Als „Treffpunkt Berlin“ und „Pulsschlag der Zeit“
Ohrwürmer waren
Von den Anfängen des
demokratischen Rundfunks
Der Berliner Rundfunk sprach anfangs als einziger Sender zu ganz Deutschland – soweit die technischen Möglichkeiten es zuließen. Immerhin habe ich ihn im Sommer 1945, noch als Gefangener, in einem Lager bei Nürnberg gehört. Erst ab August/September 1946 erlaubten auch die westlichen Besatzungsmächte deutsche kommentierende Sendungen. Aber selbst sie übernahmen zunächst einige wichtige Beiträge von uns, so Werner Kleins Reportagen vom Buchenwaldprozeß. Auch am Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß 1946 hatte Michael Wolf-Storm vom Berliner Rundfunk anfangs als einziger deutscher Rundfunkjournalist teilgenommen.
„Treffpunkt Berlin“ 1948 mit
Michael Wolf-Storm,
Herbert Geßner,
Karl-Eduard von Schnitzler,
Günther Cwojdrak und
Helmut Schneider
Dort lernte er Herbert Geßner vom Bayerischen Rundfunk kennen, der als aufrechter Antifaschist bald danach zu uns kam und der erste Gast in unserer später so populären Sendereihe „Treffpunkt Berlin“ wurde. Ihm folgten dann profilierte Kommentatoren westdeutscher Sender wie Karl-Eduard von Schnitzler aus Köln, Günther Cwojdrak und Karl Gass aus Hamburg. Ihr Weg zu uns war ein vielbeachteter Protest gegen die damals schon erkennbaren Ansätze der Restauration des deutschen Imperialismus und ein aufrechtes Bekenntnis zu einem demokratischen Deutschland.
Dieser „Treffpunkt“ wäre übrigens sogar in seiner journalistischen Form damals im Westrundfunk unmöglich gewesen: Es war eine freie Diskussion ohne „abgezeichnetes“ Manuskript über aktuelle Themen. Die Sendung war auch nicht ohne Humor. Ich erinnere mich, wie sie einmal damit begann, daß alle Beteiligten stotternd und falsch russische Wörter von sich gaben, bis einer sagte: „Rotlicht! Wir sind auf dem Sender, wir dürfen deutsch sprechen!“, und dann ein Zitat aus der Westberliner Zeitung „Telegraf“ verlas, wonach in unserem Funkhaus nur vor dem Mikrofon deutsch gesprochen werden durfte, sonst aber russisch.
„Treffpunkt Berlin“ war nicht das einzige, aber wohl ein besonders markantes Beispiel für die nationale Verantwortung des Berliner Rundfunks in einer Zeit zunehmender imperialistischer Spaltungspolitik. Wenn wir die Rundfunkarbeit von 1946 bis zur Gründung des Staatlichen Rundfunkkomitees 1952 überblicken, so finden wir im Programm die zielstrebige Vielfalt in der Entwicklung der damaligen Sowjetischen Besatzungszone und später der DDR wieder.
Am Anfang des genannten Zeitabschnitts stand die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien im April 1946. Daß wir an diesem Ereignis, dem ein jahrzehntelanger opferreicher Kampf vorangegangen war, nun jeden Hörer teilnehmen lassen konnten, erfüllte uns mit Stolz und Begeisterung. Das sprach wohl auch aus unseren Sendungen.
Die Vereinigung von KPD und SPD zur SED war ein geschichtlicher Prozeß, der zwar in jenen Ostertagen seinen Höhepunkt erlebte, aber noch Monate danach weiterging.
