Der Bülowplatz-Prozeß war der Auftakt
zur Abrechnung mit der KPD
Warum Ernst Thälmann
nicht vor Gericht gestellt wurde
Am 28. Februar 1933, kurz nach 21 Uhr, brannte der Reichstag. Von den Führern der Nazipartei – Hitler, Goebbels und Göring – wurden sofort die Kommunisten bezichtigt, ihn angesteckt zu haben. Der Polizei-Funkdienst hatte schon um 18.33 Uhr (!) einen Spruch abgesetzt, in dem die Festnahme führender Mitglieder der KPD angeordnet wurde: Ernst Thälmann, Franz Dahlem, Paul Langner, Hermann Remmele, Fritz Becker, Helene Overlach, Frieda Krüger, Arthur Gohlke, Oskar Pötsch, Wilhelm Hein, Wilhelm Pieck und Wilhelm Florin.
Nachdem Ernst Thälmann am 3. März verhaftet worden war, bereitete die Berliner Staatsanwaltschaft einen Prozeß gegen ihn vor. Trotz aller Bemühungen mußte der Oberstaatsanwalt am Reichsgericht Leipzig Floegel, zuständig für „die beiden wichtigen Sachen gegen Schneller und Thälmann“, in einem Schreiben an Landgerichtsdirektor Braune (Berlin) vom 7. Juli 1933 feststellen, daß „noch wenig oder gar kein beweisbares Material über die eigentliche und Haupttätigkeit des Angeschuldigten als Führer der KPD und über seine Verantwortung für alle unter seiner Leitung begangenen Verbrechen“ vorhanden sei. „Wir hätten deshalb gern von Ihnen erfahren, ob solches Material bereits vorliegt oder wie es am zweckmäßigsten erbracht werden kann.“
Bereits am 21. Juli 1933 hatte die Kriminalpolizei Berlin „belastbares Material“ gefunden. „wegen Beteiligung an der Ermordung der Polizeioffiziere Anlauf und Lenk im August 1931“ würden gesucht: Heinz Neumann, Albert Kuntz, Wilhelm Peschki, Herbert Dobersalzke und Willi Becker.
Am 13. September 1931 wurde von der Staatsanwaltschaft die Voruntersuchung gegen Albert Kuntz beantragt. Zu diesem Zeitpunkt lief gegen ihn und Walter Fisch ein Gerichtsverfahren. Obwohl er am 15. September freigesprochen wurde, entließ man ihn nicht, weil gegen ihn „eine Sache wegen Mordes“ in Berlin schwebe.
Am 28. September 1933 kam Albert Kuntz in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit. Er war in die Stadt zurückgekehrt, in der er von Juni 1930 bis Mai 1932 als Org.-Sekretär der KPD-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg-Lausitz-Grenzmark am Kampf seiner Partei gegen den zur Macht drängenden Faschismus teilgenommen hatte.
Der Mordanklage gegen Albert Kuntz lagen die Ereignisse des 9. August 1931 auf dem Berliner Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz) zugrunde. Am Tag des Volksentscheids für die Auflösung des Preußischen Landtags hatten sich viele Arbeiter vor dem Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der Parteiführung und der Bezirksleitung der KPD, eingefunden, um die Ergebnisse zu erfahren. Bei einem von der Polizei vor dem Kino Babylon provozierten Zusammenstoß wurden zwei ihrer Offiziere getötet.
Der nun einsetzenden Hetze gegen Kommunisten erlagen selbst jene liberalen Blätter, welche sich sonst noch ein gewisses Maß an Objektivität bewahrt hatten, konstatierte Carl von Ossietzky in der „Weltbühne“. Justiz und Polizei wandten nicht wenig Mühe auf, um der KPD den Tod der beiden Offiziere anzulasten und die Führung der Partei unter Thälmann der Anstiftung zu terroristischen Aktionen gegen den Staat zu beschuldigen. Nach umfangreichen Untersuchungen mußte die Justiz der Weimarer Republik aber auf eine Anklageerhebung verzichten.
