Die sächsische Metropole schrieb ein
Ruhmesblatt in der proletarischen Chronik
Warum aus Chemnitz
Karl-Marx-Stadt wurde
Das alte Ruß-Chemnitz, dessen Entwicklung seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufs engste mit dem Aufstieg des Kapitalismus zum Imperialismus in Deutschland verbunden war, legten amerikanische und britische Bomber während des 2. Weltkrieges in Schutt und Asche. Nach dem schwersten Bombardement am 5. März 1945 kommentierte die US-Nachrichtenagentur Associated Press dessen verheerende Folgen mit den Worten: „Nach Prüfung der Aufklärungsfotos hat das Luftfahrtministerium Essen und Chemnitz als zwei weitere tote Städte abgeschrieben …“
Beim Anblick der endlosen Ruinenfelder glaubte an diesem Frühlingstag wohl kaum noch jemand daran, daß nach dem grausigen Ende ein Neubeginn überhaupt denkbar sei.
Doch die unter Anspielung auf seine Textilindustrie auch als „sächsisches Manchester“ bezeichnete Stadt, die man als Konkurrenz für immer auszuschalten gedacht hatte, kehrte nur ein Jahrzehnt später unter neuen Vorzeichen zum Leben zurück. Nach einer harten Zeit des Übergangs begann man mit dem Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft. Dazu paßte am besten der Name des Begründers der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse. So wurde von der Berliner Partei- und Staatsführung der Beschluß gefaßt, Chemnitz in Karl-Marx-Stadt umzubenennen. Damit erfuhr die alte Industriestadt mit langjähriger revolutionärer Klassenkampftradition eine verdiente Würdigung.
Machtvolle Aktionen der alten deutschen Sozialdemokratie unter August Bebel und Wilhelm Liebknecht, das Wirken Fritz Heckerts in der Novemberrevolution 1918, der Kampf der KPD Ernst Thälmanns, der selbst wiederholt die Stadt und deren industrielles Umfeld besuchte, der Blutzoll antifaschistischer Gruppen aus Chemnitzer Betrieben im Widerstand gegen die faschistische Hitler-Diktatur – all das inspirierte viele Bürger der Stadt zu besonderen Leistungen beim Aufbau der neuen Gesellschaft. Als der erste DDR-Ministerpräsident, der frühere Sozialdemokrat Otto Grotewohl, nun ein Spitzenpolitiker der SED, am 10. Mai 1953 auf einer Großkundgebung die Umbenennung vollzog, war das für die Chemnitzer zweifellos der Höhepunkt einer bewegten Geschichte ihrer Stadt. Diese war damals bereits im Begriff, sich zu einem Zentrum des Maschinen- und Schwermaschinenbaus zu entwickeln.
Weltruf erringende volkseigene Betriebe und Kombinate prägten das industrielle Profil von Karl-Marx-Stadt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Hochentwickelte kapitalistische Industrieländer wie die USA und Großbritannien erwarben von der Vereinigung Volkseigener Betriebe Textima die Lizenz zum Nachbau der profilierten Malimo-Maschinen. Auch das von Mitarbeitern des Karl-Marx-Städter Forschungsinstituts für Textiltechnologie entwickelte Greiferschützen-Webautomaten-Modell 4405 errang hohe Anerkennung.
Die programmgesteuerten Werkzeugmaschinen und sich selbst regelnden Maschinensysteme aus dem Werkzeugmaschinenkombinat „Fritz Heckert“, dem Großdrehmaschinenbau „8. Mai“, den volkseigenen Großbetrieben Union und Modul sowie dem Schleifmaschinenwerk waren in allen entwickelten Ländern der Welt bekannt und begehrt. Sie kündeten davon, daß der Weg ohne Kapitalisten, den die DDR beschritten hatte, von Erfolg gekrönt war.
Projektanten und Spezialisten aus der UdSSR entwarfen und bauten gemeinsam mit Konstrukteuren des VEB Germania die hochleistungsfähige Chemieanlage „Polymir 50“. Eine enge und fruchtbare Zusammenarbeit entwickelte sich auch zwischen den Moskauer Autowerken SIL und dem VEB Modul. Neue Industriezweige wie der Starkstromanlagenbau sowie eine Reihe wissenschaftlicher Forschungsinstitute wurden in Karl-Marx-Stadt heimisch. Die vormalige Staatliche Akademie für Technik erhielt den Status einer Technischen Hochschule.
Alles in allem: Das industrielle Profil der sächsischen DDR-Bezirkshauptstadt wurde überwiegend durch den Schwermaschinen- und den Fahrzeugbau sowie durch Elektrotechnik und Elektronik, Gerätebau und Gießereien, den Strickmaschinenbau, die Produktion von Spinn-, Zwirnerei- und Nähwirkmaschinen bestimmt. Chemieanlagen, Plasteverarbeitungsmaschinen, Fahrzeuge und Motoren, Metallwaren, Normteile, Erzeugnisse der Bekleidungsindustrie, Holz, Nahrungsgüter und Baustoffe vervollständigten das Bild.
In seiner Rede anläßlich der Einweihung des Karl-Marx-Monuments sagte Erich Honecker zur Entwicklung der aufblühenden Stadt: „Wer wissen will, wie der Marxismus auf deutschem Boden lebendige Wirklichkeit geworden ist, der mag in diese Stadt kommen, in dieses Land, in unsere DDR.“
Es ist kein Zufall, daß die antikommunistischen Fanatiker nach der Konterrevolution gerade das Marx-Denkmal mit dem gewaltigen Kopf des großen proletarischen Gelehrten wiederholt zu schänden versucht haben. Es war die Rache dafür, daß die DDR als erster Staat in der deutschen Geschichte die Ausbeuterklassen im Sinne von Marx vier Jahrzehnte von der Macht und ihrem zusammengeraubten Eigentum getrennt hatte.
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