Vor 50 Jahren fand
der Auschwitz-Prozeß statt
Vor einem halben Jahrhundert standen 22 ehemalige SS-Angehörige wegen ihrer im größten deutsch-faschistischen Konzentrations- und Vernichtungslager begangenen Verbrechen vor dem Schwurgericht in Frankfurt am Main. Ralph Dobrawas Buch „Der Auschwitz-Prozeß“, das jetzt im Verlag Das Neue Berlin erschien, trägt den Untertitel „Ein Lehrstück deutscher Geschichte“. Es enthält u. a. die persönlichen Eindrücke und den Schlußvortrag des herausragenden DDR-Anwalts Friedrich Karl Kaul, der als Vertreter der Nebenklage am Verfahren mitwirkte, seine Erwiderung auf Plädoyers der Verteidiger, das Gutachten des Wirtschaftshistorikers Prof. Jürgen Kuczynski und Auszüge aus dem Urteil.
Nahezu zwei Jahrzehnte waren seit der Zerschlagung des Hitlerfaschismus vergangen, Nazi-Richter und -Staatsanwälte sowie Schreibtischmörder befanden sich im Bonner Staat nach wie vor oder wieder in Amt und Würden. Doch die Weltöffentlichkeit hätte nicht hingenommen, wenn die in Auschwitz begangenen Schreckenstaten ungesühnt geblieben wären. So entschloß man sich in der BRD, bei Verschonung der geistigen Urheber und der materiellen Nutznießer von Judenverfolgung und Massenmorden, wenigstens unmittelbar Tatbeteiligte vor Gericht zu bringen. Dazu trugen sowohl langjährige Aktivitäten westdeutscher Antifaschisten als auch das Beispiel der DDR, die mit faschistischen Verbrechern konsequent abgerechnet hatte, maßgeblich bei. – Im Auschwitz-Prozeß wurde der Gerichtssaal zum Kampfplatz. Es ist so aufrechten Antifaschisten wie Friedrich Karl Kaul, Jürgen Kuczynski, Fritz Bauer, Henry Ormond und Christian Raabe zu verdanken, daß damals alle Versuche, die Zeugen des schrecklichen Geschehens einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, erfolglos blieben.
Wer Dobrawas Buch liest, erschaudert angesichts der fabrikmäßig-perfekten Abwicklung der Massenmorde. Zugleich stellt man sich die Frage, wie es möglich war, aus dem „Volk der Dichter und Denker“ eine Nation zu machen, in der Büttel und Mörder den Ton angaben. Die meisten Deutschen hatten angeblich „keine Ahnung“, was da geschah. Selbst die Angeklagten konnten sich „an nichts mehr erinnern“, weder an das Aussondern noch Arbeits- und Ausbeutungsfähiger auf der Rampe nach Ankunft der Transporte in Auschwitz, noch an die Masse derer, die sofort in die Gaskammern kamen.
Es ist von besonderem Wert, daß Dobrawas Publikation – im Gegensatz zu dem, was bundesdeutsche Gerichte be- und verurteilten – den Beweis erbringt, wer die eigentlichen Profiteure der Verbrechen waren. Sie erhellt das Zusammenspiel der SS-Maschinerie mit der deutschen Großindustrie, insbesondere dem IG Farben Konzern, dessen Nachfolgeunternehmen ja in der BRD nach wie vor eine Wirtschaftsmacht ersten Ranges verkörpern – die Badischen Anilin- und Sodafabriken, Bayer Leverkusen und die Farbwerke Hoechst AG.
Beachtung verdient der Hinweis auf die Erfurter Firma Topf und Söhne – die Ofenbauer für Auschwitz. Sie begann 1939 damit, die SS mit Spezialöfen samt Gaskammern und Sicherungstechnik zur Tötung und Leichenbeseitigung zu beliefern. In einem 1943 an Himmlers Mordbanden gerichteten Schreiben des Unternehmens hieß es: „… stets gern für Sie beschäftigt, empfehlen wir uns Ihnen bestens. Heil Hitler!“
Ralph Dobrawas Arbeit ist von brennender Aktualität, denn sowohl die gesellschaftlichen Wurzeln des Faschismus – das ökonomisch-politische Machtgefüge im Dienste des deutschen Kapitals – als auch die Allmacht ihm hilfreicher Medien bestehen teils verbrämt, teils unverhüllt in der BRD fort. Das ruft Vergangenes als Mahnung für die heute Lebenden ins Gedächtnis. So steht das hier rezensierte Werk unter dem Motto: Keinen Fußbreit Boden den Faschisten!
Ralph Dobrawa:
Der Auschwitz-Prozeß
Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2013, 256 S.
ISBN 978-3-360-02170-0
16,99 €
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