RotFuchs 216 – Januar 2016

Walter Ruges vergebliche Suche
nach Demokratie

Walter Ruge

Der am 10. November 2011 im hohen Alter von 96 Jahren verstorbene Walter Ruge war eine intellektuelle und ideologische Säule des RF. Der folgende Beitrag entstand im Oktober 2007. Damals schrieb der standhafte Genosse, den selbst in Sibirien unschuldig erlittene langjährige Lagerhaft nicht von seiner marxistisch-leninistischen Weltanschauung abzubringen vermochte, den nachfolgenden Text.

Hier soll nicht der steinige Pfad einer akademischen Abhandlung, sondern die breite Landstraße des täglichen Kampfes beschritten werden. Ein kurzer Blick zurück sei mir dennoch gewährt: Die sogenannten Großen Demokratien Frankreich, England und – allen voran – die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine schmachvolle, ja blutige Spur des Kampfes gegen Demokratie hinterlassen. Der Schock der Oktoberrevolution saß so tief, daß deren „Eliten“ jeder Bluthund willkommen war – wenn er das Volk nur genügend niederhielt und die Kommunisten massakrierte. Da liegen Wurzeln für den Faschismus. Bürgerliche Demokratien wurden buchstäblich erwürgt und den Mächten der Achse Berlin-Rom-Tokio zum Fraß vorgeworfen. Denken wir nur an das Schicksal Österreichs, der Tschechoslowakei, Spaniens und auch vieler nichteuropäischer Länder.

Hinterhältig erdrosselten diese „Großen Demokratien“ die Republiken Guatemala, Kongo und Chile, um nur einige Beispiele zu nennen. Diesen „Grünspan“ an den Monumenten muß die demokratische Öffentlichkeit stets im Auge behalten, wenn gewisse Gralshüter der Demokratie über deren Verletzung anderswo schwadronieren.

Wir dürfen nicht vergessen, wie die „Großen Demokratien“ über Jahrzehnte mit dem internationalen Faschismus umgegangen sind. Die Regimes von Pilsudski, Horthy, Franco, Salazar/Caetano, Stroessner, Trujillo, Mobuto, Suharto, Papa Doc, Batista und natürlich auch Pinochet sind zu keinem Zeitpunkt durch Blockaden, Boykotte, Embargos, Sanktionen oder militärisches Eingreifen in Schwierigkeiten gebracht worden. Selbst die Hitlerdiktatur kannte – bis die Superdeutschen einen neuen Weltkrieg anzettelten – nicht die geringsten Schwierigkeiten mit den vermeintlich demokratischen Großmächten. Warum? Weil diese im Auge hatten, das Ungeheuer gen Osten dirigieren zu können.

Diese Entwicklungen haben eine aktuelle Brisanz. Die Demontage der Demokratie in Deutschland ist nicht von Hitler, sondern von demokratisch gewählten gutbürgerlichen Koalitionen vor 1933 – den Brüning, Schleicher und Papen – in die Wege geleitet worden. Auch die Wiederaufrüstung Deutschlands war – den Nazis in dieser Frage vorauseilend und verdeckt – schon in den ersten Jahren der Weimarer Republik forciert worden. Es bleibt eine der vornehmsten Aufgaben humanistischer Historiographie, diese scheinbar simplen Tatsachen beharrlich an den Anfang jeglicher „Forschung“ oder „neuer Sichten“ zum Thema Demokratie zu stellen.

Frau Merkel fliegt um den Erdball, nach Afrika, nach China und wer weiß wohin sonst noch, um den bundesdeutschen Export voranzutreiben und … „Demokratie anzumahnen“. Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß der eigentliche Adressat für solche Ermahnungen das deutsche Wahlvolk ist: Ihm soll aus fernen Ländern suggeriert werden, daß „wir“, also die Deutschen, bei uns schon Demokratie hätten.