Im Jahr nach der Machtauslieferung an die Hitlerfaschisten wurde der Bülowplatz-Fall wieder aufgenommen. Am 16. März 1934 eröffnete der Generalstaatsanwalt beim Landgericht Berlin gegen 15 Angeklagte das Hauptverfahren. Die politische Absicht dieser Justizfarce war offenkundig. War es den Faschisten im Reichstagsbrandprozeß nicht gelungen, die KPD als eine Bande politischer Luntenleger zu diskreditieren, so sollte mit der Verurteilung von Albert Kuntz und anderer Kommunisten nun die deutsche und internationale Öffentlichkeit davon überzeugt werden, daß Thälmanns KPD terroristische Aktionen gegen politische Gegner befohlen und Mordbefehle erteilt hatte.
Die Baseler „Rundschau“ warnte bereits am 31. Mai 1934 vor der Absicht der Faschisten, Ernst Thälmann in den Bülowplatz-Prozeß zu verstricken, um auch gegen ihn eine Mordanklage erheben zu können. Deshalb komme diesem Verfahren eine prinzipiellere Bedeutung als allen bisherigen Prozessen gegen Kommunisten zu. Diese wurden – in der Wortwahl der faschistischen Staatsanwälte – gegen „Täter“ oder direkte Teilnehmer an „Überfällen“ eingeleitet. Am Ende standen Bluturteile. „Im Prozeß gegen Albert Kuntz und Genossen richtet sich die Anklage gegen den politisch verantwortlichen Funktionär … der Berliner Bezirksleitung, der für die Zusammenstöße und deren Folgen direkt zur Rechenschaft gezogen wird. Gelingt es, den Genossen Kuntz dem Henker zu überliefern, dann wird nicht einfach ein Unschuldiger mehr grausam ermordet, sondern es wird damit zugleich gegen Tausende und Abertausende Mitglieder der KPD das Todesurteil gesprochen, vor allem aber gegen den Führer der Partei, der … für alle Opfer verantwortlich gemacht werden soll, die es bei der Abwehr des polizeilichen und faschistischen Terrors gegeben hat.“
Angesichts der Bedeutung des Prozesses tagte in Paris der „Untersuchungsausschuß zur Aufklärung und Verhinderung der Greuel in Hitlerdeutschland“ seit dem 6. Juni 1934 in Permanenz. In einem Telegramm an den Vorsitzenden des Moabiter Schwurgerichts stellte das Gremium fest, daß es in der bisherigen Rechtsprechung noch nie einen Prozeß gegeben habe, bei dem „Menschen, die in keiner Beziehung zur Tat stehen, unmittelbar des Mordes angeklagt werden, als ob sie die Tat selbst begangen hätten … Wir müssen daher den Prozeß gegen Albert Kuntz und die 14 Arbeiter als Manöver auffassen, das die theoretische und praktische Grundlage zur Aburteilung Ernst Thälmanns schaffen soll.“ Der Ausschuß folgerte, daß die faschistische Justiz dabei sei, „eine ungeheuerliche Rechtsprechung zu konstruieren, welche die ‚intellektuelle Urheberschaft‘ einführt, um sie in der Folge … vor allem auf Ernst Thälmann anzuwenden“.
