Aus Berichten der Betriebszeitung
des VEB Kunstseidenwerk „Clara Zetkin“
Vom würdevollen Leben der
Vertragsarbeiter in der DDR
Im Rahmen der anhaltenden Kampagne zur Verunglimpfung der DDR durch die Medienmafia spielt die angebliche Diskriminierung ausländischer Vertragsarbeiter wieder eine spezifische Rolle. Da ist dann von „Ausbeutung billiger und rechtloser Arbeitssklaven“, „Zuweisung niedrigster Tätigkeiten“, „Ghettoisierung“ und „Ausländerfeindlichkeit“ die Rede.
Leider reihen sich in diesen Chor der Verleumder auch vorgeblich Linke ein, die sich an der Verteufelung der DDR als angeblicher Unrechtsstaat aktiv beteiligen. Erinnert sei hier an das Agieren der Amadeu-Antonio-Stiftung oder die seit 2012 gezeigte Ausstellung „Bruderland ist abgebrannt – Einwanderung, Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus in der DDR“. Zu ihren Gestaltern gehören sowohl die Rosa-Luxemburg-Stiftung als auch das Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick.
Aufschlußreich dürfte nicht nur für jüngere Menschen, sondern auch für alle, welche nur die kapitalistische Realität der BRD kennen, der folgende Bericht sein. Er stützt sich auf die alle drei Wochen erschienene Betriebszeitung „Neues Schaffen“ des Elsterberger VEB Kunstseidenwerk „Clara Zetkin“, in dem etwa 1600 Menschen arbeiteten. Das Städtchen im Vogtland, wo der Betrieb angesiedelt war, zählte damals etwas über 6000 Einwohner. Ich war in diesem Werk als Fachgebietsverantwortlicher für Kultur tätig. Die Darstellung des im folgenden als Zeitdokument zitierten Blattes ist frei von schönfärberischer Propaganda und einseitiger Interpretation. Ich stütze mich dabei auf die beiden letzten Jahrgänge.
Doch der Reihe nach: Ein Foto auf der Titelseite der Nr. 3 von „Neues Schaffen“ stellte im Februar 1989 die besonders verdiente Brigade „Clara Zetkin“ vor. Unter den fünf Frauen, die ihr angehörten, befand sich auch die Kubanerin Lourdes Diaz Lopez. In der darauf folgenden Ausgabe wurden die Leser mit den aus Anlaß des Internationalen Frauentages für vorbildliche Arbeit ausgezeichneten 27 Frauen bekannt gemacht. Neben der bereits erwähnten Kubanerin befand sich unter den Geehrten auch die vietnamesische Arbeiterin Ngan Tran Thi aus der Abteilung Zwirnerei.
In der Nr. 5 (April 1989) meldeten sich ausländische Arbeitskräfte zum Thema „Aktives und passives Wahlrecht in der DDR“ zu Wort. Die Vietnamesin Le Nhu Ky schrieb dort im Namen ihrer nationalen Einsatzgruppe: „Wir haben mit Freude den Beschluß der Volkskammer aufgenommen, daß ausländischen Bürgern, deren Aufenthalt in der DDR länger als sechs Monate dauert, das aktive und passive Wahlrecht gewährt wird. Das werten wir als Anerkennung der erbrachten Leistungen an unseren Arbeitsplätzen in der DDR.“ Und der Kubaner Reinaldo Figueroa Martinez schrieb: „Für uns ist die DDR zu einer zweiten Heimat geworden. Hier arbeiten und leben wir mit unseren deutschen Freunden. … Die Facharbeiternormen erfüllen und überbieten wir in Menge und Qualität beträchtlich. … Wir alle schätzen es hoch, daß wir die gleichen Rechte und Pflichten haben wie unsere deutschen Kollegen in der DDR.“
Damals hatte der sozialistische deutsche Staat allen ausländischen Bürgern bei mehr als sechsmonatigem Aufenthalt im Lande das kommunale Wahlrecht eingeräumt. In der BRD lagen die Dinge hingegen völlig anders. Durch ein Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 9. Februar 1989 wollte das Bundesland Schleswig-Holstein Staatsangehörigen Dänemarks, Irlands, der Niederlande, Norwegens, Schwedens und der Schweiz, die seit mindestens fünf Jahren berechtigt im Inland lebten, die Teilnahme an Gemeinde- und Kreiswahlen gestatten. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Entscheidung aber per Urteil vom 31. Oktober 1990 als mit dem Grundgesetz unvereinbar. Erst nach dem Maastricht-Vertrag fügte das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992 in den Art. 28 Abs. 1 GG folgenden dritten Satz ein: „Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar.“ Das war drei Jahre nach der DDR-Entscheidung und galt nur für Bürger der damaligen EG-Staaten, nicht aber für Hunderttausende türkische Arbeitskräfte, die oft schon jahrelang in der BRD ansässig waren und dort Lohnsteuer zahlten!
