RotFuchs 216 – Januar 2016

Vom aufrechten Sozialdemokraten und KPD-Mitbegründer
zum Präsidenten der DDR

Vor 140 Jahren wurde
Wilhelm Pieck geboren

Dr. Ehrenfried Pößneck

Am 3. Januar 1876 wurde Wilhelm Pieck als Sohn des Kutschers Friedrich Pieck und seiner Frau Auguste in Guben geboren. Bereits zwei Jahre später starb seine Mutter. Der Vater heiratete bald darauf die Wäscherin Wilhelmine Bahro. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte der junge Wilhelm eine vierjährige Tischlerlehre. Als Geselle schloß er sich 1894 dem Deutschen Holzarbeiterverband an. In die SPD trat er am 1. Juli 1895 ein. Von 1896 bis 1906 arbeitete Wilhelm Pieck in seinem Beruf in Bremen, wo er 1898 die Schneiderin Christine Häfker heiratete. Aus der Ehe gingen die Kinder Elly, Arthur und Eleonore hervor.

Auf dem Parteitag der SPD, der 1904 in Bremen zusammentrat, lernte der junge Genosse Clara Zetkin und August Bebel kennen. Von 1905 bis 1910 gehörte Wilhelm Pieck der Bremer Bürgerschaft an. Bis zu diesem Jahr war er seit 1906 hauptamtlicher Sekretär der SPD in Bremen und Vorsitzender ihres Bildungsausschusses. Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Karl Liebknecht folgten seiner Einladung zu Vorträgen in der Hansestadt. Während eines Halbjahreslehrganges an der Zentralen Parteischule der SPD in Berlin (1907/08) hörte er Vorlesungen von Rosa Luxemburg und Franz Mehring. 1908 verteidigte er als Delegierter des Nürnberger SPD-Parteitags den 1. Mai als Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse gegen Revisionisten, die ihn abschaffen wollten. Im März 1910 wurde Wilhelm Pieck vom Parteivorstand der SPD zum 2. Sekretär ihres Zentralen Bildungsausschusses und Sekretär der Zentralen Parteischule berufen. Dort arbeitete er eng mit Franz Mehring und Hermann Duncker zusammen.

Der historische Händedruck
von Wilhelm Pieck und
Otto Grotewohl beim
Vereinigungsparteitag
im April 1946

Die Zustimmung der SPD-Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten am 4. August 1914 sowie das analoge Verhalten sozialdemokratischer Führungen anderer Länder bedeutete das Ende der II. Internationale. Wilhelm Pieck unterstützte den Zusammenschluß der SPD-Linken gegen die „Vaterlandsverteidiger“ in der Parteiführung. Karl Liebknechts Flugblatt „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ wurde zu einer der Losungen der Gruppe „Internationale“. Gemeinsam mit anderen Genossen organisierte er im Mai 1915 eine Friedenskundgebung vor dem Reichstag. Wilhelm Pieck wurde festgenommen und blieb für einige Monate in „Schutzhaft“. Noch am Entlassungstag erhielt er den Einberufungsbefehl zur kaiserlichen Armee. 1917 stellte man ihn wegen Antikriegspropaganda vor ein Militärgericht. Auf dem Transport zur Front konnte er entweichen. Seitdem setzte Wilhelm Pieck den Widerstand gegen den Krieg illegal fort. Im Februar 1918 ging er auf Beschluß der Spartakusgruppe mit seinem Sohn Arthur nach Amsterdam, um die Herausgabe der Wochenzeitung „Der Kampf“ zu unterstützen. Unüberwindbare Differenzen zwischen dem Spartakusbund und der USPD-Führung endeten in der Trennung beider Organisationen.

Für den 30. Dezember 1918 und den 1. Januar 1919 berief der Spartakusbund den Gründungsparteitag der KPD nach Berlin ein. Zu den Leitern dieser historischen Tagung gehörte Wilhelm Pieck. Der Beginn des Wirkens der KPD wurde von der Ermordung Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts und vieler weiterer Revolutionäre durch eine dem Volksbeauftragten Gustav Noske (SPD) gehorchende weiße Soldateska überschattet.

Die Formierung der KPD war die erste große Lehre der klassenbewußten Arbeiterschaft aus der gescheiterten deutschen Novemberrevolution. „Wir sind wieder bei Marx!“, stellte Rosa Luxemburg damals fest.

Zu einem Höhepunkt in der revolutionären Nachkriegskrise wurde die Vereinigung der KPD mit der USPD (Linke) im Dezember 1920. Seitens der KPD bereitete sie Wilhelm Pieck mit vor. Zu den neuen Parteimitgliedern gehörte auch Ernst Thälmann. Die KPD entwickelte sich im Verlauf der nächsten Jahre nach Veränderungen in ihrer Führung zur revolutionären Massenpartei.

Margot Feist – später Honecker –
gratulierte Wilhelm Pieck als
jüngste Abgeordnete der
Provisorischen Volkskammer
zu seiner Wahl als Präsident
der DDR.

