RotFuchs 218 – März 2016

Der kolumbianische Bürgerkrieg forderte
über 220 000 Menschenleben

Vor dem Friedensschluß in Havanna

RotFuchs-Redaktion

Unter persönlicher Vermittlung von Kubas Präsident Raúl Castro stehen die seit November 2012 in Havanna geführten Verhandlungen beider Kontrahenten des „kolumbianischen Konflikts“ kurz vor dem Ende März erwarteten Abschluß.

Schon am 23. September 2015 waren von den Delegationen der rechtsgerichteten und auf die USA orientierten Regierung in Bogotá und der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC-EP) in einer Sondersitzung wichtige Vorentscheidungen gefallen. Die beiden Konfliktparteien vertraten Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos und FARC-Generalstabschef Timokon Jiménez (Comandante Timoschenko).

Unter den todesmutigen Kämpfern der FARC – des unbesiegten Partners der Friedensverein-barungen – befinden sich viele Frauen.

Inzwischen sind die Gespräche weit gediehen, was bereits zur Freilassung gefangener FARC-Kämpfer geführt hat. Ein Übergangs-Justizsystem soll schwere Verbrechen wie Genozid-Charakter tragende Ausrottungsaktionen ahnden. Von den Delegationen beider Seiten wurde die friedensstiftende Rolle Kubas und Norwegens ebenso hervorgehoben wie die Begleitung des komplizierten Aussöhnungsprozesses durch Venezuela und Chile. Zur positiven Entwicklung hat ohne Zweifel auch der lateinamerikanische Papst Franziskus beigetragen. Bei seiner Messe auf Havannas Revolutionsplatz hatte er im Herbst 2015 mit Blick auf die laufenden Verhandlungen deutlich gemacht: „Wir können uns kein neuerliches Scheitern erlauben.“

Führen wir uns den Verlauf des bürgerkriegsartigen Klassenkonflikts in Kolumbien vor Augen. Er begann in den 50er Jahren, als die Regierung in Bogotá auf Anraten von US-Counterinsurgency-Spezialisten zur Strategie der bewaffneten Niederwerfung ihrer Gegner überging, um das die Interessen ausländischer Konzerne und der kolumbianischen Oligarchien begünstigende Regime dauerhaft abzusichern.

Der organisierte bewaffnete Widerstand breiter Massen des Volkes wurde als „Aktion von Staatsfeinden“ diffamiert, die nur mit militärischen Mitteln zu „neutralisieren“ seien. Sobald man die Aufständischen niedergeworfen habe, werde in Kolumbien ewiger Frieden Einzug halten. Der ins Visier genommene Gegner war vor allem die FARC, die in den ersten Jahren des Kampfes nicht grundlos als bewaffneter Arm der KP Kolumbiens betrachtet wurde. Ihre physische Liquidierung erfolge im internationalen Interesse, taten kolumbianische Rechtspolitiker ihre vom Pentagon und der CIA vorgegebene antikommunistische Marschrichtung kund. Dem Konflikt lägen keine scharf aufeinanderprallenden Klasseninteressen zugrunde. Es bestehe vielmehr die gesellschaftliche Notwendigkeit, mit einer ständig Unruhe stiftenden Guerillaorganisation aufzuräumen. Die Anleitung dazu, wie mit „prokommunistischen Gruppen“ in der Region zu verfahren sei, lieferte in den frühen 60er Jahren ein in Washington verfaßtes Manual (Handbuch) für den lateinamerikanischen Raum.

Um sich nicht als Urheber der gegen die FARC-Kämpfer gerichteten Ausrottungskampagne bloßzustellen, verfielen die kolumbianischen Machthaber 1965 mit ihrem „Plan Lazlo“ auf den Gedanken, „paramilitärische Verteidigungskräfte“ aus faschistoiden Elementen zu formieren. Diese wurden darauf als „gesellschaftliche Schutzorgane“ legalisiert. Die Todesschwadronen wüteten jahrzehntelang in weiten Landesteilen mit Folter, Menschenraub und Mord.

Während Bogotá sie als „unabhängige dritte Kraft“ ausgab, stellten sie in Wahrheit das entscheidende Terrorinstrument der Reaktion dar.

Nach Ankündigung einer bevorstehenden Friedensübereinkunft schrieb Ernesto Londoño in der „New York Times“, der „Drei-Wege-Kampf“ zwischen der Guerilla, den Regierungstruppen und rechtsextremistischen paramilitärischen Banden, die oft als Strohmänner des Staates handelten, habe mehr als 220 000 Menschenleben gefordert und 5,7 Millionen Kolumbianer aus ihrer angestammten Heimat vertrieben. Der großbürgerliche Journalist verzichtete dabei nicht auf eine vorrangige Schuldzuweisung an die FARC. Prof. Dan Kovalik von der Juristischen Fakultät der Universität Pittsburgh stellte demgegenüber klar, der „kolumbianische Staat und dessen paramilitärische Verbündete“ hätten „den Löwenanteil der Menschenrechtsverletzungen auf dem Gewissen, in den schlimmsten Jahren mindestens 80 Prozent“.

Londoño verstand sich indes noch auf eine weitere Verdrehung des Sachverhalts: „Washingtons machtvolles Eingreifen in den Krieg, das Ende der 90er Jahre begann“, habe Bogotá zur Schwächung der FARC befähigt, wodurch Friedensverhandlungen erst möglich geworden seien, behauptete er.

Tatsächlich sorgten die USA schon 40 Jahre zuvor für die Entfesselung und Eskalation des bewaffneten Konflikts. Damals bildeten sie die Terror säenden Sondereinheiten der kolumbianischen Armee aus, die jahrzehntelang schlimmste Menschenrechtsverbrechen verübten.

„Erst als man sich in Washington das Scheitern des ‚Plans Colombia‘ eingestehen mußte, traten Veränderungen in der diesbezüglichen US-Außenpolitik ein“, konstatierte Amnesty International USA. Seit einigen Jahren sei die Zahl der von kolumbianischen Regierungstruppen begangenen Menschenrechtsverletzungen deutlich zurückgegangen, stellte auch die Organisation Human Rights Watch fest. So konnte der Weg zur Beendigung des Blutvergießens beschritten werden.

Eines bleibt: Die Tatsache, daß es dem wohl bedeutendsten lateinamerikanischen Guerillastrategen Comandante Manuel Marulanda – er starb 2008 eines natürlichen Todes – gelang, aus einem winzigen Trupp rebellierender landloser Bauern die schlagkräftigste revolutionäre Aufständischenarmee der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu formieren, wird zweifellos in die Geschichte eingehen.

Wenn schließlich die Tore zur Beendigung des Bürgerkrieges in Kolumbien durch einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiß geöffnet worden sind, dann ist das in jeder Weise zu begrüßen. Daß die bisherigen Übereinkünfte in Havanna und nicht in Washington zustande kamen, dürfte ebenso aufschlußreich wie die Tatsache sein, daß deren Schirmherr Raúl Castro und nicht Barack Obama heißt.

RF, gestützt auf „Granma Internacional“, Havanna, und „The Guardian“, Sydney