regime und dessen völkermordenden Krieg. Ich habe es erlebt, bin ein Zeitzeuge dafür, wie die Schergen des Nazismus Kommunisten, Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten und jüdische Bürger verfolgten, quälten und oft – unseren Augen entzogen – vernichteten. Dies alles prägte von früher Jugend an meinen Lebensweg, den ich nie verlassen habe.
Wegen meines Wirkens als Bürger der DDR wurde ich verhaftet, bin ich in Untersuchungshaft, sitze ich hier in diesem Saal und soll ich mich vor diesem Gericht der BRD verteidigen. Wir Bürger der DDR waren und blieben Suchende, Lernende im Prozeß des Aufbaus einer neuen sozialen Ordnung. Dabei sind uns Fehler unterlaufen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Ich bekenne mich zu dem, was geleistet wurde und was uns durch eigene Fehler und Unzulänglichkeiten nicht gelungen ist.
Zu den Umständen gehört es folglich auch, daß ich mit vielen anderen Bürgern der DDR Angehöriger der Streitkräfte wurde. Das war eine Folge der Bewaffnung der BRD. Im Leben und in der Politik spielt die Reihenfolge oft eine wichtige Rolle. Erst bewaffnete sich die BRD und dann die DDR. Erst Bundeswehr und danach NVA. Wie überhaupt die Gründung der DDR erst nach der durch die mit der Bildung der BRD abgeschlossenen Spaltung erfolgte.
Wir trauern um
Heinz Keßler
Im Alter von 97 Jahren ist unser Freund und Genosse am 2. Mai 2017 gestorben.
Am 16. September 1993 wurde er von der Klassenjustiz verurteilt. Seine Verteidigungsrede bleibt sein Vermächtnis und Auftrag an uns, den Kampf gegen Neonazismus, Rassismus, Fremdenhaß und Kriegsgefahr fortzusetzen.
Maschinenschlosser, Deserteur der Wehrmacht, Mitgründer und Frontbeauftragter des NKFD, Mitgründer der FDJ, General, Verteidigungsminister – das nur einige Lebensstationen eines sich selbst treu Gebliebenen.
Heinz stand bis zuletzt in unseren Reihen. Wir werden ihn nicht vergessen.
„RotFuchs“-Redaktion und -Förderverein
Nachricht 144 von 2043
- « Anfang
- Zurück
- ...
- 2. Juni 1967:
Die Ermordung des Studenten
Benno Ohnesorg - 60 Jahre DTSB – ein würdiges Jubiläum
- Politkrimi oder Provokation?
- Vom Kampf für ein neues Deutschland
- Georgi Dimitroff – Ein mutiger Kämpfer
- Dubiose Vorschläge und
kontraproduktive Rezepte - Zyklus „Lebendiges Erbe“ –
Eine Einführung - ...
- Vorwärts
- Ende »