Während der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre nahmen die Klassenkämpfe auch in Deutschland an Schärfe zu. Das Finanzkapital suchte einen Ausweg im Faschismus und lieferte der NSDAP Hitlers am 30. Januar 1933 die politische Macht aus. Die in KPD, SPD und unterschiedliche Gewerkschaften gespaltene deutsche Arbeiterklasse war außerstande, die eigene Niederlage zu verhindern. Die Kommunistische Internationale (Komintern) führte vom 5. Juli bis zum 20. August 1935 in Moskau ihren VII. Weltkongreß durch. Dort zitierte Georgi Dimitroff den finnischen Kommunisten Otto Kuusinen: „Der Faschismus an der Macht … ist die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ Im Rechenschaftsbericht des Exekutivkomitees (EKKI), den Wilhelm Pieck vortrug, hieß es: „In Deutschland errichten die am meisten reaktionären, chauvinistischen und nationalistischen Elemente des Finanzkapitals die faschistische Diktatur. Sie propagieren den ‚Mythos des Blutes und der Ehre‘, die ‚Rassentheorie‘ des kriegslüsternen deutschen Imperialismus. Sie predigen den Kreuzzug gegen die Sowjetunion und zur Ausrottung des Marxismus in der ganzen Welt.“

Wilhelm Pieck setzte sich auch mit dem Sektierertum in der KPD auseinander, das sie im Streben nach antifaschistischer Einheits- und Volksfront behindere. Er wies darauf hin, daß der Kampf für den Sturz des Faschismus nicht unter den Losungen der Diktatur des Proletariats und der sozialistischen Revolution geführt werden könne und hob hervor: „Da die Volksmassen weder für die Diktatur des Proletariats noch für den Sozialismus zu kämpfen bereit sind, ist eine antifaschistisch-demokratische Regierung der Einheits- beziehungsweise der Volksfront anzustreben.“

Am 1. Dezember 1936 starb Wilhelm Piecks Lebensgefährtin Christine in Moskau an einer Lungenentzündung. Ihr Tod berührte dem Verwitweten tief, und er suchte seinen Schmerz durch unermüdliche Arbeit für die Partei zu beherrschen. Der bewährte proletarische Revolutionär beschäftigte sich in jener Zeit nicht wenig mit Fragen der Theorie. Aufschlußreich war für ihn neben der Lektüre des „Kommunistischen Manifests“ von Marx und Engels vor allem auch die Analyse der beiden russischen Revolutionen des Jahres 1917 durch Lenin. Intensiv beschäftigte er sich mit dessen Arbeit „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“. Er verglich die historischen Prozesse jener Zeit mit den Kämpfen und politischen Zielstellungen der antifaschistischen Einheitsfront und der Volksfront.

Im Oktober 1944 beriet das ZK der KPD das Kampfprogramm der Partei für die Beendigung des Krieges, den Frieden und die Schaffung eines neuen freien Deutschlands. Mit dem Sieg der Antihitlerkoalition ergaben sich 1945 Möglichkeiten einer antifaschistisch-demokratischen Entwicklung. Mit Befehl Nr. 2 gestattete die SMAD die Zulassung entsprechender Parteien. Am 11. Juni wandte sich die KPD als erste Partei mit einem Aufruf an das schaffende deutsche Volk. Sie konkretisierte darin ihre von den Parteikonferenzen der Jahre 1935 und 1939 sowie von der Gründungskonferenz des Nationalkomitees Freies Deutschland im Juli 1943 beschlossenen Grundsätze.

Der KPD-Aufruf vom 11. Juni 1945 gab eine politische Orientierung für Sofortmaßnahmen und die weitere Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone. Er wies den Weg des Herankommens der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten an die politische Macht und die sozialistische Revolution. Gefordert wurde die Enteignung des gesamten Vermögens der aktiven Faschisten und Nazi-Kriegsverbrecher. Die demokratische Bodenreform war die erste sozialökonomische Umwälzung, welche die Arbeiterklasse und der Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien Deutschlands gemeinsam vollbrachten. Sie bildete den Auftakt zu fundamentalen gesellschaftlichen Umgestaltungen im Osten des Landes.

Bereits am 9. November 1945 hatte Wilhelm Pieck im Berliner Friedrichstadtpalast dazu aufgerufen, die von der internationalen Arbeiterbewegung gesammelten geschichtlichen Erfahrungen und vor allem jene der Oktoberrevolution zu beherzigen. Angesichts der Lage fordere die KPD: „… jetzt mit allem Nachdruck, daß sich Kommunisten und Sozialdemokraten ernsthaft mit der Frage beschäftigen …, wann sie sich zu einer einheitlichen deutschen Arbeiterpartei zusammenschließen. Wir wollen, wenn Wahlen stattfinden werden, in diese als einheitliche Kraft gehen, nicht gegeneinander, sondern miteinander.“

