Wie die BRD Georg Büchners plötzlich gewahr wurde
Vom Ruhm eines hessischen Rebellen
Er kämpfte mit den Aufrührern des Vormärz um 1835 gegen obrigkeitsstaatliche Unterdrückung und bittere soziale Not; als Verfasser des Revolutionsaufrufes „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ im „Hessischen Landboten“ war er steckbrieflich gesucht und verfolgt. Als der gerade 23jährige 1837 im Exil verstarb, hinterließ er ein schriftstellerisches Werk, das in der Weltliteratur einen herausragenden Platz einnimmt. Im Oktober 2013 jährte sich der Geburtstag Georg Büchners zum 200. Male. Die öffentlichen Ehrungen, besonders in der südhessischen Herkunftsregion des Dichters, überboten einander an Glanz und Glorie. Doch bleiben Fragen und Zweifel an der Aufrichtigkeit von offiziös-beflissenen Würdigungen für den Rebellen Georg Büchner.
Geboren am 14. Oktober 1813 im südhessischen Goddelau als Sohn eines Arztes, wurde Georg Büchner zum Dichter des kämpferischen Aufbegehrens gegen die rückständigen halbfeudalen Verhältnisse seiner Zeit. Das Drama „Woyzeck“, die Tragödie eines in Armut vegetierenden Menschen, der – entrechtet und seiner Würde beraubt – zum Mörder wird, kennen heute Generationen von Schülerinnen und Schülern aus dem Literaturunterricht. Das erschütternde Drama ist das weltweit am meisten gespielte Theaterstück.
Mit diesem und anderen Werken gelang es Georg Büchner zehn Jahre vor Erscheinen von Marx’ „Manifest der Kommunistischen Partei“, „Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur seiner Zeit tiefgründig zu erfassen und durch Erkenntnis des Grundwiderspruchs seiner Epoche erstmals ein Menschenbild aus der revolutionären Sicht der Unterdrückten zu entwerfen“, heißt es im „Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller“, herausgegeben 1972 im VEB Bibliographisches Institut Leipzig.
Wie kommt es, daß ein Dichter von so rebellischer Kühnheit heute in der Bundesrepublik Deutschland posthum mit Ehren überhäuft wird? In einem Staat der Bankpaläste und der verschämten Armut also, in dem die Reste der Teilhabe-Chancen von gesellschaftlich Benachteiligten mit Instrumenten wie der Agenda 2010 verramscht werden, und die Verachtung der sogenannten Unterschichten wieder hoffähig, ja modisch angesagt ist?
Büchner zum Ruhme und entsprechend des Beschlusses der schwarz-gelben Bundesregierung vom Januar 2013 hat das Bundesfinanzministerium eine Sondermünze im Wert von 10 Euro herausgegeben. Einer Alleinerziehenden mit Hartz IV oder einem geringverdienenden „Aufstocker“ ist per Gesetz monatlich weniger als dieser Betrag für Kino, Theater, Bücherkäufe oder Museem zugemessen. Ob einer der vom kulturellen Leben Ausgeschlossenen im Lande der Dichter und Denker ein solches Silberstück mit Büchners Bildnis wohl für ein Theaterticket zu „Lenz“, „Dantons Tod“ oder „Woyzeck“ ausgibt? Doch mit dem geprägten Geldstück im Nennwert zweier Tagessätze nicht genug! Zum Nennwert von 58 Cent hat die Bundespost eine Sondermarke mit dem polizeilichen Steckbrief editiert.
Zahllos waren die anderen feierlichen Weihen, die Georg Büchner 2013 besonders in seiner Heimatregion um Darmstadt zuteil wurden. Neben Sonderausstellungen, Büchner-Projektwochen in Schulen, universitären Veranstaltungen, Vorträgen, feuilletonistischen Beiträgen oder Lesungen ragen die Inszenierungen im Darmstädter Staatstheater am Georg-Büchner-Platz hervor. Und zur offiziellen akademischen Festveranstaltung des SPD-geführten Landkreises Groß-Gerau, wo des Dichters Geburtshaus im Riedstädter Ortssteil Goddelau mit der seit 1997 darin befindlichen Gedenkausstellung steht, hielten der Kreisbeigeordnete sowie der amtierende Bürgermeister derart kämpferische Reden, als hätten sie Büchners Fanal von den Hütten und Palästen ab sofort in ihr Programm genommen. Bürgermeister Amend ließ wissen, „daß sich die Gemeinde schon 1987 für die Herausgabe einer Büchner-Sondermarke zum 150. Todestag eingesetzt“ habe – „damals leider ohne Erfolg“. Er führte die seinerzeitige Ablehnung des Bundespostministeriums an. Die DDR habe demgegenüber schon 1963 eine Büchner-Sondermarke ausgegeben. Zumal der sozialistische deutsche Staat mit dem DEFA-Film „Addio, piccola mia“ ein weiteres Denkmal für Georg Büchner gesetzt hatte, schien den damaligen Bonner Wertzeichen-Verantwortlichen im Kalten Krieg offenbar Abstand zu diesem geboten.
Weit aufrichtiger schien da die Festansprache des Marburger Professors Dr. Burghard Dedner. Die zwingende Folgerichtigkeit im „Hessischen Landboten“ von 1834, mit der Georg Büchner das schamlose Ausplündern der Arbeitenden anprangerte, liege unter anderem in seiner Beweisführung durch statistische Daten aus dem damaligen Großherzogtum Hessen. Dedner nannte sozialökonomische Kennziffern, die analoge Ausbeutungsverhältnisse unserer Tage – nur auf weit höherem Produktivitätsniveau – erkennen lassen.
Ein besonders deutliches Indiz für falsche Töne in der offiziellen Büchner-Ehrung 2013 erkennt Rudi Hechler. Der Schriftsetzer und Literaturfreund ist DKP-Gründungsmitglied und arbeitet in der sehr erfolgreichen Ortsgruppe Mörfelden-Walldorf nahe Riedstadt. „Im Januar 1975 stand im ND ein Artikel Erik Neutschs: … Er erfuhr in dem 5500 Einwohner zählenden Dorf, wie wenig man sich in Goddelau um den ,großen Sohn’ kümmerte“, schrieb Hechler im November 2013 im dortigen „blickpunkt“. Weiter erfährt man: „Die DKP im Kreis Groß-Gerau forderte damals die Erhaltung des Geburtshauses und die Einrichtung einer Gedenkstätte. (…) Der Kultusminister von Hessen schrieb: ,Georg Büchner ist zwar in Goddelau geboren, eine sonst irgendwie geartete Verbindung zu Goddelau besteht jedoch nicht.‘“
Nunmehr vermeinen die zu Büchner-Enthusiasten gewandelten bundes- und landesbehördlichen Kulturhüter dessen Erbe offenbar besitzergreifend und politisch eigennützig vermarkten zu können.
Was würde wohl der Geehrte dazu sagen? Vielleicht würde er einen „Bundesdeutschen Landboten“ herausgeben und wiederum anklagen: „Seht nur, was man (…) aus dem Staat gemacht hat; seht, was es heißt: die Ordnung im Staate erhalten!“
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