Doch kehren wir nach Elsterberg und zur Be-triebszeitung „Neues Schaffen“ zurück. In Nr. 7 wurde die Ehrentafel der zum 1. Mai als „Aktivist der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichneten 7 Frauen und 7 Männer abgedruckt. Unter ihnen befanden sich die Ungarin Erszebet Fendrich (Leiterin der HO-Betriebsverkaufsstelle), der bulgarische Spinnbad-Schlosser Boris Borissow und der Kubaner Jorge Tamayo Rodriguez aus der Spinnerei. In der darauf folgenden Nr. 8 wurde Borissow in anderer Eigenschaft erneut vorgestellt: als gerade wiedergewählter gewerkschaftlicher Vertrauensmann. In derselben Ausgabe zeigte man ein Foto der Mitarbeiterinnen des Kollektivs „Konsumgüterproduktion“, dem neben 7 deutschen Frauen auch die Vietnamesin Ha Le Thy angehörte.
Aufschlußreich war nicht zuletzt der Bericht vom 14. Betriebssportfest des VEB. Zu den Siegern gehörten sowohl Kubaner als auch eine vietnamesische Tischtennismeisterin.
Auf der Titelseite der Nr. 10 des Blattes wird in einer Bildnachricht erneut die Brigade „Clara Zetkin“ vorgestellt: 7 der 12 Frauen kamen aus Vietnam. Man erfährt überdies, daß im Betrieb ein „Klub International“ gebildet wurde. Ausführlich ist die Reportage vom Betriebsfest aus Anlaß des kubanischen Nationalfeiertages. Kubaner, Deutsche und Vietnamesen hätten „ein stimmungsvolles Tanzfest unter freiem Himmel“ begangen, „ganz wie in der karibischen Heimat eines Teils der Arbeiter. Zum frohen Beisammensein gehörten auch kubanische Speisen vom Grill und Sangria“, erfährt man dort. Übrigens seien sämtliche Veranstaltungskosten aus dem betrieblichen Kultur- und Sozialfonds bezahlt worden. Es verstehe sich von selbst, daß der 26. Juli für die Kubaner ein bezahlter Feiertag gewesen sei. Und weiter heißt es: „Mit dem Klub International soll die freundschaftliche Verbundenheit der kubanischen, vietnamesischen und deutschen Kollegen gefördert werden.“ Dem Anliegen dienten Gespräche zu Themen aus Politik, Geschichte, Kultur, Küche, Mode und Kosmetik. Vorgesehen sei auch die regelmäßige Vorführung originalsprachlicher Filme im städtischen Kino.
Auf der Titelseite der Ausgabe vom September 1989 lautete die Schlagzeile: „Vietnam – ein fernes, doch kein fremdes Land“. Aus dem Beitrag erfuhr man: „Die Ausbildung und die Arbeit der vietnamesischen Kollegen in unserem Betrieb ist Ausdruck konkreter gegenseitiger Wirtschaftshilfe. Wenn auch die Sprachen, Lebensgewohnheiten, Sitten und Bräuche sehr verschieden sind, so arbeiten wir doch gemeinsam für unser aller Wohl.“ Daß hier kein Idealbild vorgegaukelt wird, zeigt sich im nächsten Absatz: „Leider gibt es immer noch einige Bürger, die das nicht so erkennen wollen. Wegen des Fremden, Ungewohnten schenken sie manchmal Gerüchten Glauben, die nicht auf dem Boden des Sozialismus gewachsen sind.“
Der Vietnamese Le Dinh Binh berichtete dort: „Ich stamme aus einer Bauernfamilie. Mein Freund war Soldat. Wir sind beide nach Elsterberg gekommen, um uns durch die Arbeit zu qualifizieren. Obwohl wir uns sehr umstellen mußten, angefangen von der Technik und der Arbeitsweise bis hin zum Klima, gewöhnen wir uns nach und nach an alles. Heute kann ich schon wie meine deutschen Kollegen arbeiten. Mit der Sprache habe ich noch Schwierigkeiten, aber das kriege ich auch noch hin. … Ich fühle mich im Betrieb und in der Stadt Elsterberg ganz wie zu Hause.“
Auf Seite 4 derselben Ausgabe wurde über sommerliche Kinderferienlager berichtet. Dabei ging es um den Austausch mit einem slowakischen Partnerbetrieb und über den durch die DDR-Gewerkschaften finanzierten Durchgang für polnische Pfadfinder im betrieblichen Ferienheim am nahen Stausee.
Im November 1989 wurde die Ehrentafel der zum Tag des Chemiearbeiters als Aktivist ausgezeichneten Betriebsangehörigen veröffentlicht. Unter ihnen befand sich der kubanische Anlagenfahrer José Castaneda Aguilero.