Schon am 20. und 21. Dezember fand eine erste gemeinsame „60er-Konferenz“ mit jeweils 30 Vertretern beider Parteien statt. Otto Grotewohl sprach dort zur Notwendigkeit der Vereinigung von KPD und SPD. Wilhelm Pieck hob die große nationale Verantwortung der Arbeiterklasse gegenüber dem ganzen deutschen Volk hervor. Die Tagung empfahl, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands zu schaffen. Zu deren Wesenszügen sollten gehören: ihr Klassencharakter als Partei der Arbeiter und der Werktätigen, der sozialistische Internationalismus und die strikte Ablehnung antisowjetischer Hetze. Am 26. Februar 1946 trat die zweite „60er-Konferenz“ zusammen. Sie bestätigte den Entwurf der „Grundsätze und Ziele“ und stellte ihn der Mitgliedschaft beider Parteien vor. Nach dem 15. Parteitag der KPD und dem 40. Parteitag der SPD vereinigten sich am 21./22. April 1946 die beiden Arbeiterparteien in der Sowjetischen Besatzungszone zur SED. Der konstituierende Vereinigungsparteitag beschloß die „Grundsätze und Ziele“, ein „Manifest an das deutsche Volk“ und das Statut. In den Parteivorstand wurden 80 Mitglieder, darunter 20 aus den Westzonen, gewählt. Zu gleichberechtigten Parteivorsitzenden wurden Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl bestimmt.

Ein weiterer Höhepunkt jener Zeit war der Volksentscheid über die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, der am 30. Juni 1946 in Sachsen stattfand. Er wurde durch die SED im Einvernehmen mit den antifaschistisch-demokratischen Parteien vorbereitet und durchgeführt. Die Entscheidung in Sachsen, der 77,6 % der Bevölkerung zustimmten, wurde für die anderen Länder der SBZ richtungweisend. Die evangelische und die katholische Kirche bejahten das Ergebnis. Sie gaben auch ihre Zustimmung zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben der Nazi- und Kriegsverbrecher in das Eigentum des Volkes. Nach Beginn der Außenministerkonferenz der Siegermächte in London (25.11. – 15.12.1947) trat am 26. November 1947 der SED-Parteivorstand zusammen. Er beschloß den „Aufruf zu einem deutschen Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden“. Die Bevölkerung der SBZ unterstützte mit deutlicher Mehrheit das Vorhaben, sich an die Siegermächte mit dem Anliegen zu wenden, dem deutschen Volk ein Leben in Einheit und Frieden zu ermöglichen.

Die westlichen Besatzungsmächte und die bürgerlichen Parteien in ihrem Kontrollbereich ignorierten das Projekt. Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl versuchten daraufhin, in Gesprächen und auf Kundgebungen in den Westzonen eine dem Einheits- und Friedensstreben großer Teile der Bevölkerung gegenüber aufgeschlossene Haltung zu erreichen. Die Westmächte und deren deutsche Verwaltungsorgane beschleunigten indes die Spaltungspolitik durch Zusammenlegung ihrer Zonen, die Durchführung einer separaten Währungsreform sowie die Vorbereitung eines „Grundgesetzes“ für ihren Bereich. Es wurde am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossen.

Angesichts der akuten Gefahr einer dauerhaften Spaltung Deutschlands durch die imperialistischen Mächte wurde 1948 auf Initiative des II. Deutschen Volkskongresses zu einem Volksbegehren für Einheit und gerechten Frieden aufgerufen. Dieses gestaltete sich zu einer machtvollen Willensbekundung gegen die imperialistische Spaltungspolitik und für eine einheitliche deutsche demokratische Republik.

Die Errichtung des westdeutschen Separatstaates im September 1949 erfolgte unter Mißachtung der nationalen Interessen des deutschen Volkes und Bruch der Festlegungen der Antihitlerkoalition. Angesichts dieser Entwicklung wurde es notwendig, auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone einen eigenen deutschen Staat zu bilden. Zum Präsidenten der Provisorischen Volkskammer der DDR wurde Johannes Dieckmann (LDP), zum Ministerpräsidenten Otto Grotewohl gewählt. Die Verfassung der DDR trat in Kraft. Die Provisorische Volks- und die Provisorische Länderkammer wählten am 11. Oktober 1949 in gemeinsamer Sitzung Wilhelm Pieck einstimmig zum Präsidenten der DDR.

Zur Konstituierung der DDR und der Berufung Wilhelm Piecks trafen Glückwünsche aus vielen Ländern ein. Zu den Gratulanten gehörten so herausragende Persönlichkeiten wie Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger. Hervorzuheben ist die Grußbotschaft J. W. Stalins, der die Gründung der DDR als einen „Wendepunkt in der Geschichte Europas“ bezeichnete.

Wilhelm Pieck war bis zu seinem Tode am 7. September 1960 Präsident der DDR. Er vereinte in sich den klassenbewußten deutschen Arbeiter und Kommunisten mit dem Patrioten und Internationalisten. Die ihn charakterisierende Bescheidenheit, menschliche Wärme und Weisheit begeisterten Millionen Menschen. Mit seinem unermüdlichen Wirken und seiner großen Ausstrahlung trug er ganz wesentlich zum Aufstieg des deutschen Friedensstaates bei.