Der Bülowplatz-Prozeß begann am 14. Juni 1934 vor dem Schwurgericht in Berlin-Moabit und dauerte zehn Verhandlungstage. Er wurde als „öffentliches Verfahren“ vor etwa 40 sorgfältig ausgewählten Zuhörern mit Einlaßkarte geführt. Angeklagt waren Albert Kuntz und 14 Genossen, die als Wachschutz im Karl-Liebknecht-Haus gearbeitet oder dem Parteiselbstschutz angehört hatten. Die Behauptung des Staatsanwalts, die KPD-Führung habe einen Plan zur Ermordung der beiden Polizeioffiziere ausgearbeitet, und Kommunisten hätten ihn nach seinen Anweisungen vollzogen, wies Albert Kuntz energisch zurück. „Es handelt sich darum, die Politik der Kommunistischen Partei zu kompromittieren und durch diesen angeblichen Präzedenzfall zu beweisen, daß sie … eine Partei des Terrors ist.“
Die Angeklagten mußten weitgehend auf Entlastungszeugen verzichten, da jeder von ihnen Benannte unweigerlich in das Räderwerk der faschistischen Terrororgane zu geraten drohte. Eugen Schönhaar konnte als Zeuge nicht vernommen werden, da man ihn bereits „auf der Flucht erschossen“ hatte. Albert Kuntz beantragte auch die Vorladung Thälmanns als Zeuge dafür, daß die Partei unter seiner Führung grundsätzlich Methoden des individuellen Terrors abgelehnt habe. Der KPD-Vorsitzende war zur Aussage bereit, zumal er dadurch eine Gelegenheit erhalten hätte, den gegen ihn erhobenen Anklagepunkt bereits im Vorfeld des vorbereiteten Hochverratsprozesses zu entkräften. Die faschistische Justiz wagte es weder, diesem Antrag stattzugeben noch ihn öffentlich abzulehnen, sondern nötigte die Verteidigung zu dessen Rücknahme. Entlastet wurde Albert Kuntz durch eine eidesstaatliche Erklärung des dänischen Journalisten Broby-Johansen, der bezeugte, daß der leitende KPD-Funktionär am 8. August 1931 gar nicht im Karl-Liebknecht-Haus gewesen sein konnte, da er ihm an diesem Tag die Arbeiterviertel Berlins gezeigt habe. Damit war der Anklage-Kronzeuge des Meineids überführt. Der hatte nämlich behauptet, an diesem Tag im Beisein von Albert Kuntz durch Hans Kippenberger den Mordauftrag erhalten zu haben. In seinem Schlußwort forderte Kuntz für sich und seine Mitangeklagten Freispruch, auf den sie alle angesichts der Ergebnisse der Verhandlung ein Anrecht hätten.
Das Verfahren gegen Albert Kuntz wurde eingestellt. Michael Klause, Max Matern und Friedrich Broede erhielten Todesstrafen, obwohl keiner von ihnen nachweislich am Tatort gewesen war. Klause wurde am 2. Mai 1935 begnadigt, sein Todesurteil in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt. Hitler übernahm zur Begründung des Gnadenaktes die Argumente des Untersuchungsrichters. Der hatte hervorgehoben, Klause habe nicht nur ein „umfassendes Geständnis“ abgelegt, sondern auch „in umfangreicher Weise die inneren Zusammenhänge in der KPD, soweit sie Terrorakte betreffen, aufgedeckt und wertvolle Angaben in dieser Richtung, auch über bisher unbekannte oder nur ihrem Spitznamen nach bekannte Personen gemacht“.
Sofort nach Bekanntwerden der Todesurteile erhoben das Welthilfskomitee sowie das französische Hilfskomitee Protest. Diesem schlossen sich namhafte Gelehrte und Schriftsteller Frankreichs an.
Noch am 19. Juni 1934 – dem Tag der Urteilsverkündung – trat in Paris die Juristenkommission für den Thälmannprozeß zusammen. Ihr gehörten etliche renommierte Strafverteidiger an. Nach Auswertung aller vorliegenden Dokumente über den Justizterror in Nazideutschland sowie unter Berücksichtigung des gerade beendeten Bülowplatz-Prozesses konstatierte das Gremium: „1. Es ist eindeutig, daß Ernst Thälmann weder durch einen deutschen noch durch einen ausländischen Verteidiger seiner Wahl unterstützt werden kann, wodurch ihm die Mittel einer juristischen Verteidigung genommen sind. 2. Die Anklage gegen Thälmann stützt sich auf die ungeheuerliche Bestimmung einer ,moralischen Schuld‘ oder ,intellektuellen Verantwortung‘. Danach soll ihm die Schuld an allen von SA und Polizei provozierten Zusammenstößen beigemessen werden, ganz gleich, ob die Täter und Teilnehmer identifiziert werden konnten oder nicht, ob sie in berechtigter Notwehr gehandelt haben oder nicht.“
Die Faschisten maßen dem Bülowplatz-Prozeß und der dort verfolgten Absicht, eine Verurteilung von Albert Kuntz zu erreichen, einen besonderen Stellenwert zu. In einem Gestapo-Dokument vom 20. Juni 1934 hieß es dazu: „Nach nochmaliger eingehender Prüfung wird infolge der bisherigen staatsfeindlichen Tätigkeit seit dem Jahre 1925 und da Kuntz Landtagsabgeordneter war, eine Aufhebung der Schutzhaft nicht befürwortet. Kuntz kommt außerdem als Zeuge in dem demnächst stattfindenden Hochverratsprozeß gegen den KPD-Führer Ernst Thälmann in Frage.“
Alarmiert durch die faschistische „Deutsche Wochenschau“, die im Mai 1934 den Prozeß gegen Thälmann vor dem gerade gebildeten „Volksgerichtshof“ schon „für die nächste Zeit“ angekündigt hatte, sowie angesichts der im Bülowplatz-Prozeß verhängten Todesurteile schlug das Welthilfskomitee vor, am 2. Juli 1934 in New York dem Terrorregime der Nazis einen Prozeß zu machen – in Anlehnung an den Londoner Gegenprozeß zum Leipziger Reichstagsbrand-Prozeß.
