Zwei Parteienblöcke wetteifern
um die Gunst der USA und der NATO
Was aus Albanien geworden ist
Die sowjetische Führung unter Nikita Chruschtschow verkündete Anfang der 60er Jahre ein Verdikt gegen die unbotmäßige Partei der Arbeit Albaniens (PPSH) und Enver Hoxha (1908–1985), der sie seit ihrer Gründung 1941 bis zu seinem Tod als Erster Sekretär des ZK geführt hat. Es kulminierte am Jahresende 1961 im einseitigen Abbruch der diplomatischen und aller anderen Beziehungen zur seinerzeitigen Volksrepublik Albanien. Nicht alle folgten der Moskauer Vorgabe ganz: Statt der Botschafter amtierten rund 25 Jahre Geschäftsträger in Tirana und in Berlin, wobei die DDR einer der größten Handelspartner des kleinen Landes an der Adria mit seinen knapp 3,2 Millionen Einwohnern (1989) blieb. Für DDR-Bürger war Albanien seitdem nur noch eine Terra incognita. Die Normalisierung der staatlichen Beziehungen zwischen der DDR und Albanien, das sich ab Mitte der 80er Jahre als Sozialistische Volksrepublik bezeichnete, änderte daran wenig.
Die Konterrevolution der Jahre 1989 bis 1991 machte um Albanien keinen Bogen. Es kam zu einem totalen Zusammenbruch von Industrie und Landwirtschaft, ja sogar der staatlichen Strukturen. Die Armee zerfiel, die Waffenarsenale wurden geplündert. Das führte 1997 zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Analphabetentum und Bandenkriminalität sowie die Blutrache erlebten nach einem halben Jahrhundert ihre Wiederkehr. Es kam zu einer massenhaften Emigration vor allem jüngerer Menschen. Etwa eine halbe Million Albaner soll seither auf Dauer im Ausland leben – meist als dort ungeliebte Billigstarbeiter.
Wenden wir uns nun der Parteienlandschaft Albaniens zu, wie sie sich in 25 Jahren Kapitalismus herausgebildet hat. Sie unterscheidet sich erheblich von den Strukturen früherer Sowjetrepubliken und der anderen ehemals sozialistischen Staaten Europas.
Ähnlich wie dort „sozialdemokratisierte“ sich auch die bislang herrschende Partei PPSH, die 1989 knapp 150 000 Mitglieder hatte. Eine Zeitlang konnte sie nach ihrer Umbenennung in Sozialistische Partei (SP) noch weiterregieren. Doch bald übernahm die am 12. Dezember 1990 gegründete „Demokratische Partei“ (DP) unter Führung des Renegaten Sali Berisha das Ruder. Seither wechseln sich beide Parteien in der Regierung ab. Doch seit den Wahlen zur Nationalversammlung im Jahre 2013 schlossen sich von den etwa 70 bestehenden Parteien rund 60 zu zwei großen Blöcken zusammen.
Der erste Block mit der demagogischen Bezeichnung „Allianz für Arbeit, Wohlfahrt und Integration“ aus 25 Parteien, geführt von Berishas damals regierender DP, kann als bürgerlich bezeichnet werden. Er steht für engste Anbindung an die NATO und das Streben in die EU, verbunden mit totaler Unterwerfung unter die US-Politik. Die meisten Gründer und Führer der neuentstehenden Parteien dieses „demokratischen“ Blocks waren zuvor Mitglieder der PPSH. Berishas Block bekam zur Wahl aber nur noch 40,7 % der Stimmen und 57 Mandate.
Bemerkenswerter für unsere Betrachtung ist daher der siegreiche zweite Block „Allianz für ein europäisches Albanien“ aus 37 Parteien, geführt von der Sozialistischen Partei – dem Rechtsnachfolger der PPSH. Die Führer der ex-kommunistischen SP, die sich selbst als sozialdemokratisch definiert, wetteifern übrigens mit der DP darin, wer von ihnen am US- und NATO-hörigsten ist. Der Block erhielt 57,7 % der Stimmen und 83 Mandate.
Was Albanien jedoch von anderen Staaten Osteuropas unterscheidet: Dem von der SP geführten Block gehören sogar gleich fünf sich als marxistisch-leninistisch bezeichnende Nachfolgeparteien der PPSH an, die sich zu jener positiv bekennen. Die bekannteste und aktivste von ihnen ist die Kommunistische Partei Albaniens (PKSH). Ihr Initiator war 1991 Hysni Milloshi (1946–2012), bis zu seinem Tode Erster Sekretär des ZK. Auf einem Vereinigungskongreß im Jahre 2006 schlossen sich dieser Partei weitere kommunistische Kleinstparteien an. Bei allen bisherigen Wahlen erhielt die KP stets deutlich weniger als 10 000 Stimmen. Als einzige unter den PPSH-Nachfolgern leistet die PKSH internationale Arbeit und beteiligte sich sporadisch an den von der KP Griechenlands organisierten Treffen und Initiativen der kommunistischen und Arbeiterparteien.
Programmatisch unterscheiden sich die in Albanien bestehenden kommunistischen Parteien kaum voneinander: Strategisches Ziel ist der Sozialismus, also die Wiederherstellung sozialistischer Produktionsverhältnisse in Industrie, Bergbau und Landwirtschaft und die Wiedererrichtung der Volksmacht. Sie treten für eine blockfreie Außenpolitik ein. Was den albanischen Weg zum Sozialismus zwischen 1944 und 1991 angeht, werden die sehr erheblichen Deformationen dieser Jahre nicht deutlich genug benannt.
Die zahlreichen kommunistischen Klein- und Kleinstparteien sind trotz der Mitgliedschaft in einem Wahlblock untereinander überaus heftig zerstritten und verschleißen ihre Kräfte überwiegend in Fraktionskämpfen. Vergangenheitsdebatten beherrschen das Parteileben, was zu immer neuen Spaltungen und Fusionen sowie zu Parteiwechseln führt.
Zum Abschluß des Berichts noch etwas Erfreuliches: Aus Anlaß des 70. Jahrestages der Befreiung Gjirokastras, der Geburtsstadt Enver Hoxhas, durch die von ihm geführte Antifaschistische Nationale Befreiungsarmee fand dort im September 2014 eine von der Stadtverwaltung organisierte öffentliche Großveranstaltung statt, an der sogar Regierungsmitglieder aus Tirana teilnahmen.
Es waren aber nicht nur einige der wenigen noch lebenden hochbetagten Veteranen des antifaschistischen Befreiungskampfes erschienen, sondern Menschen aller Altersgruppen. An der Demonstration nahmen auch Hunderte Schüler teil, die symbolisch rote Pionierhalstücher trugen. Man sah Fahnen in gleicher Farbe und Spruchbänder, die an vergangene Zeiten der Volksmacht erinnerten. Gerade dieser Teil der Demonstration erhielt den lebhaften Applaus nicht weniger Einwohner.
Der Autor bedankt sich bei der in Wien in der Emigration lebenden Germanistin und Linguistin Shpresa Musaj für deren Übersetzungsarbeiten, Hinweise und Erlebnisberichte.
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