RotFuchs 201 – Oktober 2014

Warum Südkoreas Polizei
einen Trauerzug überfiel

Felix Lee

Die Selbstaufopferung südkoreanischer Aktivisten ist schon länger bekannt. Als vor ein paar Jahren Taxifahrer in der Hauptstadt Seoul gegen unfaire Tarife protestierten, übergoß sich einer von ihnen mit Benzin und zündete sich an. Er starb an seinen Verletzungen. Doch auch die Gegenseite geht in Südkorea zuweilen überaus drastisch vor.

Das jüngste Beispiel: Aus Protest gegen die Lohnpolitik des Elektronik-Großkonzerns Samsung hatte sich am 17. Mai der Gewerkschaftsführer der Koreanischen Metallarbeitergewerkschaft (KMWU), Yeom Ho-Seok, selbst angezündet und war dabei ums Leben gekommen. „Ich kann es nicht mehr länger mit ansehen, wie andere sich aufopfern und leiden“, hatte der 33jährige in einem Abschiedsbrief geschrieben.

Als seine Mitstreiter ihm zu Ehren eine Totenwache abhalten wollten, griffen 300 Polizisten den Trauerzug an und raubten die Leiche. Gegen den ausdrücklichen Willen der Angehörigen ließen die Behörden den Toten einäschern. Mindestens 25 der Trauernden wurden bei der Erstürmung verhaftet, darunter der Vorsitzende der Samsung-Betriebsgruppe der KMWU und sein Stellvertreter.

Hunderte Samsung-Mitarbeiter legten daraufhin für mehr als einen Monat die Arbeit nieder. Sie fordern ein Ende der Repressionen und nicht zuletzt auch eine Entschuldigung des Konzerns und der zuständigen Behörden für das rüde Verhalten.

Der Konflikt zeigt, daß Arbeitskämpfe in Südkorea auch 30 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur mit zum Teil sehr harten Bandagen ausgefochten werden. Vor allem die großen Firmen wie Samsung, LG oder Hyundai sind sehr mächtig – jene gigantischen Industriekonglomerate, die Südkoreas Wirtschaft bestimmen und eng mit dem Staat verflochten sind. Nicht zuletzt dieser engen Verbundenheit haben sie es zu verdanken, daß sie global so erfolgreich sind. Samsung ist inzwischen der größte Elektronikkonzern der Welt.

Eher werde er sein Unternehmen schließen, als freie Gewerkschaften zu akzeptieren, hatte der Samsung-Gründer Lee Byung-Chull schon in den achtziger Jahren erklärt. Sein Sohn Lee Kun-Hee, der heute den Konzern leitet und die Führung demnächst seinem Sohn übertragen will, steht dem Vater in kaum etwas nach. Dem Tod des Gewerkschaftsaktivisten ging ein seit Monaten andauernder Streit zwischen Samsung-Beschäftigten und der Konzernleitung um mehr Arbeitnehmerrechte voraus.

Seit Jahren fordern die Beschäftigten, unabhängige Gewerkschaften als Verhandlungspartner anzuerkennen. Sie wollen einen Tarifvertrag und Löhne durchsetzen, von denen man auch angesichts der in den vergangenen Jahren rasant gestiegenen Preise leben kann. Anstatt jedoch die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter zu berücksichtigen, ging Samsung gezielt gegen jene Beschäftigten vor, die versuchten, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Ihnen zahlte die Konzernleitung zuletzt nur einen Lohn von umgerechnet weniger als 300 Euro. Der durchschnittliche Lohn liegt in Südkorea beim Siebenfachen.

In Südkorea herrscht jedoch nach wie vor das Verständnis, Löhne und Arbeitsbedingungen sollten allein von der Konzernleitung bestimmt werden. Arbeiten die Beschäftigten im Sinne der Chefs, werden sie entsprechend entlohnt. Die Beurteilung dessen liegt allein im Ermessen der Bosse. Von den Beschäftigten wird bedingungsloser Gehorsam erwartet. Um so heftiger müssen sich die Gewerkschaften zur Wehr setzen, wenn sie gegen den Willen der Leitung bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen wollen.

Inzwischen erkennt die Regierung Gewerkschaftsrechte zwar an, unterstützt aber werden Arbeitnehmerorganisationen von der konservativen Führung unter Präsidentin Park Geun-Hye nicht. „Die Entführung des Leichnams zeigt, wie Firmenleitung und Staat Hand in Hand arbeiten“, sagt Gewerkschaftssprecherin Chong Hyewon.

Präsidentin Park ist die Tochter des 1979 ermordeten Diktators Park Chung-Hee. Sie gilt als besonders unternehmerfreundlich. Seit sie vor anderthalb Jahren das Amt übernommen hat, haben sich die Arbeitskämpfe im Land wieder deutlich verschärft.

Aus der ver.di-Zeitschrift „Publik“