Inzwischen hatten auch in Elsterberg erste „Montagsdemonstrationen“ stattgefunden, auf denen betriebsfremde Personen die angeblich beklagenswerte Situation ausländischer Arbeitskräfte thematisierten. Darauf reagierte „Neues Schaffen“ im Dezember 1989. Diese Ausgabe wurde auch an Bürger abgegeben, die nicht im Betrieb tätig waren, um kursierenden Gerüchten die Spitze zu nehmen. Einmal mehr wurde der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte thematisiert. Das Interview mit Gabriele Ruß, Direktorin für Kader und Bildung, stellte die Frage: „Fern der Heimat, viele Einschränkungen und trotzdem zufrieden?“ Frau Ruß teilte mit, daß bereits seit Ende der 60er Jahre ausländische Arbeitskräfte im VEB Kunstseidenwerk beschäftigt worden seien. Auf Ungarn und Bulgaren folgten Kubaner und Vietnamesen.
Der Einsatz der „Vertragsarbeiter“ war in Regierungsabkommen vereinbart worden und beruhte auf Wünschen und Forderungen der Entsendeländer. Darin seien auch Unterkunft, soziale und kulturelle Betreuung, Qualifizierungen, tarifgemäße Vergütung und Urlaubsansprüche sowie die Sozialversicherungspflicht festgelegt worden. Zu den Wohnbedingungen hieß es: „Die vier Wohnheime für Ausländer (ohne Pförtner!) befanden sich inmitten des Komplexes der Betriebswohnungen. Die Monatsmieten waren mit 20 Mark ebenso niedrig wie die der deutschen Ledigen oder Lehrlinge in deren Quartieren.“ Frau Ruß beschrieb die vom Betrieb finanzierte Ausstattung der Ein- bis Zwei-Raum-Wohneinheiten mit Kühlschränken, Waschmaschinen und Kochherden. Zwei Personen teilten sich in der Regel ein Zimmer.
In dem Beitrag wurde auch die Ausbildung der Vertragsarbeiter zur Sprache gebracht. Eine erste Arbeitsplatzqualifizierung und ein erfolgreich bestandener Deutschkurs seien die Voraussetzungen für eine reguläre Facharbeiterausbildung. Zum Zeitpunkt der Information absolvierten gerade drei Kubaner einen Meisterlehrgang.
Während des achtwöchigen Einführungskurses, der noch ohne praktischen Arbeitseinsatz erfolge, werde der Mindestlohn von 400 Mark der DDR gezahlt. Danach erfolge die Eingruppierung in die jeweiligen Tariflohnkategorien. Zusätzlich erhielten alle Ausländer ein Trennungsgeld von 4 Mark pro Tag, wobei Kubaner und Vietnamesen einen Teil ihres Nettolohnes auf Sparkonten in die Heimat zu überweisen hatten. Vietnamesen durften während des Einsatzes in der DDR jeweils zwei Mopeds, fünf Fahrräder, zwei Nähmaschinen und zwei Radiogeräte erwerben, um sie ihren Angehörigen zukommen zu lassen.
Auch die Frage, welche Kosten dem Betrieb für Ausbildung, Unterkunft usw. entstünden, blieb nicht unbeantwortet. Feste Kosten seien Flugtickets bei An- und Rückreise sowie für eine Urlaubsreise pro Person nach Vietnam (6400 Mark) und nach Kuba (5000 Mark), eine einmalige Einkleidungsbeihilfe in Höhe von 500 Mark sowie 1460 Mark Trennungsgeld pro Jahr.
Auch 1990 veröffentlichte „Neues Schaffen“ noch etliche die ausländischen Kollegen betreffende Beiträge. So erfuhr man aus einer Information der Personalabteilung, daß 1989 nur drei der 66 Kubaner und acht der 125 Vietnamesen insgesamt 110 Fehlstunden verursacht hatten, was deutlich unter dem Durchschnitt der Betriebsangehörigen lag.
Die Aprilausgabe des „Umbruchjahres“ brachte ein Interview mit dem Gruppenleiter und Dolmetscher der Vietnamesen. „Elsterberg – unser zeitweiliges Zuhause“ lautete die Überschrift. Darin wurde auf unterschiedliche Eßgewohnheiten eingegangen, die vom örtlichen Handel nicht immer berücksichtigt worden seien. Thematisiert wurde auch die Tatsache, daß die Vietnamesen für ihre hohen Nettolöhne in großer Zahl Nähmaschinen, Fahrräder und Mopeds gekauft und ihren Familien geschickt hätten. Gruppenleiter Le Nhu Ky faßte das Ganze mit den Worten zusammen: „In jedem Volk gibt es ehrliche und unehrliche, fleißige und faule, kluge und dumme Menschen. Deshalb sind Vernunft, gegenseitige Achtung und Verständnisbereitschaft notwendig.“ Bis zum Herbst 1990 kehrten die kubanischen und vietnamesischen Vertragsarbeiter auf Beschluß ihrer Regierungen in die Heimatländer zurück. Sie wurden in der Noch-DDR feierlich verabschiedet – sowohl von ihren betrieblichen Vorgesetzten als auch von den deutschen Kollegen am Arbeitsplatz.
Übrigens gab es in den Jahren 1989 und 1990 in Elsterberg weder ausländerfeindliche Kundgebungen noch tätliche Angriffe auf die Kollegen aus anderen Teilen der Welt.
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