RotFuchs 202 – November 2014

Was hätte den Schotten
die Abschottung gebracht?

RotFuchs-Redaktion

Das September-Referendum über Schottlands Trennung von oder sein Verbleiben bei England hatte in den einen Hoffnungen geweckt, bei den anderen aber Befürchtungen hervorgerufen. Während man in den USA und in Frankreich ein Scheitern des Großbritanniens außenpolitisches Gewicht erheblich reduzierenden und damit dessen Widerstandskraft gegen den deutschen Imperialismus verringernden Ja-Votums erhofft hatte, hegte man in Berlin direkt entgegengesetzte Erwartungen. Der Verbleib der Schotten unter dem gemeinsamen Dach Großbritanniens entsprach absolut nicht dem politischen Geschmack der Merkel-Regierung. Die Entscheidung – bekanntlich stimmten 55 % der Schotten für den Verbleib bei England und 45 % dagegen – enttäuschte die an der Spree gehegten Hoffnungen, durch eine Teilung des Vereinigten Königreichs das Gewicht Londons, des Hauptwidersachers der BRD-Ambitionen in Brüssel, ernsthaft geschwächt zu sehen.

Britische und schottische Kommunisten, die – im Unterschied zu revolutionären Illusionen nachjagenden Trotzkisten und Ultralinken – für ein Nein optiert hatten, begrüßten den Ausgang des Referendums. Denn wäre die Entscheidung anders ausgefallen, hätte das einen scharfen Rechtsruck im britischen Unterhaus durch den sofortigen Verlust von etwa 40 Mandaten in Schottland gewählter Labour-Abgeordneter zur Folge gehabt. Das Resultat wäre eine deutliche Stärkung der Tory-Herrschaft an der Themse gewesen.

Die Masse der schottischen Labour-Wähler – mehrheitlich Arbeiter und überwiegend jüngere Leute – stimmte für die Unabhängigkeit, während sich die kleine und mittlere Bourgeoisie sowie einflußreiche Sektoren des Großkapitals für ein Festhalten an Großbritannien entschieden. Die Industriemetropole und Arbeiterhochburg Glasgow votierte überwiegend gegen die verhaßte Londoner Tory-Herrschaft.

Qualitative Veränderungen antiimperialistischen Charakters waren für den Fall eines Sieges der sich linksnationalistisch darstellenden Schottischen Nationalpartei (SNP) nicht zu erwarten gewesen. So ließ man in Edinburgh keinen Zweifel an der weiteren NATO-Mitgliedschaft und der Aufrechterhaltung des durch die U.S. Navy atomar bestückten Marinestützpunkts an der schottischen Küste. Ein unabhängiges Schottland hätte sich überdies sofort um die EU-Mitgliedschaft bemüht.

Namhafte Gewerkschaftsführer, linke Labour-Politiker und angesehene Wissenschaftler haben bereits im Vorjahr ein als „Red Paper on Scotland 2014“ bezeichnetes Dokument unter dem Titel „Klasse, Nation und Sozialismus“ vorgelegt. „The Socialist Correspondent“, das in Glasgow erscheinende und dem RF seit langem solidarisch verbundene Vierteljahresmagazin englischer und schottischer Marxisten, berichtete ausführlich darüber. Aus der Sicht der Zeitschrift handelt es sich um den Versuch eines klassenmäßigen Herangehens an Schottlands Situation, wobei der Nachweis geführt werde, daß die Voraussetzungen für eine künftige sozialistische Entwicklung nicht durch Abtrennung, sondern nur innerhalb des Vereinigten Königreichs geschaffen werden könnten.

Scharfe Kritik wird dabei an den als Sozialdemokraten firmierenden SNP-Führern geübt, die als Hauptverlierer des Referendums dastehen. Die Autoren des „Red Paper“ treffen zugleich die Feststellung: „Schottland ist unverkennbar stärker für linke Politik offen als unsere südlichen Nachbarn.“

Das „Rote Papier“ warnte nachdrücklich vor Illusionen über mögliche soziale Veränderungen innerhalb der bestehenden Ordnung. „Die einzige ökonomische Transformation, die unter einer SNP-Regierung in einem unabhängigen Schottland stattfinden würde, wäre dem Kapital zugewandt und gegen die Arbeiterschaft gerichtet.“ Die Preisgabe der Schlüsselgewalt über die Wirtschaft an auswärtige Institutionen, die Bank von England und die Europäische Kommission der EU stünden dann zur Debatte.

Vorstellungen, daß ein Aufbrechen des einheitlichen Staates sozialen Fortschritt bringe und die Unabhängigkeitsbewegung einen „nationalen Befreiungskampf“ führe, gingen völlig an den Realitäten vorbei.

RF, gestützt auf „The Socialist Correspondent“, Glasgow, und „Solidaire“, Brüssel