Im Januar 1946 hatte mir ein alter Genosse in Leuna gesagt: „Wir kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeiter haben gemeinsam gegen Hitler gekämpft. So kam es zu einer echten Einheit der Klasse. Darum verstehe ich nicht, daß im vorigen Jahr wieder zwei Arbeiterparteien gegründet wurden. Ist das nicht ein Rückfall in eine schlechte Tradition?“
Solche Meinungen waren ernst zu nehmen. Manche Sozialdemokraten und Kommunisten unterschätzten die notwendige ideologische Klärung, ohne die keine dauernde Einheit zu erreichen war. Aus dieser Erkenntnis ergaben sich für den Rundfunk wichtige Aufgaben. Sie wurden außer im Tageskommentar und in den Nachrichten vor allem von den Sendereihen „Tribüne der Demokratie“ und „Pulsschlag der Zeit“ wahrgenommen.
Ab Mitte 1946 nahmen auch bei uns die einzelnen Landessender ihre Tätigkeit auf, wobei die großen technischen Schwierigkeiten mit Hilfe unserer sowjetischen Freunde überwunden werden konnten.
So kam der Rundfunk näher an seine Hörer heran, auch persönlich durch seine Mitarbeiter. In einem Berliner Betrieb sagten die Arbeiter, wenn der „Pulsschlag“-Reporter Georg Gudzent erschien: „Jetzt kommt unser Reporter.“ In einem westdeutschen Betrieb wurden bei einem Streik nur die Reporter des demokratischen Rundfunks, also des Deutschlandsenders, von den Streikposten eingelassen.
ln den ersten Jahren war jeder noch so winzige Fortschritt unserer Industrie ein wichtiges Thema der Sendungen. Die Begriffe „Neuerer“ und „Schrittmacher“ gab es zwar damals noch nicht, aber der Rundfunk hat viele solcher Frauen und Männer den Hörern als Vorbilder bekanntgemacht. Ich erinnere nur an die nicht nur sachlich informativen, sondern auch journalistisch reizvollen Gespräche mit Adolf Hennecke.
Frauen und Männer, die heute in mittleren oder leitenden Positionen stehen, waren damals Jugendliche oder erst Kinder. Sie, deren Leben bisher von Luftangriffen und Trümmern bestimmt war, wurden durch die mitreißende Sendereihe „Wir bauen unsere neue Stadt“ (Leitung Christa Neumann-Grote) aufgefordert, sich Gedanken über die Wirklichkeit einer schöneren Zukunft zu machen, deren Erbauer sie damals in Phantasie und Spiel, später durch eigene Arbeit wurden.
Mit dem Ausbau des westdeutschen Sendernetzes (einschließlich der in deutscher Sprache sendenden amerikanischen Stationen RIAS und „Radio Free Europe“) verstärkte sich das Bemühen des Imperialismus, den Rundfunk als Waffe gegen unsere Republik zu mißbrauchen, verschärfte sich der Klassenkampf im Äther. Der demokratische Rundfunk bewährte sich als Verteidiger des Humanismus, als Waffe des Friedens, als Forum der Wahrheit und nicht zuletzt als Freund der Bevölkerung in Westdeutschland. Dies war die besondere Aufgabe des Deutschlandsenders, vor allem seiner damaligen Sendereihe „Wir sprechen für Westdeutschland“. Patrioten aller Richtungen von Max Reimann bis Pastor Niemöller traten vor unsere Mikrofone. Als Leiter der Sendereihe erhielt ich wöchentlich bis zu 2000 Briefe.
Mit dem Erinnern an die publizistischen Sendungen ist natürlich nicht das Gesamtprogramm des Rundfunks jener Jahre gewürdigt. So haben die Musiksendungen nicht nur – und schon das war wichtig – die bei den Faschisten verfemten und der Jugend unbekannten Werke etwa von Mendelssohn-Bartholdy übertragen und Bach wie Händel in neuen Aufnahmen liebevoll dargeboten, sondern waren auch Motor des Neuen. Viele Arbeiter- und Jugendlieder wurden in das Programm aufgenommen, darunter auch solche, die von eigenen Mitarbeitern wie Helmut Koch und Kurt Sandig geschaffen worden waren. Einige davon sind heute bereits Volkslieder.
Horst Heydeck, in: „FF dabei“, Nr. 37/1973
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