Einem daraufhin gebildeten Untersuchungsausschuß gehörten namhafteste Anwälte aus den USA an. Den Vorsitz übernahm der 77jährige Clarence S. Darrow. In einer Reihe aufsehenerregender Strafverfahren hatte er bekannte Führer der amerikanischen Arbeiterbewegung wie Eugene Debs verteidigt. Auch „Big Bill“ Haywood und dessen Mitstreiter gehörten im gegen sie angezettelten Mordprozeß zu seinen Mandanten. 1925 war Darrow Hauptverteidiger in dem international stark beachteten „Affenprozeß“ gegen Verfechter der Darwinschen Evolutionslehre. Auch Arthur G. Hays, der Verteidiger von Sacco und Vanzetti, der bereits im Londoner Gegenprozeß 1933 aufgetreten war, gehörte zum New Yorker Team.
Am 15. März 1935 wurde Ernst Thälmann eine Anklageschrift zugestellt. Doch bis zum Ende jenes Jahres zeigte sich, daß die faschistische Justiz einen formellen Prozeß gegen ihn nicht wagte. Dennoch behielt sie den KPD-Vorsitzenden „für alle Fälle“ noch bis zum 13. August 1937 im Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit, damit er „der Justiz zur Verfügung“ stehe.
Die Vermutung liegt nahe, daß diese in ihrer Beweisnot gegen Thälmann noch einmal versuchen wollte, das im Bülowplatz-Prozeß lediglich eingestellte Verfahren gegen Albert Kuntz mit gleicher Zielsetzung wie 1934 wieder aufzurollen.
Erich Wichert, der als Mitangeklagter von Albert Kuntz 15 Jahre Zuchthaus erhalten hatte, erinnerte sich, daß er und andere damals Verurteilte 1936 ein weiteres Mal im Sinne der ursprünglichen Anklage vernommen worden ist. Die Nazis hatten offensichtlich die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, mit Hilfe damals verurteilter Kommunisten doch noch einen Schuldspruch gegen Albert Kuntz zu erzwingen, um auch Thälmann dadurch schwer belasten zu können. Doch keiner der Verurteilten wurde zum Verräter, so daß auch dieser neuerliche Angriff der faschistischen Justiz ins Leere stieß.
Im August 1937 wurde Thälmann in das Gefängnis Hannover, im August 1943 in das Zuchthaus Bautzen verlegt. Am 18. August 1944 ermordeten ihn die Faschisten im KZ Buchenwald.
Auch Albert Kuntz erlangte die Freiheit nicht wieder. Wohin ihn die Faschisten in den folgenden elf Jahren ihrer Diktatur auch verschleppten – in das KZ Lichtenburg, das Zuchthaus Kassel-Wehlheiden, die Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora – überall blieb er Funktionär seiner Partei. Er organisierte die Kommunisten unter den Bedingungen strengster Illegalität zum Widerstand gegen das Zuchthausregime und den SS-Terror.
Im Dezember 1944 wurde Albert Kuntz im KZ Mittelbau-Dora verhaftet und in der Nacht vom 22. zum 23. Januar 1945 von den Faschisten ermordet.
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