Als Negation der Rechenschaftspflicht ersannen Neuhegelianer den zutiefst verlogenen Begriff der „Informationspflicht“ mit herzzerreißenden und mitunter nachgestellten Bildern. Eine Taschenlampe in Saddam Husseins Mundhöhle erhellt nichts, hat nicht den geringsten Informationswert – wir verbergen ja keine Giftampullen im Rachen. Auch wie Saddam der Strick um den Hals gelegt wird, verkauft sich gut, vermittelt dennoch nichts Neues, sondern ist lediglich entwürdigend und hat mit Demokratie nichts gemein. Eine Kammer in Texas, in der Todesspritzen gereicht werden – dito. Für Rußland wurde heftig die Abschaffung der Todesstrafe verlangt – hier wird die Hinrichtung zur Kulthandlung. So erhält der Begriff „Pressefreiheit“ unter der Fuchtel der „Bewußtseinsindustrie“ einen üblen Beigeschmack.

Eine andere Kategorie dieser Art ist der „Enthüllungsjournalismus“. Seine Vertreter halten sich gegen Scheinchen ihre Informanten; das BKA sucht vergeblich nach den „lecken Stellen“. Was ist daran „demokratisch“? Menschenschicksale und Menschenwürde müssen auch hier dem Mammon weichen. Sollte das etwa Demokratie sein?!

Ein Minister wird „gestürzt“, weil er mit seiner Sekretärin geschlafen hat – ein völlig normaler Vorgang. Aus diesem Nebenschauplatz läßt sich von Widersachern, die als vermeintliche Moralapostel auftreten, politisches Kapital schlagen, wobei anrüchige Amtshandlungen des Ministers unerwähnt bleiben. Es könnte ja seine Kumpane „tangieren“.

Die Einschaltquote ist eine bewußte Irreführung, geht es doch nicht um irgendwelche Quoten, sondern um blanken Profit. Hohe Einschaltquoten bringen hohe Minutengebühren für die Werbung.

Es wäre allerdings ein Kardinalfehler, solche Erscheinungen als Mißbildung oder Fehlentwicklung in einer an sich „demokratischen“ Gesellschaft zu betrachten. Elemente von Demokratie bleiben weiterhin Raritäten. Die genannten Erscheinungen aber sind Markenzeichen, ja das Wesen der Dinge. Menschenverachtende „Pressefreiheit“ bleibt eine tragende Säule dieser korrupten Gesellschaft.

Nicht ganz unerwartet macht der Blätterwald uns das Wort von der „wehrhaften Demokratie“ schmackhaft. Langsam merken wir, was eigentlich dahintersteckt. Nach diesem – nicht gerade erfolgreichen – Rezept können die Militärs auch in die „innere Sicherheit“ eingebunden werden. So machen sie ihre „Sandkastenspiele“, erarbeiten „Operationspläne“, begeistern sich für „verfeinerte Mordwerkzeuge“, üben den „Ernstfall“, der immer Krieg, „Kollateralschäden“, Verwüstung und Flüchtlingsströme bedeutet. Auch das hat wahrscheinlich seine „Ordnung“ – dazu sind sie doch da: Bei allen geheimzuhaltenden „Aktivitäten“ muß die gelobte Demokratie auf der Strecke bleiben.

Da erscheint es doch etwas wirklichkeitsfremd, wenn Die Linke angesichts dieser von ihr selbst festgehaltenen Tatsachen eine „Demokratisierung der Demokratie“ anstrebt. Davon abgesehen, daß hier „runde Räder“ zur Debatte stehen, wird der BRD damit das Vorhandensein einer – zwar demokratisierungsbedürftigen – Demokratie bescheinigt, die es in Wirklichkeit ja gar nicht gibt.

Summa summarum: Das Wunschdenken von Frau Merkel wird lediglich an uns weitergereicht. Und siehe da. Die drei tragenden Säulen dieser Demokratie sind die Medien (der Öffentlichkeit nicht rechenschaftspflichtig), die Dienste (dito) und die Wirtschaft (ebenfalls dito).

Unterm Strich: Es ist unzulässig, dieses Gebilde als Demokratie zu bezeichnen.