Wechselbad der Sieger: Vom Hosianna zum „Kreuziget ihn!“
Vor 20 Jahren starb Erich Honecker
Vor zwanzig Jahren, am 29. Mai 1994, verstarb im chilenischen Exil Erich Honecker, der in den 70er und 80er Jahren oberster Repräsentant der DDR gewesen war. Sein Name wird mit Geschichte und Politik der DDR immer verbunden bleiben, mit Erfolgen und Leistungen, aber auch mit Defiziten und Fehlern, die zu ihrem Ende beitrugen. Da gibt es Journalisten wie Peter Heimann, der unlängst prophezeite: „Vor hundert Jahren geboren, könnte er schon bald vergessen sein.“ Hier ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Dafür, daß es anders sein wird, hat vor allem die Siegerjustiz gesorgt.
Am Ende seines Lebens wurde Erich Honecker wegen Hochverrats und Totschlags angeklagt und in der Haftanstalt Berlin-Moabit eingekerkert. Dort hatte er schon als junger Antifaschist zehn Jahre zubringen müssen.
„Der Spiegel“ vom 26. Februar 1990 dichtete dem DDR-Politiker an, er habe 75 Millionen D-Mark auf einem illegalen Konto angehäuft.
Die Verbrechen, die Erich Honecker unterstellt wurden, hat er nie begangen, und jene, welche ihn anklagten, wußten das. Das Staatsoberhaupt der DDR sollte einer der Gebrandmarkten sein, von denen Willy Brandt damals sagte: „Zu den weniger sympathischen Erscheinungsformen des Umbruchs gehört die Jagd auf Sündenböcke …“ (Erinnerungen, 1990, S. 507)
Erfreulicherweise stimmte nicht jeder, der mit Erich Honecker rote Teppiche abgeschritten hatte, in den Wechsel vom Hosianna zum „Kreuziget ihn!“ ein.
Die respektvollste Würdigung des Politikers kann der Leser übrigens in den „Erinnerungen“ von Franz-Joseph Strauß finden. Da dieser 1988 verstorben ist, können wir leider nicht mit Gewißheit sagen, ob er sich 1990 der staatlich organisierten Hexenjagd gegen Honecker ebenfalls angeschlossen hätte.
Es meldeten sich auch faire Widersacher des Staatsratsvorsitzenden zu Wort. Einer war Günter Gaus, der in den 70er Jahren die Ständige Vertretung der BRD in Berlin leitete. „Fehler hin, Fehler her, die Erich Honecker gemacht hat – ich habe nach wie vor Respekt vor seiner Lebenshaltung … Er hat in den späten 70er und in den frühen 80er Jahren eine außen- und sicherheitspolitische Position eingenommen, die ihn wahrscheinlich auch in Zwiespalt mit der Vormacht Sowjetunion gebracht hat. Ich hatte immer Anlaß anzunehmen, daß der Satz, es darf von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen, für Erich Honecker keine Phrase war … Ich hätte es gerne, daß dieser alte Mann liest, was ich ihm hier Gutes nachsage.“ (NBI 48/1989) Gaus verwies darauf, daß es zur Koexistenz nur die Alternative No-Existenz gegeben hat.
In die Amtszeit Erich Honeckers fällt die Aufnahme beider deutscher Staaten in die Vereinten Nationen 1973, der Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR, die Konferenz in Helsinki 1975 und der Staatsbesuch Honeckers in der BRD 1987. Auch Helmut Schmidt würdigte, daß Erich Honecker seinen Handlungsspielraum genutzt habe, um die Entspannung zu fördern.
Es würde sich lohnen, solche Urteile zu dokumentieren, weil sie die Borniertheit und Kurzsichtigkeit jener juristischen und publizistischen Ankläger beweisen, die Erich Honecker und damit die DDR in die finstere Ecke totalitärer Diktaturen verbannen möchten. Die Gleichsetzung der Hitlerdiktatur mit der DDR soll heute Bürgerpflicht werden. Die Bundestagsmehrheit hat das im Juni 2013 beschlossen.
Daß damals die Geschichtsklitterung über die DDR zur Staatsdoktrin werden konnte, hängt mit der inzwischen 25 jährigen Manipulation der Erinnerung von Millionen zusammen. Die Lügen über Erich Honecker sind ein winziger Teil davon. Ich wähle drei Beispiele aus:
„Der Spiegel“ (52/1990) ließ einen Rolf Haase aus Honnef zu Wort kommen, der Erich Honecker „an dem höchsten Ast eines verdorrten Baumes in einem verdorrten Land hängen“ sehen wollte. Dieser üble Racheengel fand einen Mitstreiter in Thomas Ziesick aus Kaisersbach, der trompetete: „Eine Gnade für Honecker wäre so gut wie eine Ermunterung für andere Bluthunde in der ganzen Welt.“ Womit wohl ausreichend erklärt ist, warum es immer noch so viele „Bluthunde“ an der Leine des Imperialismus gibt.
Im „Spiegel“ fällte man schon Urteile, bevor ein Urteil gesprochen wurde. Verständliche Emotionen von Wessis oder staatlich verordnete Rache? Dem „Stern“, der bereits auf die gefälschten Hitler-Tagebücher hereingefallen war, wurden Dokumente zugespielt, die ein Karlsruher Ermittlungsrichter für echt erklärt hatte. Die habilitierte Historikerin Monika Kaiser übernahm selbstlos die Rolle der Denunziantin. Erich Honecker habe im Prozeß vor dem Nazi-Gerichtshof 1936 die mitangeklagte jüdische Antifaschistin Sarah Fodorova verraten, die seitdem unauffindbar sei. (Auch der frühere DDR-Staatsanwalt Peter Przybylski hatte sich schmählicherweise an der „Aufdeckung der Lebenslüge“ Honeckers beteiligt.)
Die Wahrheit ist, daß Erich Honecker 1936 zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, während man Sarah Fodorova freisprach. Von Friedrich Wolff, der Honecker verteidigte, wissen wir, wie sehr dieser unter der Verleumdung litt. 1992 aber wendete sich das Blatt.
Die „verschwundene“ Sarah Fodorova hatte in Israel, wohin sie ausgewandert war, die Verleumdungen gelesen und in einem Brief an die Illustrierte gegen die lügenhafte Behauptung protestiert. Sie rühmte das Verhalten ihres Mitangeklagten vor dem Nazi-Gericht. Ob der „Stern“ sich bei Erich Honecker oder den Lesern entschuldigt hat, ist nicht bekannt.
Zu den Gemeinheiten der Treibjagd gegen diesen gehört auch das Zusammenspiel von bundesdeutscher Justiz und Diplomatie mit gewissen Moskauer Medizinern, die den todkranken Honecker für gesund erklärten, und Jelzin, der den Staatschef der DDR aus der Botschaft Chiles zerren und an seine Todfeinde ausliefern ließ.
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