Was Freiheit eigentlich meint
In ihrem Buch „Immer ich“ polemisiert Gisela Steineckert gegen Demagogie und Manipulierung, welche mit dem Begriff „Freiheit“ betrieben werden. Sie schreibt: „Ich wünschte, mir könnte einmal jemand erklären, was Freiheit eigentlich … meint.“
Zur Beantwortung der Frage ist es nützlich, bei den Ursprüngen anzuknüpfen. Das Ideal der Freiheit, das in der Französischen Revolution von 1789 die Massen bewegte, fand schließlich seinen Ausdruck in der Verwirklichung der bürgerlichen Freiheit des Marktes und der Freiheit zur Ausbeutung von Lohnarbeitern. Dem „Volk“ wurde das Ideal einer abstrakten Freiheit überlassen, was aus unterschiedlichen Gründen besonders gut geeignet erschien, den Klasseninhalt der bourgeoisen Machtausübung zu verschleiern. Durch die organisierte Arbeiterbewegung und den Einfluß der Marxisten wurde die Freiheit wieder vom Himmel auf die Erde geholt.
Der Kampf für sie hieß nun – sehr konkret – Freiheit gewerkschaftlicher Betätigung, Verkürzung der Arbeitszeit, Lohnerhöhungen und Verbesserung der sozialen Bedingungen. So trat der Klasseninhalt der Freiheit direkt zutage. Der erste DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl orientierte sich an den Worten: „Freiheit, die ich meine, welche meinst du, sprich, deine oder meine, das ist wesentlich.“
Auch bürgerliche Autoren waren durchaus dazu in der Lage, Klasseninhalte des Freiheitsbegriffs zumindest zu erahnen. Vor mehr als 50 Jahren schrieb der Mitbegründer der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Paul Sethe: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Das auszusprechen, ist in der „freiheitlichen“ BRD unserer Tage viel schwerer als damals. Heute geht es mehr denn je um die Verschleierung der wirklichen Macht- und Eigentumsverhältnisse, wobei die Freiheitsdemagogie des derzeitigen Bundespräsidenten, der sich als ihr Bannerträger wähnt, eine zentrale Funktion besitzt.
Nun handelt es sich bei der Klärung dessen, was „Freiheit eigentlich meint“, tatsächlich um eine knifflige Frage. Hegels Genialität bestand darin, die Freiheit als „Einsicht in die Notwendigkeit“ begriffen zu haben. Ich habe bei Studenten, ja, auch bei Funktionären der Partei oft Erstaunen ausgelöst, wenn ich darauf verwies, daß Hegels Formel nicht die marxistische Auffassung war. Marx und Engels stellten sie gewissermaßen vom Kopf auf die Füße, indem sie die Freiheit als auf der Erkenntnis der Natur und Gesellschaft erlangte Herrschaft des Menschen über Dinge und Verhältnisse definierten. Daraus ergibt sich, daß Freiheit notwendigerweise ein sich ständig verändernder Prozeß ist, dessen Verwirklichung die Tat unterschiedlicher Klassenkräfte und Individuen erfordert. Das Verschweigen dieser Zusammenhänge hat deshalb noch so große Wirkung, weil Gedanken- und Pressefreiheit als Ideale im geschichtlichen Verlauf tief verwurzelt sind. Die Illusion, es gäbe Freiheit ohne deren materielle Voraussetzungen, ist fest verankert und deshalb hervorragend dazu geeignet, die Realität zu verschleiern.
Wie wir selbst erfahren haben, wirkte dieser Roßtäuschertrick auch auf Bürger der DDR, die 1989/90 den inhaltsleeren Freiheitsparolen von CDU/CSU, SPD und FDP erlagen und zum Teil noch heute verfallen sind. Nicht wenige von diesen Irregeführten erkennen inzwischen, daß die Freiheit der Gestaltung eigener Lebensverhältnisse in Betrieben und Wohngebieten der DDR – trotz bestehender Defizite – eine völlig andere Qualität besaß als das, was uns der bundesdeutsche Kapitalismus heutzutage als Freiheit offeriert.
Nachricht 1487 von 2043